Schon seit einigen Jahren wird das Thema „Fundamentalismus“ von den Medien in Deutschland immer wieder aufgegriffen. Eine wichtige These dabei ist, dass der „christliche Fundamentalismus“ an Einfluss gewinnt. Gemeint sind dabei zumeist evangelikale Christen, die mit diesem Modewort in Verbindung gebracht werden. Meistens wird der Begriff aber nicht zur wertneutralen Beschreibung verwendet, sondern als politisches und religiöses Schlagwort, als Synonym für die Gefahr in Bezug auf Frieden und Fortschritt oder als Kampfbegriff, um Personen (-gruppen), die vom Zeitgeistdenken abweichen, abzuurteilen bzw. um Gegner mit einem Schimpfwort zu disqualifizieren.
Um sich unter anderem über Herkunft, Wandlung und Problematik des Begriffs zu informieren, ist es sinnvoll, das Buch Sind Evangelikale Fundamentalisten? von Eckhard J. Schnabel zur Hand zu nehmen. Er macht deutlich, dass der Begriff auf die Jahre 1910 und 1915 zurückgeht und im Zusammenhang mit der Entwicklung der amerikanischen Kirchengeschichte steht. Damals erschien dort eine Schriftenreihe, um „fundamentale“ christliche Überzeugungen gegen bibelkritische Strömungen zu verteidigen. So wird seit dieser Zeit der Begriff „Fundamentalisten“ auf Christen angewandt, die sich zu wichtigen Fundamenten und Aussagen der Bibel bekennen, wobei die Bezeichnung anfangs fast als Ehrentitel zu verstehen war.
Doch der Auslöser für eine zunehmende Verwendung des Fundamentalismus-Begriffs in den Medien und damit in der breiten Öffentlichkeit war die islamische Revolution des schiitischen Ayatollahs Khomeini im Iran Anfang 1979. Der Islamist verwarf die Industrialisierungs- und Modernisierungspolitik des Schah, lehnte Pluralismus und Demokratiebewegungen ab, verwarf eine Trennung zwischen Religion und Staat und somit eine Durchsetzung der Religionsfreiheit und Menschenrechte. Khomeini berief sich auf den Absolutheitsanspruch des Koran und der islamisch-schiitischen Überlieferungen – und wurde fortan als „Fundamentalist“ bezeichnet. Der Begriff „Fundamentalismus“ hat also in der öffentlichen Verwendung und Wahrnehmung eine Wandlung erfahren – bis die Bezeichnung in aktuellen Diskussionen um Abtreibung und Evolution auch auf Christen angewandt wurde, die nun als ebenso engstirnig und gefährlich wie ein moslemischer Ayatollah gelten und in den Medien gleichsam auf eine Stufe gestellt werden. Wenn also im Zuge der aktuellen Debatte um die Frage, wer denn eigentlich „Fundamentalisten“ sind, auch Christen mit dem Begriff bezeichnet werden, so wird die gewandelte Definition des Wortes schlicht ignoriert. „Fundamentalisten“ sind im heutigen, allgemeinen Verständnis Menschen, die durch Gewalt ihre Glaubensüberzeugungen vertreten und verbreiten wollen.
Aber es wird noch mehr bei Schnabel deutlich: Er führt ausführlich die Notwendigkeit von Fundamenten im christlichen Glauben aus und warnt vor manchen Gefahren, die mit dazu beitragen können, dass wir von der Öffentlichkeit nicht ganz zu Unrecht als „Fundamentalisten“ mit einer negativen Nebenbedeutung bezeichnet werden. Bei der Lektüre fallen aus meiner Sicht wenige zu bemängelnde Aspekte auf. So z.B. die Verwendung eines fragwürdigen Beispiels und die anschließende Schlussfolgerung, diese Praxis sei nicht unbedingt schädlich, problematisch werde es, wenn man sie damit begründe, dass sie in der Bibel stehe und Christen der Bibel gehorchen sollten, auch dann, wenn man die Anordnung nicht verstehe. Wer von uns versteht schon alle Anordnungen in der Bibel? – De Weiteren kann die kleine Passage über Dispensationalismus, in der sich der Autor aber um Ausgewogenheit bemüht, zum Teil etwas befremden, ebenso die meines Erachtens etwas zu starke Betonung der Souveränität Gottes in Bezug auf die Errettung.
In der Internet-Enzyklopädie Wikipedia ist unter dem Stichwort „Fundamentalismus“ Folgendes zu lesen: „In der europäischen Presse wird diese Antipathie [gegen den Patriotismus amerikanischer Evangelikaler] oft am Thema Kreationismus kondensiert. Grund hierfür ist auch der medien-ökonomische Sachzwang, mit möglichst wenig Aufwand bei der Leserschaft möglichst viel emotionales Engagement hervorzurufen“. Dass dies zutrifft, zeigte kürzlich die Mediendiskussion um den Kreationismus im Biologieunterricht an zwei Gießener Schulen. Beachtenswert ist auch die Feststellung von Jan Ross in der Zeit: „Was an der Fundamentalismusdiskussion indes bedenklich stimmt, ist eine oft geradezu irrationale Angst vor jeder Art von unbedingten Wahrheitsansprüchen und Glaubensgewissheiten. Als Gefahr für die liberale Gesellschaft gilt vielfach nicht nur, wer dem anderen seine Überzeugungen aufzwingen will, sondern schon, wer überhaupt welche hat“ (40/2001). Es kann davon ausgegangen werden, dass die Fundamentalismus-Diskussion in Zukunft immer wieder aufkommen wird. Also kann es nicht schaden, sich mit Hilfe dieses empfehlenswerten Buches dem Thema einmal etwas mehr zu widmen.
Mit dem Autor bleibt festzuhalten: „Wo mit ‚Fundamentalismus’ … Qualitäten angesprochen sind, die Christen aufgrund der biblischen Vorgaben nicht preisgeben können und wollen, halten wir trotz polemischer Pauschalkritik fröhlich an diesen fest, weil sie zum Glauben gehören. Ich denke hier an das brennende Verlangen, das Evangelium zu verkündigen, an den Widerstand gegen Anschauungen, die das Evangelium zerstören, auch an die Verteidigung der Wahrheit und der Autorität der Heiligen Schrift. Hüten wir uns davor, diese Grundelemente biblischen Glaubens in ihrer Bedeutung herunterzuspielen, nur weil ihre Betonung heute nicht populär ist und weil wir Angst haben, uns zu blamieren. Selbst wenn die ganze Stadt, die ganze Gesellschaft, ja die Nationen ‚gegen den Herrn und seinen Gesalbten’ aufstehen, bleiben Christen standhaft beim Wort Gottes, das sie weiterhin mit Freimütigkeit weitersagen, im Wissen darum, dass der Ratschluss Gottes geschieht (Apg 4,24–30)“ (S. 94).
Jochen Klein
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