Alisa Childers wuchs in einem frommen Milieu auf und war dort sogar sehr aktiv, geriet aber irgendwann in eine extreme Glaubenskrise, ausgelöst durch einen „progressiven“ Pastor in Glaubenskurs-Seminaren. Sie beschreibt die Problematik so: „Ich kann nicht behaupten, ich sei in blindem Glauben aufgewachsen. Mein Glaube formte sich im Angesicht eines gelebten Evangeliums. Intellektuell jedoch blieb er schwach und unerprobt. Ich hatte keinen Bezugsrahmen, keine Werkzeugkiste, in die ich hätte greifen können, als alle Gewissheiten, derer ich mir so sicher gewesen war, infrage gestellt wurden ... Man kennt es, dass junge Christen sich vom Glauben abwenden, nachdem sie im Studium von skeptischen Professoren durch die Mühle gedreht wurden. Auch mein Glaube geriet unter Beschuss … Allerdings nicht an der Hochschule, sondern in der Kirchenbank.“ Zu den zentralen Kritikpunkten gehörten dabei Gott, Jesus, die Bibel, die Jungfrauengeburt, Auferstehung, Sühnetod, Hölle usw. Das Problematische für Childers war, dass die „Dekonstruktion“ eben nicht von Nichtchristen kam – von diesen hätte sie nichts anderes erwartet –, sondern von „Christen“.
In der Folge machte sie sich intensiv auf die Suche nach hilfreichen Antworten, studierte professionell viele Themen – und fand nicht nur den Weg aus der Krise, sondern einen fundierteren Glauben als vorher. Ihre Antworten auf die Fragen entfaltet sie in diesem Buch systematisch, mit vielen Fußnoten und Literaturangaben (die aber leider nur englische Titel beinhalten). Dabei verbindet sie immer wieder gekonnt Erlebtes und Gelerntes und nimmt den Leser mit in ihre inneren Kämpfe. So erwächst daraus insgesamt eine qualifizierte Auseinandersetzung mit einer sehr mutmachenden Botschaft.
Der Stil (der Übersetzung) ist angenehm zu lesen; ein Interesse an eher theoretischen Reflexionen wird aber vorausgesetzt. Das Plaudern, zu dem amerikanische Autoren oft neigen, bewegt sich m.E. noch im Rahmen des Angemessenen, und die Art der Darstellung ist trotz der intensiven emotionalen Betroffenheit der Autorin wohlwollend nüchtern. Dabei wird die Abwegigkeit des progressiven Christentums klar beim Namen genannt: „Die Bewegung des progressiven Christentums knüpft an ein berechtigtes Reformbedürfnis an. Doch bei der Suche nach Reformen stießen seine Anhänger auf ein verfälschtes Evangelium … Es ist nicht nur eine Erwiderung auf Zweifel, Gesetzlichkeit, Missbrauch oder Heuchelei. Es ist eine ganz und gar andere Religion … Das progressive Christentum hat mir nichts von Wert und Belang zu bieten. Es weckt nicht meine Hoffnung auf das Leben nach dem Tod und die Freude über das jetzige Leben. Es bietet mir lediglich hundert Negationen, ohne irgendetwas konkret zu bejahen.“
Die Themen, die Alisa Childers behandelt (s.o.), werden in der Kirchengeschichte schon lange kontrovers behandelt. Die besondere Aktualität des Buches liegt darin, dass auch die „Postevangelikalen“ in Deutschland zunehmend die Grundpfeiler angreifen oder der Lächerlichkeit preisgeben und sich dabei zentral der Umdefinition von Begriffen bedienen, sodass ihre tatsächliche Position oft verschleiert wird (auch dazu mehr im Buch).[1]
Der Soziologe Ulrich Beck hat die Grundbefindlichkeit unserer Zeit in ein eindrückliches Bild gefasst: Der postmoderne Mensch reißt sich gerne selbst mit seinen Wurzeln aus dem Boden heraus, um sich dann neugierig zu vergewissern, ob diese auch wirklich gesund sind. Um dieser und etlichen anderen Gefahren besser begegnen zu können, ist dieses Buch eine empfehlenswerte Lektüre – auch um nicht dem „anderen Evangelium“ (so der Originaltitel) zum Opfer zu fallen.
Jochen Klein
[1] Vgl. meinen Artikel Kritisches zur postevangelikalen Bewegung auf www.denkendglauben.de
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