Es ist eine gute Tradition, dass den Brüdergemeinden nahestehende Verlage auch immer wieder an das Wirken von Werkzeugen Gottes erinnern, die nicht direkt mit der Brüderbewegung in Verbindung stehen. So gab es z.B. schon vor 100 Jahren die Buchreihe „Lebensbilder von Zeugen Gottes“, in der Emil Dönges Männer des Glaubens beschrieb, so auch Johannes Calvin anlässlich seines 400. Geburtstags (siehe: www.arhelger.comt.de/deu/doenges/calvin.pdf). Zu dessen 500. Geburtstag erschienen nun in den Zeitschriften Perspektive (CV) und fest und treu (CLV) Artikel über Calvin, und die Christliche Verlagsgesellschaft brachte – zusammen mit der Nachrichtenagentur idea – eine Monographie über ihn heraus. Sie wurde als erster Band einer neuen Reihe über „Helden des Glaubens“ veröffentlicht.
Das Buch ist klar gegliedert und verständlich geschrieben. In den beiden Hauptkapiteln werden zuerst Calvins Leben und dann seine Lehre ausführlich erläutert. In drei kurzen Kapiteln folgen dann seine Bedeutung, „Herausforderungen an Christen heute“ und Zitate von ihm zu unterschiedlichen Themen. Abgerundet wird das Ganze mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis. Das Buch ist sachlich und nüchtern geschrieben und bietet sehr gut die Möglichkeit, sich zu Teilthemen noch intensiver zu informieren, auch weil fast 300 Fußnoten auf die jeweils relevante Literatur hinweisen.
Warum sollte man sich nun überhaupt mit Calvin beschäftigen? Der Klappentext meint: „Neben Martin Luther gilt Johannes Calvin (1509–1564) als einer der bedeutendsten Reformatoren. Er prägte nicht nur die reformierte Kirche in der Schweiz, sondern Christen und Gemeinden in allen Teilen der Welt. Seine theologischen Konzepte beeinflussten entscheidend Ethik, Wirtschaft, Politik und Kunst. Bis heute werden seine Gedanken zum Erwählungshandeln Gottes, zum Umgang mit der Bibel, zum Verhältnis von Staat und Kirche sowie zum Aufbau der Gemeinde diskutiert.“ Dies ist zweifellos so. Man könnte weiter noch die zentrale Bedeutung und Autorität der Bibel bei Calvin erwähnen, die Rechtfertigung aus Glauben, die Gnade Gottes, die Verdorbenheit des Menschen und dass nicht der Mensch, sondern Gott an erster Stelle steht.
Nachdem man dieses Buch gelesen hat, kann man etliche Entwicklungen und Lehrauffassungen definitiv besser verstehen und einordnen, und wichtige Aspekte sind einem wieder neu bewusst geworden. Aber es ergeben sich auch Fragen. Schon seit ca. 20 Jahren scheint ja die calvinistische („reformierte“) Theologie in evangelikalen Kreisen und auch in der „Brüderbewegung“ an Einfluss zu gewinnen (dass dies keine Hypothese ist, belegt allein die Tatsache, dass immer mehr Bücher dieser theologischen Richtung verlegt und angeboten werden). Es besteht jedoch die Gefahr, dass dadurch wichtige biblische Lehren, die die „Brüder“ im 19. Jahrhundert aus der Bibel erkannten und die auch in weiten Teilen der Brüdergemeinden grundlegende Bedeutung hatten, verloren gehen. Weder in den aktuellen Zeitschriftenartikeln noch im vorliegenden Buch wird auch nur am Rande auf problematische Lehrauffassungen Calvins eingegangen, auch nicht in der Perspektive bei der Besprechung von dessen Hauptwerk, der Institutio (860 Seiten), die „zu den wichtigsten Schriften den Christenheit“ gehöre. Wer sich über problematische Aspekte der reformierten Theologie informieren möchte, kann dies sehr gut in einem Aufsatz von George Zeller tun (auf Deutsch www.middletownbiblechurch.org/german/dangers.pdf, auch abgedruckt in Zeit & Schrift 2–4/2009, www.zs-online.de), weiterhin auf www.soundwords.de unter den Stichworten „Calvinismus“ und „Dispensationalismus“. Zeller weist z.B. darauf hin, dass nach Auffassung der reformierten Theologie 1. Christus nicht für alle Menschen, sondern nur für die Erwählten gestorben sei; 2. die Wiedergeburt dem Glauben vorausgehe, man also wiedergeboren sein müsse, damit man glauben könne; 3. der Glaube an den Herrn Jesus als Erretter nicht ausreiche, sondern auch die völlige Hingabe an ihn als Herrn zur Errettung notwendig sei; 4. der Gläubige keine alte Natur mehr besitze; 5. das Tausendjährige Reich nicht buchstäblich, sondern im übertragenen Sinne zu verstehen sei; 6. die Israeliten des Alten Testaments und die Gläubigen des Neuen Testaments zu ein und demselben Volk gehörten, Israel in der Gemeinde seine Fortsetzung finde und die Gemeinde die Gesamtheit der Gläubigen aller Zeiten sei; 7. die Gläubigen dem Gesetz als Lebensregel unterworfen seien. Er kommt zu dem Schluss: „Wenn die reformierte Theologie auch viele Vorzüge aufzuweisen hat, so liegt sie doch in einigen wichtigen Punkten falsch“.
Es gibt sicher manche gute Literatur von Gläubigen, die die „reformierte Theologie“ vertreten, und große „Glaubenshelden“ seit Jahrhunderten. Die hier vorgestellten Veröffentlichungen können uns anspornen, mit diesen Hintergründen etwas vertrauter zu werden, um Hilfreiches von weniger Hilfreichem besser unterscheiden zu können.
Jochen Klein
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