denkend glauben

Jochen Klein

Texte und Materialien zum christlichen Glauben

Daniels Botschaften

Der Prophet Daniel ist auch gerade in der heutigen Zeit eine faszinierende Lektüre. Wir sehen z.B., wie man in einer Umgebung, die in vielen Bereichen gottfeindlich ist, bewahrt bleiben kann. Aber nicht nur das. Es wird auch deutliche, wie man als Außenseiter in dieser Umgebung bis in höchste Ämter gelangen und vielen zum Segen sein kann und manches mehr.

Der geschichtliche Rahmen

Das Erste, was im Buch Daniel über Gott deutlich wird, ist, dass Gott persönlich in die Geschichte der Menschheit eingreift. Das ist eine Aussage von großer Tragweite. Es wird nämlich nicht nur deutlich, dass etwas geschah, sondern auch warum es geschah. Gott lenkt also letztlich den Lauf der Geschichte, aber das schließt die menschliche Verantwortung nicht aus. In unserer menschlichen Begrenztheit werden wir niemals in der Lage sein, das Verhältnis zwischen Gottes Wirken in der Geschichte und der Freiheit und Verantwortung des Menschen vollständig zu verstehen. Das Wissen, dass Gott letztlich der Herr über die Geschichte der Erde ist, ist aber auch in Krisenzeiten wie bei Daniel enorm tröstlich. Dies macht auch das Buch Daniel deutlich. Die letzten Worte des Buches zeigen eine weitere Hoffnungsperspektive, die mit dem eben Genannten das Buch einrahmt: die Hoffnung auf die Auferstehung. Somit können wir die Stabilität und Zielstrebigkeit von Daniels Leben verstehen. Seine innere Einstellung, von der er geprägt war, sah so aus: Er lebte in dieser gegenwärtigen Welt, aber er lebte nicht für sie. Und der Rahmen seines Lebens und der Geschichte ist: Gott ist auch Herr der Geschichte auf der Erde und er bestimmt auch die Zukunft.

Daniel kommt nach Babylon

Daniel wurde als junger Mann mit weiteren jungen Mitgliedern der Oberschicht Judas (so z.B. seinen Freunden Sadrach, Mesach und Abednego) von Nebukadnezar, dem König von Babylonien, um ca. 605 v. Chr. gefangengenommen und in seine Hauptstadt Babylon gebracht. Und das deshalb, weil Juda sich auf Unmoral, Ungerechtigkeit und Götzendienst eingelassen hatte. Jahre vor der Eroberung hatten Propheten immer wieder das Volk gewarnt, sich nicht mit dem Götzendienst und den unmoralischen Praktiken der sie umgebenden Heidenvölker einzulassen. Dies stieß weitgehend auf taube Ohren und so wurde Juda jetzt von der götzendienerischsten Nation in die Gefangenschaft geführt – und so auch Daniel.

Was war nun zentral für Babylon? Babylon war im Altertum die bedeutendste Stadt des Vorderen Orients sowie die berühmteste und mit über 1000 Hektar Fläche auch die größte Hauptstadt. Weiterhin war sie ein religiöses Zentrum des Polytheismus und ein Hort der Wirtschaft und der Gelehrsamkeit. Damit und auch mit ihrer Tradition ging ein großes Selbstbewusstsein einher.

Babel oder Babylon wird zuerst bei der Gründung des Reiches Nimrods (1. Mose 10,10) und dann beim Turmbau (1. Mose 11,9) genannt. Hier wird der Name mit „verwirren, zerstreuen, durcheinanderbringen“ in Verbindung gebracht. Bereits bei dieser Begebenheit kommt zum Ausdruck, was Babel im Alten Testament verkörpert: Es ist das Zentrum und das Symbol der widergöttlichen Weltmacht. Der Turm von Babel ist das warnende Wahrzeichen für die Überhebung des Menschen und die daraus folgende Sprachverwirrung und Zerstreuung der Völker. Aus der babylonischen Überlieferung geht hervor, dass an dieser Stätte vorher eine heilige Stadt als Zentrum des Götzendienstes existiert hatte. So wird Babel in der Bibel zum Inbegriff der Anmaßung des Menschen und seines unvermeidlichen Falls. Wir sehen aber auch das Symbol dafür, dass die Gemeinschaft zwischen Menschen und Völkern verwirrt und zerbrochen wird, wenn diese sich von Gott entfernen. Geistlich repräsentiert Babylon die Rebellion des Menschen gegen Gott, den Sitz des Satanischen und die Geburtsstätte der Vielgötterei, auch weil die Babylonier die heidnischen Religionen salonfähig machten. Sie entwickelten auch die Idee des Pantheismus (die Vorstellung, dass die Götter in jedem Vorgang oder Ausdruck der Natur und ihrer Kräfte gegenwärtig sind) und erhoben sie zu einer Kunstform. Weiterhin integrierten sie Kunst, Schauspiel und Musik in die Religion, bis die heidnischen Vorstellungen als höchster Ausdruck ihrer Kultur attraktiv wurden. Auch die Babel umgebende Gegend war ähnlich ausgerichtet: Weiter im Norden hat das antike Assyrien mit der Stadt Ninive seine Wurzeln. Abraham wanderte aus diesem Gebiet (aus „Ur in Chaldäa“) aus, das ebenfalls die oben beschriebenen Grundsätze verkörpert (1. Mose 11,28).

Das endzeitliche Babylon schließlich (im Buch der Offenbarung) muss mit einem System gleichgesetzt werden, das nur der letzte Auswuchs derselben Prinzipien ist, die auch das antike Babylon antrieben. Es ist ein Bild der abgefallenen Endzeitkirche unter der Führung Roms.

Um 1100 v. Chr. begann der Niedergang Babyloniens. Nabupolassar bestieg dann 626 v. Chr. den Thron und gründete das neubabylonische Reich. Unter seinem Sohn Nebukadnezar II. erlebte Babel als Mittelpunkt eines mächtigen Reiches eine neue Blütezeit.

Daniel nun glaubte in der Tradition der Juden, dass es einen Gott gibt, der Himmel und Erde erschaffen hat. Die Babylonier dagegen glaubten an eine Vielzahl von Göttern. Die babylonischen Götter gehörten im Prinzip zur Grundmaterie des Universums. Die Vorstellungen der Griechen waren ähnlich. Das biblische Weltbild dagegen unterscheidet sich davon grundsätzlich: Die griechischen Götter stehen nämlich innerhalb der Welt. Der biblische Monotheismus ist keine abgespeckte Version des heidnischen Polytheismus. Der Gott der Hebräer steht außerhalb der Welt. Hierbei handelt es sich um einen Kategorienunterschied. So war die Philosophie der antiken Völker im Wesentlichen naturalistisch, materialistisch und damit dem Weltbild der Bibel völlig entgegengesetzt. Hier ist Gott, der Geist, ewig. Er hat die Materie erschaffen und nicht die Materie ihn. Und seit jeher schreiben dieselben Menschen, die meinen Gott abgeschafft zu haben, anschließend blinden, ungesteuerten, rein materiellen Prozessen schöpferische Kräfte zu. Zu Beginn seines Buches macht Daniel also deutlich, dass er sich nicht als Spielball des Schicksals sah, sondern dass hinter Nebukadnezars Sieg über Juda Gott selbst stand. Daniels Glaube an Gott hatte ihn die Eroberung Jerusalems durch die Babylonier sicher schon erwarten lassen.

Daniels Studium

Das Buch Daniel berichtet, dass er und seine Freunde drei Jahre lang ein breit angelegtes Studium absolvieren mussten, das sie in Sprache, Kultur und Literatur der Babylonier einführte. Um die dahinterliegende Problematik besser nachvollziehen zu können, müssen wir zunächst den oben aufgezeigten Geist Babylons berücksichtigen. Das in Babylon vorherrschende Weltbild unterschied sich ja fundamental von dem Daniels, und so musste er sich diesem in zentralen Aspekten widersetzen, um ihm nicht zum Opfer zu fallen.

 

Für Daniel war es hier also besonders schwierig, sich seinen Glaubensüberzeugungen entsprechend zu verhalten, auch weil fast alles anders war, als er es gelernt hatte – so z.B. die Religion, die Sitten, das politische System, die Gesetze, das Bildungssystem und die Sprache.

Nebukadnezar verordnete Daniel und seinen Freunden also ein Bildungsprogramm, indem er ihnen die Sprache und Literatur Babylons beibringen ließ. Das bedeutete auch, dass sie das dadurch vermittelte Denken übernehmen sollten. In diesem Zusammenhang lesen wir dann davon, dass sich Daniel in seinem Herzen vornahm, „sich nicht mit der Tafelkost des Königs und mit dem Wein, den er trank, unrein zu machen“ (Dan 1,8). Dies hatte mit Daniels biblischer Überzeugung in Bezug auf Heiligkeit zu tun und wurde besonders in einer Umgebung relevant, wo Opfer, Trinksprüche und Ähnliches allgegenwärtig gewesen sein müssen. Der Begriff „Heiligkeit“ hat positive und negative Aspekte. Positiv bedeutet er die völlige Hingabe und Verpflichtung Gott gegenüber; negativ bedeutet er das Wegwenden von Gott entgegenstehenden Prinzipien. Es war Daniels Absicht, in der Herrlichkeit und Heiligkeit Gottes zu leben. Ihm war sehr klar: Wenn er diese bezeugen wollte, musste er darauf achten, dass sein eigenes Wesen und seine Persönlichkeit von Heiligkeit geprägt waren. Das aber heißt, dass er sich nicht verunreinigen durfte. Seine Entscheidung ist der Schlüssel für unser Verständnis des Wesens und der Kraft von Daniel Zeugnis. Es war eine Entscheidung, die er im Herzen traf, bevor er handelte. Freilich hatten er und seine Freunde Angst, und sie wussten, dass in Babylonien Anpassung und Konformität verlangt wurden. Trotzdem gingen sie in die Öffentlichkeit mit ihrer Überzeugung, sich nicht verunreinigen zu wollen. Dies konnten sie deshalb tun, weil sie Gott in ihrem Herzen den Platz des Heiligen eingeräumt hatten. Sie hatten ihn zum alleinigen Herrn ihres Lebens gemacht.

Gleich zu Anfang seines Studiums traf Daniel also den ebenso richtigen wie mutigen Entschluss, sich weiter auf Gott auszurichten und Grenzen zu ziehen, die er nicht überschreiten würde. Er protestierte damit zumindest indirekt gegen die heidnische, von Götzen geprägte babylonische Weltanschauung, die das Fundament und Paradigma des Bildungssystems des Reiches bildete. Die Art und Weise des Protests war aber nicht rebellisch, sondern er trat mit „Sanftmut und Ehrfurcht“ auf, wie Petrus es von Gläubigen verlangt (vgl. 1. Petrus 3,14–16). Er wendet sich an Aschpenas, den obersten der Kämmerer am Hof, der Verwaltungsbeamter und für das Wohlergehen der jungen Männer (Studenten) zuständig war, und bittet ihn höflich unter vier Augen um die Erlaubnis, nicht die Kost des Königs essen zu müssen. Das Ergebnis zeigt, dass Daniel offensichtlich so sein Vertrauen gewonnen hatte. Dieses Vorgehen honorierte Gott dann auch.

Daniel und seine Freunde waren also bereit, den Preis dafür zu zahlen, dass sie an Gott als ihrem höchsten Gut festhielten. Sie hatten den Kompass ihres Lebens auf Gott eingestellt. Dies sollte den Rest ihres Lebens prägen. Nebukadnezar lässt am Ende von Kapitel 1 schließlich vier bemerkenswert fähige Absolventen seiner Universität in seinen Dienst treten. Sie sind den anderen Intellektuellen um Längen voraus, aber noch weiß Nebukadnezar nicht, warum dies so ist. Doch das wird sich bald ändern, denn er wird eine Quelle des Wissens entdecken, zu der selbst seine weisesten und erfahrensten Experten keinen Zugang haben.

Deutung eines Traumes

Als Nächstes steht nämlich für Daniel zentral nicht nur das Deuten eines Traums Nebukadnezars an, sondern auch das Herausfinden dessen, was er geträumt hatte. Dies war für die Weisen des Königs von Nebukadnezar zum zentralen Test erklärt worden. Und wenn das nicht möglich war, sollten sie dafür mit dem Leben bezahlen. Daniel bekam Traum und Deutung von Gott offenbart, sodass er dem König den Traum und seine Deutung erklären konnte. Dadurch hatte er nicht nur den Weisen das Leben gerettet, sondern auch den König dahin gebracht, dass er den Gott Daniels als „Gott der Götter und Herr der Könige“ bezeichnete. Nach diesem wurde Daniel an den Hof des Königs als Herrscher über die ganze Landschaft Babel und Obervorsteher aller Weisen von Babel berufen. Und seine Freunde wurden über die Verwaltung der Landschaft Babel bestellt. Die Treue zu Gott wurde also belohnt und diente zum Nutzen für andere. Und wenn es um das Deuten, nicht nur von Träumen, sondern auch z.B. von Zusammenhängen des Lebens geht, so ist Gottes offenbarte Deutung immer die beste.

Im Feuer

Ein ganz anderes Szenario sehen wir etwas später. Wieder geht es um Leben und Tod. Diesmal sind Sadrach, Mesach und Abednego die zentralen Personen. Der König Nebukadnezar ließ ein riesiges Bild aus Gold (ca. 30 Meter hoch) machen, das eventuell ihn darstellte. Alle höheren Verwaltungsbeamten wie Statthalter, Oberrichter, Schatzmeister usw. sollten bei der Einweihung des Bildes erscheinen und mit dem Volk beim Erklingen von Musik davor niederfallen und es anbeten. Wer sich weigerte, sollte sofort in den brennenden Feuerofen geworfen werden. Einheimische Männer zeigten Sadrach, Mesach und Abednego an, und zwar mit folgender Begründung: „Diese Männer, o König, achten nicht auf dich. Deinen Göttern dienen sie nicht, und das goldene Bild, das du aufgerichtet hast, beten sie nicht an“ (Daniel 3,12). Der König geriet deshalb außer sich vor Wut, bestellte sie ein und erkundigt sich, ob es Absicht sei, dass sie seinen Göttern nicht dienen und das goldene Bild nicht anbeten. Er stellt ihnen ein letztes Ultimatum und zweifelt im persönlichen Gespräch mit ihnen an, dass es einen Gott gebe, der sie aus seiner Hand vor dem Feuerofen bewahren könne. Darauf entgegnen sie klar und deutlich: „Wir halten es nicht für nötig, dir ein Wort darauf zu erwidern. Ob unser Gott, dem wie dienen, uns aus dem brennenden Feuerofen zu erretten vermag – und er wird uns aus deiner Hand, o König, erretten – oder ob nicht, es sei dir kund, o König, dass wir deinen Göttern nicht dienen und das goldene Bild, das du aufgerichtet hast, nicht anbeten werden“ (3,17.18). – So wurden sie gebunden in den brennenden Feuerofen geworfen. Bald merkte der König, dass er sich geirrt hatte, es war nämlich ein Bote Gottes bei ihnen im Ofen und sie blieben unverletzt. Sie gingen heraus, was auch die Mächtigen des Königs wahrnahmen. Das Ergebnis war, dass Nebukadnezar den Gott der Juden lobte, es bei Strafe verbot, dass jemand Unrechtes über ihn sagt, und die drei beförderte.

In dieser Begebenheit wird einiges deutlich: Es wird ein Bild aufgestellt und als religiöses Symbol instrumentalisiert. Dies steht für den totalitären Staat, an dessen Spitze Nebukadnezar war, oder auch für seine politisch-religiöse Idee. Er versuchte also Staat und religiöse Prinzipien zu vermischen und sein Reich und sein Regime absolut zu setzen. Dies kennen wir nun nicht nur von antiken Staaten wie Rom, wo auch der Kaiser zu manchen Zeiten als Gott angebetet werden musste. In neueren Diktaturen wie dem Nationalsozialismus oder dem Kommunismus gibt es auch dieses Prinzip. Dort dient die ganze Ehre den Staatszielen und Abweichendes wird unterdrückt oder sanktioniert. D.h., wer dem quasireligiösen Staatsideal zuwiderhandelt, muss mit massiven Folgen für Leib und Leben rechnen.

Die Argumentation der Gegner ist auch zu beachten: Zunächst argumentieren sie personal, d.h., sie behaupten, dass die drei Freunde den König geringschätzen würden, was so nicht stimmt. Diese setzen eben Gott an die höchste Stelle und das Handeln des Königs zwingt sie zu diesem Ungehorsam, um nicht Gott gegenüber schuldig zu werden. Zweitens setzen die Gegner das Nicht-Anbeten des Bildes mit der Verweigerung der Anbetung der Götter gleich. Das zeigt noch einmal klar, wie Religion und Politik hier verwoben waren.

Schließlich ist die Form, wie das Vergehen hier sanktioniert wird, bedenkenswert. Die Drohung mit dem Tod zeigt, dass es hier um sehr viel ging. Und der Märtyrertod ist die Spitze eines ganzen Spektrums. Dazu gehören auch zu allen Zeiten Ausgrenzung, Diskriminierung, Schikanen, Mobbing, Verlust von Ruf, Arbeit oder Heimat, Gefängnis usw. Dies haben Christen zu allen Zeiten, aber auch heute noch, in einigen Regionen der Welt zu erdulden. In den westlichen Ländern häufen sich einige Aspekte des Anfangsstadiums, weil biblische Maßstäbe zunehmend aus dem öffentlichen Diskurs getilgt werden. Deshalb kann es in manchen Bereichen zu Repressalien kommen, wenn man sich nicht nach dem Diktat des Zeitgeistes richtet (z.B. biblische Auffassungen in Bezug auf die Bedeutung der Familie, Evolutionismus, atheistische Wissenschaftstheorie usw. hat).

Mobbing

Später, als die Meder und Perser Babel erobert hatten, war Daniel wieder in einem hohen Amt. Er war nun unter dem König Darius einer von drei Vorstehern über 120 Satrapen (Statthalter einer größeren Provinz), die ihnen Rechenschaft geben sollten, damit der König keinen Schaden habe. Daniel übertraf alle und der König wollte ihm Macht über das ganze Königreich geben. Dies rief Neid hervor. Die Vorsteher und Satrapen versuchten, Fehler oder Vergehen in Bezug auf seinen Dienst bei ihm zu finden, aber sie fanden nichts, weil er treu war. So wurde ihnen klar, dass sie etwas finden mussten, was im Gegensatz zu dem Gesetz Gottes stand, um ihn zu Fall bringen zu können. Sie gingen zum König und behaupteten, alle Vorsteher, Satrapen, Statthalter usw. des Reiches hätten beschlossen, dass der König eine Verordnung und ein Verbot erlassen solle, dass jeder, der innerhalb von dreißig Tagen etwas von irgendeinem Gott oder Menschen erbitten würde, außer von dem König, in die Löwengrube geworfen werden solle. So ließ dieser das Verbot aufzeichnen, was nach den Gesetzen des medopersischen Reiches noch nicht einmal durch den König abgeändert werden konnte.

Als Daniel das hörte, ging er in sein Haus und betete bei offenen Fenstern laut zu Gott und lobte ihn, wie er auch vorher getan hatte. Dies beobachteten die Männer umgehend, berichteten es dem König, erinnerten ihn an das Verbot und warfen Daniel vor, weder auf den König noch auf das Verbot zu achten. Der König wurde traurig und versuchte, Daniel zu retten, sodass die Gegner Daniels ihn noch einmal an die Unabänderbarkeit der medopersischen Gesetze und Verordnungen erinnerten. So wurde Daniel in die Löwengrube geworfen. Der König formulierte dabei die Hoffnung: „Dein Gott, dem du ohne Unterlass dienst, er möge dich retten!“ (6,17) und versiegelte anschließend die Grube. Am nächsten Morgen ging der König zu der Grube und war froh, dass er Daniel hörte, der sagte, dass ein Engel den Rachen der Löwen verschlossen habe, weil er unschuldig gewesen sei. Daniel war wegen des Vertrauens auf seinen Gott bewahrt geblieben und die Männer, die Daniel angeklagt hatten, wurde mit ihren Familien von den Löwen getötet. Darius erließ daraufhin den Befehl, dass man in seinem Reich Ehrfurcht vor dem Gott Daniels haben sollte, da dieser der lebendige Gott sei.

In dieser Begebenheit wird u.a. deutlich, wie ein Machthaber sich auf Ideen einlässt, die die Unterstützung von einflussreichen Lobbyisten haben, und durch diese zum Handeln gedrängt wird. Der Beschluss gewinnt dann eine Eigendynamik, sodass der höchste Machthaber machtlos gegen dessen Folgen ist und hoffen muss, dass es gut geht. Daniel nun hatte Grundsätze, die auf dem Wort und Willen Gottes basierten. Sie waren für ihn nicht hinterfragbar und unübertretbar. An diese hielt er sich, auch wenn das Leben dabei gefährdet war. Es ist nämlich gefährlicher, nicht zu beten, als in die Löwengrube geworfen zu werden.

Daniels Botschaft für heute

Die Behauptung, dass hinter der Geschichte ein Gott steht, klingt heute provokativ, da sie säkularen Weltdeutungen direkt widerspricht. Von Augustin bis ins 18. Jahrhundert war die göttliche Vorsehung für die europäischen Historiker jedoch ein Teil ihres Geschichtsverständnisses. Es ist nämlich eine Illusion zu glauben, dass eine Geschichtsdeutung, die jegliche Möglichkeit eines Eingreifens Gottes verneint, „objektiv“ und damit zu bevorzugen sei, während Daniels Geschichtsverständnis als „subjektiv“ abzulehnen sei. Denn schließlich ist jede Geschichtsbetrachtung gedeutete Geschichte und damit vom Deutenden und dessen Vorverständnis abhängig.

Insgesamt war die Welt der Babylonier nur auf den ersten Blick ganz anders als unsere. Daniel war nämlich mit einem Weltbild konfrontiert, das dem heutigen naturalistischen sehr ähnlich ist. Und seine tiefe Loyalität zu Gott ließ ihn zu diesem Weltbild nein sagen. Wichtig ist aber, dass er nicht gegen sein Studium als solches aufbegehrte, sondern gegen das Weltbild, das dem System Babel zugrunde lag. Weiterhin suchten er und seine Freunde das Wohl der Stadt, indem sie als Salz und Licht für Gott lebten. Dabei war das Gebet zentral, und es gab Situationen, in denen sie in Lebensgefahr schwebten. Generell ist dabei zu beachten, dass der Kampf, den Christen in diesen Bereichen führen, ein Kampf der Gedanken, der Ideen und Weltbilder und nicht der militärischen Waffen ist. An den Universitäten des heutigen Westens wird der Atheismus als einzig mögliche intellektuell vertretbare Weltanschauung gesehen, was eine klare Gegenpositionierung derjenigen von uns erfordert, die an den Gott der Bibel glauben.

Ähnliches wie bei Daniel passiert also aktuell auf den westlichen Universitäten, wobei das Problem etwas verlagert ist. Ein postmoderner, relativer Wahrheitsbegriff, der das Denken schon länger beeinflusst, führt auch dazu, dass etablierte Begriffe christlichen Denkens in ihrer Bedeutung abgeschwächt werden. Diese seien nicht mehr „politisch korrekt“. – Ebenso wie zur Zeit Daniels sein hebräischer Name und die Namen seiner Freunde (die alle zum Gott Israels in Beziehung standen) nicht mehr geduldet und durch Namen der babylonischen Götterwelt ersetzt wurden, so möchte auch heute eine säkularisierte Gesellschaft Begriffe wie „Wahrheit“, „Glaube“, „Gewissen“, „Moral“, „Sünde“, „Autorität“ usw. umdeuten.

Dieses Bestreben ist das Ergebnis einer postmodernen „Dekonstruktion“ der Wahrheit, die die Wahrheit aus dem Bereich des Objektiven in den des rein Subjektiven verbannt und damit relativer und beliebig macht. Oder um es kurz auszudrücken: Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die kaum etwas als endgültig anerkennt und als letztes Maß oft nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt. Der Konformitätsdruck macht sich in dem Augenblick bemerkbar, wo man irgendeinen Aspekt des Relativismus infrage stellt, z.B. dass alle Lebensstile als gleichwertig akzeptiert werden müssen. Das Recht auf Selbstbestimmung sticht hierbei nahezu alles andere aus, einschließlich der Tradition und der göttlichen Offenbarung. So haben wir den Selbstwiderspruch der Postmoderne, nämlich dass der Satz, es gebe keine absolute Wahrheit, als absolute Wahrheit dargestellt wird.

Wenn wir unsere Angst wirksam bekämpfen und fähig werden wollen, für unseren Glauben Rede und Antwort zu stehen, ist es wichtig, zuerst Christus zum Herrn unseres Herzens zu machen. Wenn wir andere Menschen davon überzeugen wollen, dass Gott existiert und dass man eine lebendige, sinnstiftende Beziehung zu ihm haben kann, sollten wir uns ihm und seinem Sohn gegenüber unterordnen. Es bedeutet, ein Leben zu führen, das mit dem christlichen Grundbekenntnis „Jesus Christus ist der Herr“ übereinstimmt. Daniel wusste, dass jede Verunreinigung seines Lebens seine Gottesbeziehung trüben und sein persönliches Zeugnis verderben konnte. Das gilt auch für uns. Daniel wusste auch, dass Gott Israel durch Mose und zahlreiche Propheten wiederholt vor der Gefahr der Verunreinigung durch die Praktiken der benachbarten heidnischen Kulturen gewarnt hatte, insbesondere der Kanaaniter, die für ihre Unmoral, ihren Kindsmord (in Form von Opferung von Kindern) und ihren Götzendienst berüchtigt waren. Im Neuen Testament warnt Gott uns vor ähnlichen Gefahren. Niemand von uns ist immun gegen den Verführungsdruck einer Welt, der Gott egal ist. Wenn wir Gott dienen wollen, ist es wichtig, diesen Kampf gegen das Böse von außen aufzunehmen oder je nach Lage vor der Sünde von innen zu fliehen.

Abraham war bereit, die Berufung, Identität und Bedeutung zu akzeptieren, die Gott ihm gab. So verließ er seine gottlose Heimat und wurde zu einem Menschen von großem Gottvertrauen. Wenn wir wie Abraham gelernt haben, Gott auf der Reise unseres Lebens zu vertrauen, schickt Gott uns eventuell wie Daniel zurück in die Gesellschaft, um dort „Salz“ und „Licht zu sein“, d.h. um ein Gegengewicht zu dem Bösen zu sein und zu zeigen, wie man vom Wort Gottes her denkt und handelt.

Verschleppte, entwurzelte Menschen können auch heute noch ein sehr erfolgreiches Leben führen, egal in welcher Kultur, wenn sie bereit sind, wie Daniel in der Schule Gottes zu lernen und darin zu bleiben. Das Gebet spielt dabei eine wichtige Rolle. Daniels Identität lag in Gott gegründet und die Babylons in sich selbst und in satanischen Grundsätzen. Das konnte nicht konfliktfrei funktionieren. So wie das heute auch nicht konfliktfrei funktioniert, wenn Christen mit diesen Prinzipien in Kontakt kommen. Die Hingabe an Gott und das Wegwenden von ihm entgegenstehenden Grundsätzen ist zeitlos gültig. Höflich, respektvoll und zurückhaltend zu sein, ist dabei ebenso zu beachten, wie den Grundsätzen Gottes treu zu bleiben, selbst wenn dies das Leben kosten kann. Durch Treue entsteht Segen. So lobten sogar heidnische Könige den Gott Daniels und ehrten ihn.

In Bezug auf gottlose, antichristliche Lobbygruppen ist Vorsicht geboten. Während in Diktaturen die Gefahren eher bei massiven äußeren Repressalien liegen, liegen diese im Westen eher darin, dass diese Lobbygruppen immer mehr die Regierungspolitik negativ beeinflussen, sodass das eine gefährliche Eigendynamik gewinnt. Während in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so z.B. Eugenikprogramme durchgeführt wurden, ist heute in den westlichen Demokratien besonders der postmoderne Relativismus und seine Auswüchse eine große Gefahr. Dieser schwächt nämlich die Konzepte von Wahrheit, Moral und vom Wert des menschlichen Lebens. Hinzu kommt noch der Ich-Kult. So wird eine egozentrische Gesellschaft geschaffen, wo Wahrheit und Moral so umdefiniert werden, dass sichergestellt werden soll, dass das Ich absolutgesetzt wird. Das, was dem Christentum letztlich den Widerstand bringt, ist auch sein Anspruch, einzigartig zu sein. Dies ist nämlich für jeden, der behauptet, dass es keine absolute Wahrheit gibt, eine Zumutung oder auch der Gipfel der „Intoleranz.“ Toleranz bedeutet eigentlich, dass ich lerne, z.B. mit anderen Meinungen oder Lebensstilen zu leben, ohne ihnen meine Position aufzuzwingen. Heute hat sich das Verständnis dahingehend gewandelt, dass die „Toleranz“ bei der „Kränkung“ oder „Verletzung“ ansetzt und fordert, dass man grundsätzlich niemand kränken dürfe, indem man etwas an seinem Verhalten oder seiner Meinung kritisiert. Diese neue Toleranz lehnt alle absoluten Aussagen ab bis auf Folgende: Du musst tolerieren, was die anderen denken oder tun, aber Intoleranz darfst du auf keinen Fall tolerieren. Das bedeutet, dass Kritik in diesen Zusammenhängen zunehmend verboten ist. Somit sollen also auch widerbiblische Inhalte bejaht werden. Daher wird Toleranz zu einem Synonym für bedingungslose Bejahung und Tyrannei. Somit sind die Menschen dabei, die Dimension der Werte und Wahrheitsfähigkeit zu verlieren.

Der Gott der Bibel ist der Herr der Geschichte und der Zukunft. Es regiert also nicht das (blinde) Schicksal. Wer eine Beziehung zu ihm hat, kann damit gut leben und sterben. – Und unser Leben sollte ihn ehren.

Jochen Klein

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