Carl R. Trueman ist Professor für Bibel- und Religionswissenschaften am Grove City College in Pennsylvania (USA) und Autor zahlreicher Bücher. 2020 erschien von ihm das umfangreiche Werk Der Siegeszug des modernen Selbst (deutsch 2022). Über dessen Ziel schreibt er: „Meine Aufgabe sehe ich darin, die tiefen geschichtlichen Wurzeln der Vorstellungen aufzuzeigen, die heute das bewusste und unbewusste intuitive Denken der Menschen im Westen prägen und eine Erklärung dafür liefern, warum die Gesellschaft so denkt und handelt, wie sie es tut … Ich will also in erster Linie den geistesgeschichtlichen Hintergrund der modernen Revolution des Selbst dokumentieren und deutlich machen, dass die Ideen von Schlüsselpersonen, die vor langer Zeit gelebt haben, unsere Kultur auf allen Ebenen durchdrungen haben. Das fängt auf den Fluren akademischer Institutionen an und geht bis hin zum allgemeinen Lebensgefühl der Menschen.“
Da das Buch ziemlich komplex und teilweise auch recht kompliziert ist,[1] wurde der Autor von einem Freund angeregt, eine kürzere, verständlichere Version mit den grundlegenden Argumenten für Nicht-Fachleute zu schreiben. Diese erschien 2022 auf Englisch und kürzlich nun auch auf Deutsch unter dem Titel Fremde neue Welt. Wie Philosophen und Aktivisten Identität umdefiniert und die sexuelle Revolution entfacht haben. Trueman betont, das neue Buch sei „keine präzise Zusammenfassung meines dickeren Buches Der Siegeszug des modernen Selbst, sondern beschäftigt sich mit dem gleichen Thema auf kürzere und (hoffentlich) zugänglichere Weise“. Dies kann man als Leser bestätigen. Die Gedanken werden zumeist weniger komplex ausgedrückt, und es gibt mehr explizit erklärende Formulierungen als in dem anderen Buch. Inhaltlich beginnt der Autor bei Descartes und zieht die Linie über Rousseau, die Romantik, Hegel, Marx, Nietzsche, Freud, Wilhelm Reich und Herbert Marcuse. Er zeigt, wie der Siegeszug des expressiven Ichs vom Denken zum Gefühl geht und wie das Fühlen von der Sexualität bestimmt wird.
Wie das umfangreichere Werk setzt auch dieses historische und geistesgeschichtliche Kenntnisse – einschließlich solcher Begriffe und Konzepte – voraus. Daher gilt die Empfehlung auch hier für an solchen Fragestellungen Interessierte und unbedingt für Studenten der Geisteswissenschaften.
Ein Mangel besteht wie im vorigen Band darin, dass in der Übersetzung zu wenig der Konjunktiv benutzt wird. Wer mit dem Thema weniger vertraut ist, könnte daher bei manchen Passagen zweifeln, ob es sich um die Position des Autors handelt oder um die, die er (kritisch) referiert. Auch wenn im großen Zusammenhang die Botschaft klar wird, wäre es eine Hilfe, die entsprechenden Passagen sprachlich klarer zu markieren.
Das Kapitel „Fremde in einer fremden neuen Welt“ rundet das Werk ab (es folgen noch ein Glossar und Endnoten mit Literaturangaben). In diesem Kapitel werden biblische Hilfen für ein Leben unter diesen Umständen formuliert. Sie sind weitgehend bedenkenswert, wobei man sich nicht allen anschließen muss. Es wird deutlich, dass diese Welt nicht die Heimat des Christen ist, weshalb wir auch keine heimatlichen Annehmlichkeiten erwarten dürfen. Als Schlüssel für die Existenz des Menschen werden Tod, Auferstehung und Wiederkunft des Herrn Jesus Christus formuliert. Unter dieser Perspektive können wir auch in dieser „fremden neuen Welt“ gut bestehen.
Somit kann dieses Buch ebenfalls empfohlen werden – auch solchen, die den Vorgängerband bereits gelesen haben.
Jochen Klein
[1] Eine ausführliche Rezension auf www.denkendglauben.de
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