denkend glauben

Jochen Klein

Texte und Materialien zum christlichen Glauben

Typisch Gemeinde.

Nachdenken über die Anfänge

Viele Götter gab es bei den großen Völkern der Antike. So zum Beispiel bei den Ägyptern, Babyloniern, Medopersern, Griechen und Römern. Auch zur Zeit des Kaisers Augustus gab es im Römischen Reich eine Vielzahl. Traditionelle römische und griechische gehörten ebenso dazu wie orientalische Kulte und Schutzgeister. Hilfe suchte man auch bei Wahrsagern, Astrologen, Magiern oder dem Orakel. Mit manchen Kulten ging sexuelle Ausschweifung einher. Augustus hatte dafür gesorgt, dass 28 v.Chr. allein in Rom 82 Tempel der Götter wieder in Stand gesetzt wurden. Es existierten aber auch unterschiedliche Philosophien, Theorien und Konzepte, wie sie z.B. von den griechischen und römischen Philosophen überliefert sind. Zumindest in der Grundstruktur bestehen sie zum Teil noch bis heute.

Wenn wir für diese Zeit etwas Typisches festhalten möchten, dann ist das u.a. eine gewisse Vielfalt und auch Orientierungslosigkeit, aber auch ein Suchen nach Sinn und Vergnügen – um von (okkulter) Gebundenheit noch gar nicht zu reden.

Doch dann passierte eben zur Zeit des Augustus etwas, das weitreichende Folgen haben sollte: Weit entfernt in der Provinz Judäa wurde Jesus in Bethlehem geboren. Nach seinem Tod und seiner Auferstehung waren seine Anhänger zunächst erschüttert, ratlos und verzweifelt; sie hatten gedacht, Jesus würde König über Israel werden und sie von der Herrschaft der Römer befreien. Nach wenigen Tagen aber waren sie wie verändert. Petrus predigte mit großer Überzeugung in Jerusalem. Er erklärte, dass Gott Jesus aus dem Tod auferweckt habe, wovon er und andere Zeugen seien. Er bewies, dass der Tod und die Auferstehung Jesu in den jüdischen Schriften vorhergesagt waren. Und er forderte die Zuhörer auf, zu Jesus umzukehren, damit sie von ihren Sünden befreit würden. – Und so kam eine Entwicklung in Gang, die bis heute anhält. Als dann Paulus seinen Dienst begann und Missionsreisen unternahm, entstanden immer mehr Gemeinden. Er wurde der bekannteste und wichtigste Missionar des frühen Christentums, doch er war keineswegs der einzige jener frühen Boten, die zur schnellen Verbreitung des christlichen Glaubens beitrugen. Die Glieder einer Gemeinde wirkten auch von Person zu Person. Sklaven, Kaufleute, Deportierte, Soldaten und Reisende brachten über die römischen Straßen und Handelswege das Evangelium in die ganze Welt. Dies wurde durch die Einheitssprache des Reiches (Griechisch) begünstigt.

Zentren waren dabei u.a. Städte, deren Namen auch von den neutestamentlichen Briefen bekannt sind: Philippi, Ephesus, Korinth und Kolossä. Nach der Kanonisierung des Neuen Testaments gab es zunehmend eine (gewisse) Homogenität in Bezug auf Heilslehre, ethische Normen, Zukunftserwartung usw. Gleichzeitig müssen wir auf der Grundlage des neutestamentlichen Befunds und außerbiblischer Quellen aber auch von einer (gewissen) Heterogenität der Gemeinden und ihrer Glieder ausgehen.

Die Gemeinde war als Gemeinschaft ein Kontrast, eine Art Gegenkultur in ihrem Umfeld. Dies war für viele Zeitgenossen sowohl provokativ als auch attraktiv. Die Grundlage dafür war die einzigartige Form des Glaubens, von Umkehr und Liebe geprägt. Vorher war die Identität eines Einzelnen eher ein Aspekt seiner ethnischen oder nationalen Identität. Er verehrte also in der Regel die Götter, die in der Region verehrt wurden. Neu war nun, dass man seinen Glauben unabhängig von Volk und Klasse haben konnte. Das spezifisch Christliche war dabei, dass der Glaube an Christus die neue Identität ausmachte und nicht Volkszugehörigkeit, Klasse oder Geschlecht. Deren Bedeutung wurde sekundär. Dass alle Christen „Söhne Gottes durch den Glauben an Christus Jesus“ waren (Gal 3,26) und so eine gewisse Gleichheit hatten, unabhängig von Stand, Freiheit oder Nationalität, war ein Kontrast zum römischen Gesellschaftsdenken.

Besonders in der Apostelgeschichte sehen wir eine erstaunliche Einheit unter den Christen mit verschiedenstem Hintergrund. Die Wichtigkeit von Versöhnung und Harmonie wird auch in den neutestamentlichen Briefen immer wieder betont. Bei Angriffen und Verfolgungen von außen wurden die Christen entgegen der (damaligen) Kultur zum Erdulden und nicht zur Rache aufgefordert. Weiterhin war das Kümmern um Hilfsbedürftige jenseits der Familie oder des Stammes in der damals praktizierten Form neu. Die Hilfe galt z.B. Lehrern, Witwen, Waisen, Kranken, Schwachen, Arbeitsunfähigen, Gefangenen (auch in den Bergwerken), Sklaven, Zugereisten und Kindern, die keiner haben wollte und die so ausgesetzt wurden. Weiter gab es eine neue sexuelle Moral, und als Schlüssel für den Umgang miteinander wurde die Liebe postuliert.

Was das Einbringen in die Gesellschaft angeht, so wurde, wie außerbiblische antike Quellen deutlich machen, schon früh diskutiert, wie weit Christen dabei gehen dürfen. Dies betraf auch den täglichen Beruf, bei dessen Ausübung ein Einbringen in die Gesellschaft häufig unumgänglich war. Manche Berufe waren auch in sich anrüchig, besonders wenn sie z.B. mit Götzendienst in Verbindung standen. Händler-, Beamter- oder Offiziersein wurde ebenfalls kritisch reflektiert.

Nach älteren Zeugnissen bestand die Gemeinde zunächst vorwiegend aus geringeren Leuten wie Sklaven, Freigelassenen und Handwerkern. Dass das Christentum vorwiegend eine Bewegung der Sklaven oder der untersten Schichten der Städte gewesen sei, ist eine Behauptung seiner Gegner, weil man damals soziale Niedrigkeit mit Minderwertigkeit gleichsetzte. Diese These ist jedoch widerlegt. Die untersten sozialen Schichten und die Sklaven scheinen in der Gemeinde eine Minderheit ausgemacht zu haben. Die Masse rekrutierte sich wohl aus den mittleren Schichten, den Handwerkern und Händlern. Höhergestellte waren z.B. der Prokonsul Sergius Paulus in Zypern, in Athen Dionysius der Areopagit, in Beröa „von den griechischen vornehmen Frauen und Männern nicht wenige“ (Apg 17,12). In Römer 16,23 ist von dem „Stadtkämmerer Erastus“ (Schatzmeister) die Rede, der somit im öffentlichen Dienst einer Stadt stand, und auch Priscilla, die Mitarbeiterin des Paulus, muss wegen ihrer guten Bildung wohl zu den oberen Ständen gerechnet werden. Im Jakobusbrief werden die Reichen zurechtgewiesen und der Umgang mit ihnen wird kritisiert. Somit muss es einige von ihnen gegeben haben.

Die Gemeinde in Rom bekam nach Tacitus relativ bald Zuwachs aus höheren Ständen. Ignatius setzt voraus, die Gemeinde sei so einflussreich, dass sie ein Martyrium hintertreiben könne, was nur bei einflussreichen Mitgliedern möglich war. Auch reiche und Handel treibende Christen sind dort historisch verbürgt. Nach 100 n.Chr. ist auch ausdrücklich von sehr gebildeten Männern die Rede, die der Gemeinde angehörten. Ab ca. 175 n.Chr. wird aus Rom überliefert, dass sich die christliche Predigt in allen Kreisen verbreitete. Etwas später muss der Zuwachs aus höheren Ständen stattgefunden haben.

Wenn Paulus den Philipperbrief damit schließt (4,22), dass er die Empfänger besonders von Gläubigen am kaiserlichen Hof (in Rom) grüßt, sehen wir, dass es Beziehungen der Gemeinde in Philippi zu dieser Gruppe gegeben haben muss. Es lassen sich schon früh auch weitere Kontakte zu Gläubigen am Kaiserhof nachweisen.

Nehmen wir noch die Gemeinde in Korinth als Beispiel. Sie war kulturell und gesellschaftlich vielgestaltig. Zu ihr gehörten Juden, Proselyten und Gottesfürchtige sowie Heiden, d.h. ehemalige Polytheisten. Einige in der Gemeinde gehörten zu den gehobenen Schichten der Stadt, z.B. Crispus, der Synagogenvorsteher, Titius Justus und Gaius, in deren Häusern Paulus zeitweise wohnte. In der Überlieferung werden auch weitere wohlhabende Christen erwähnt, die ihre Häuser für Zusammenkünfte der Gemeinde zur Verfügung stellten. Die Leute, die sich zu den Weisen, Mächtigen und Edlen zählen konnten (1. Kor 1,26), waren aber wohl auch in Korinth in der Minderheit. Aquila und Priscilla gehörten als Zeltmacher dem Handwerkerstand an. Es gab auch hier Sklaven. Was überraschen mag, ist nicht so sehr die komplexe ethnische und gesellschaftliche Zusammensetzung der Gemeinde, sondern die Macht des Evangeliums, Männer und Frauen von unterschiedlicher Herkunft so zu verändern, dass sie eine gemeinsame Wurzel ihrer Identität als zum einen „Leib“ (1. Kor 12,13) gehörend anerkannten.

Wer das Neue Testament, aber auch frühe christliche Quellen zur Kenntnis nimmt, wird bemerken, dass Frauen im apostolischen und nachapostolischen Zeitalter eine bedeutende Rolle spielten (besonders im Vergleich zu den zeitgenössischen Konventionen). Auch die damit verbundene Position machte das Christentum für viele Frauen attraktiv.

Fassen wir diesen schlaglichtartigen Einblick zusammen: Typisch für die frühen Gemeinden war eine erstaunliche Vielfalt von Status, Herkunft und Geschlecht. Die Menschen hatten Orientierung und Befreiung in Gott gefunden und sahen sich in Christus verbunden. Und diese Vielfalt war kein Hindernis – wenn es auch Probleme gab –, sondern eine Bereicherung mit einem Zentrum: „Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus“ (Gal 3,28). Das sollte uns für unsere Gemeindeleben neu ausrichten und motivieren!

Jochen Klein

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