Hochmütige Menschen sind einem zuwider. Aber noch mehr und wichtiger: Sie sind Gott zuwider (oder „ein Gräuel“; Spr 16,5). Und trotzdem neigen wir alle zu Stolz und Hochmut und legen beides des Öfteren an den Tag. – Wie z.B. in jener Geschichte: Ein Mann bekam von seiner Gemeinde einen Anstecker, der ihn als demütiges Mitglied der Gemeinde auszeichnete. Am folgenden Sonntag trug er diesen voller Stolz. Das führte dazu, dass ihm die Gemeinde den Anstecker wieder wegnahm. Die Lehre ist klar: Sobald man denkt, man sei demütig, ist man es nicht mehr; sobald wir denken, wir sind im Besitz der Demut, haben wir sie schon verloren.
Auf die Frage, welche Eigenschaft die wichtigste im Leben eines Christen sei, antwortete Augustinus: „Demut.“ Als man ihn dann nach der zweit- und drittwichtigsten Eigenschaft fragte, gab er die gleiche Antwort. Dass er und andere bekannte Männer der Kirchengeschichte der Demut eine so hohe Bedeutung beimaßen, liegt u.a. daran, dass das Gegenteil der Demut, der Stolz, letztlich bemüht ist, Gott zu entthronen und sich selbst auf den Thron zu setzen. Auch dem Nächsten gönnt er eine gehobene Position nicht, sondern er setzt immer die Selbsterhebung über den Dienst am Nächsten. Ein Mensch, der wirklich demütig ist, hat also eine theozentrische Denkweise, er stellt Gott in den Mittelpunkt all seiner Fragen. Im Gegensatz dazu nimmt eine stolze Person eine anthropozentrische Haltung ein, bei der der Mensch im Zentrum aller Dinge steht. Dementsprechend ist das Bekenntnis Johannes des Täufers „Er [Christus] muss wachsen, ich aber abnehmen“ (Joh 3,30) ein wesentliches Mittel auf dem Weg zu echter Demut. Die gegenteilige Gesinnung finden wir beim Fall Satans und seiner Engel. Sie waren stolz, erhoben sich gegen Gott und mussten schließlich die Folgen davon tragen.
So viel steht also fest: „Für uns alle, die wir nach dem Sündenfall geboren wurden, ist der Stolz ein natürlicher und vorherrschender Charakterzug. Wahre Demut ist unnatürlich und außergewöhnlich für alle, die noch nicht im Himmel sind.“ Und: „Unser Weg zur wahren Demut beginnt mit der Wiedergeburt. Die Bibel sagt sehr deutlich, dass ein nicht wiedergeborener Mensch nicht wirklich demütig sein kann.“ So formuliert es Wayne A. Mack in seinem Buch über Demut. „Dieses Buch wurde aus der Bemühung heraus geschrieben, Stolz und Demut aus biblischer Sicht zu verstehen. Es soll uns helfen, den zerstörerischen Stolz-Faktor in unserem Leben zu reduzieren und die wahre Demut in uns zu fördern“, so der Autor. Er hat den Text in sieben Kapitel unterteilt: 1. Die Bedeutsamkeit der Demut, 2. Demut Gott gegenüber, 3. Demut anderen Menschen gegenüber, 4. Ein Porträt wahrer Demut, 5. Die Torheit des Stolzes, 6. Ja – aber wie?, 7. Mehr zum „Wie“. Am Ende der Kapitel sind jeweils „Übungsaufgaben zur Anwendung / Diskussion“ abgedruckt, die einem helfen können, das Gelesene zu reflektieren oder – mit Hilfe von Bibelstellen – zu vertiefen. Am Schluss des Buches sind noch Bibelstellen über Stolz und Demut sowie ein Schriftstellenverzeichnis zu finden.
Einige zentrale Aspekte, auf die der Autor eingeht, sollen im Folgenden wiedergegeben werden.
Das Tal der Demut steht für die erniedrigenden Erfahrungen, die Gott in unserem Leben zulässt, um die Sünde des Stolzes auszulöschen und uns zu helfen, göttliche Demut zu entwickeln. Diese demütigenden Erfahrungen machen wir Gläubigen heute genauso wie alle anderen Gläubigen im Lauf der Geschichte. Gott lässt zu, dass wir erniedrigende Situationen erleben, weil er unseren Glauben prüfen und festigen will. Er führt uns ins Tal der Demut, weil er die Prüfungen in unserem Leben dazu gebrauchen will, in uns Geduld zu bewirken. Letztlich werden wir unserem Herrn Jesus Christus immer ähnlicher, wenn wir in der Demut wachsen, und das ist ein großes Privileg! Gott gebraucht auch die schwierigen Umstände, um uns klar zu machen, dass wir in jeder Hinsicht von Gott abhängig sind. Wahre Demut setzt nämlich voraus, dass wir uns unserer vollkommenen Abhängigkeit von Gott bewusst sind und diese voll anerkennen. Ein gutes Beispiel dafür ist Joseph, der so viele Jahre hindurch gehorsam bleiben konnte, weil er ein demütiger Mensch war. Anders hätte er das viele Unrecht, das ihm zugefügt wurde, nicht verkraftet und hätte verbittert aufgegeben.
Von Spurgeon ist in diesem Zusammenhang Folgendes überliefert: „Es ist für uns von allergrößter Wichtigkeit, dass wir demütig gehalten werden. Es ist für uns eine hassenswerte Illusion, wenn wir uns selbst für wichtig halten, aber eine, der wir so leicht verfallen, wie das Unkraut auf einem Dunghaufen wächst. Wenn der Herr uns gebraucht, träumen wir auch bald davon, wichtig zu sein; wir denken, wir sind für die Gemeinde unersetzlich, tragende Säulen des Werkes und Grundsteine des Tempels Gottes. Wir sind Nichts und Niemande, aber dass wir nicht so denken, ist sehr offensichtlich, denn sobald wir außer Gefecht gesetzt worden sind, fangen wir an, ängstlich zu fragen: ‚Wie wird die Arbeit ohne mich weitergehen?‘ Genauso gut könnte die Fliege, die auf dem Rad der Postkutsche sitzt, fragen: ‚Wie werden die Briefe ohne mich ausgetragen werden?‘ Es sind schon viel bessere Männer zu Grabe getragen worden, ohne dass das Werk des Herrn zum Stillstand gekommen wäre. Manchmal nimmt Gott uns die Kraft zu einem Zeitpunkt, wenn es so scheint, als würden wir am meisten gebraucht. Damit will er uns zeigen, dass wir für das Werk Gottes nicht unverzichtbar sind. Es ist in der Tat überaus wünschenswert, dass das Ich klein gehalten und der Herr allein groß gemacht wird.“
Auch die Israeliten hatten oft Problem damit, Gott die Ehre zu geben. Vierzig Jahre wanderten sie durch die Wüste, wobei sie Gott täglich vertrauen mussten, dass er sie mit allem Nötigen versorgen würde. Aber Gott wusste, dass ihre Herzen immer noch voller Stolz waren. Bevor er sie in das verheißene Land führte, ein Land mit vielen Schätzen, warnte er sie davor, stolz zu werden, ihre Erinnerungen verblassen und ihr Denken verzerren zu lassen. Stolz bewirkt nämlich, dass wir Gott vergessen: „Denn der HERR, dein Gott, bringt dich in ein gutes Land, ein Land …, in dem du nicht in Dürftigkeit Brot essen wirst, in dem es dir an nichts mangeln wird … Und hast du gegessen und bist satt geworden, so sollst du den HERRN, deinen Gott, für das gute Land preisen, das er dir gegeben hat. Hüte dich, dass du den HERRN, deinen Gott, nicht vergisst, sodass du seine Gebote und seine Rechte und seine Satzungen nicht hältst, die ich dir heute gebiete, damit sich dein Herz nicht erhebt, wenn du isst und satt wirst und schöne Häuser baust und bewohnst und dein Rind- und Kleinvieh sich mehrt und Silber und Gold sich dir mehren und alles, was du hast, sich mehrt und du den HERRN, deinen Gott, vergisst … und du in deinem Herzen sprichst: Meine Kraft und die Stärke meiner Hand hat mir dieses Vermögen verschafft! Sondern du sollst dich daran erinnern, dass der HERR, dein Gott, es ist, der dir Kraft gibt, Vermögen zu schaffen“ (5. Mo 8,7–18).
Die Demut Johannes des Täufers kann dagegen als beispielhaft gelten: „Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden von Jerusalem Priester und Leviten sandten, um ihn zu fragen: Wer bist du?“ (Joh 1,19). Was wäre unsere Antwort auf so eine Frage gewesen? Wir würden wahrscheinlich von unserer Familie erzählen, von unserem Beruf und unserer Bildung. Johannes hätte den Fragenden sicher eine ähnliche Antwort geben können. Als Sohn eines der angesehensten Priester seiner Zeit, des Zacharias, hatte er einen eindrucksvollen Stammbaum. Anstatt den Männern zu erklären, wer er war, erklärte er ihnen, wer er nicht war. Johannes erwiderte einfach: „Ich bin nicht der Christus!“ (Joh 1,20). Er war nicht selbstsüchtig. Er suchte nicht seine eigene Ehre. Es war ihm nicht wichtig, was andere über ihn dachten oder für wen sie ihn hielten. In seinem Leben ging es allein darum, Jesus Christus zu ehren und zu verherrlichen, und darauf sollte auch unser Leben ausgerichtet sein.
Wenn wir uns fragen, wie wir dem Stolz beikommen können, dann spielt Gott die wichtigste Rolle dabei, denn wir haben keine Kraft, uns zu ändern, wenn er nicht an uns arbeitet. Gleichzeitig muss uns aber auch klar sein, dass wir selbst in diesem Prozess eine große Verantwortung tragen. Gott fordert uns auf, uns unter seine Hand zu demütigen (1. Pet 5,6). Damit werden wir aufgefordert, unseren Beitrag im Kampf gegen diese Sünde zu leisten. Wir werden im Leben niemals an den Punkt kommen, wo wir uns entspannt zurücklehnen können in der Meinung, dass wir unsere Neigung zum Stolz ganz überwunden haben, aber der heilige Geist und das Wort Gottes helfen uns, diesem Ideal mehr zu entsprechen. Dabei ist aber auch das Gebet zu beachten: Laut dem Wort Gottes sind Demut und Gebet eng miteinander verbunden.
Stolz bewirkt, dass wir die Sünde in unserem Leben nicht bemerken und eine bessere Meinung von uns selbst haben, als wir sollten. So sagte Martin Luther: „Ich fürchte mich vor meinem eigenen Herzen mehr als vor dem Papst und allen seinen Kardinälen.“ Ein wirklich demütiger Mensch ist bereit, biblische Anweisungen, biblische Zurechtweisungen, biblischen Tadel und konstruktive Kritik entgegenzunehmen und daraus zu lernen. Ein Mensch, der seine Befehle von Gott entgegennimmt, wird auch nie Gottes Recht infrage stellen, die Ereignisse in seinem Leben zu bestimmen. Meist werden unsere Herzen aber gerade dann stolz, wenn wir anfangen zu vergessen, wie sündig und fehlbar wir sind. Ein interessantes Beispiel liefert David. Nach seinem Ehebruch mit Bathseba schrieb er den 51. Psalm, der schon damals öffentlich gesungen wurde und bis heute erhalten geblieben ist. Daraus können wir schließen, dass David wusste, wie sehr er es nötig hatte, sogar öffentlich immer wieder daran erinnert zu werden, wie er den Herrn enttäuscht hatte. Die ständige Erinnerung daran half ihm sicher, weiterhin demütig zu bleiben.
In unserer Welt gilt der Stolz allgemein als erstrebenswerter Charakterzug. Die Menschen sind stolz auf ihre Nationalität, auf ihre Position, auf ihre Sportteams usw. Vor einiger Zeit betete Pastor Joseph Wright anlässlich der neuen Sitzung des Kansas-Senats öffentlich Folgendes: „Das Wort sagt: ‚Wehe denen, die das Böse gut nennen‘, aber wir haben genau das getan. Wir haben unser geistliches Gleichgewicht verloren und unsere Werte auf den Kopf gestellt. Wir geben zu: Wir haben die absolute Wahrheit Deines Wortes lächerlich gemacht und nennen es Pluralismus. Wir haben anderen Göttern gedient und nennen es Multikulturalismus. Wir haben Perversion befürwortet und nennen es eine alternative Lebensweise. Wir haben die Bedürftigen vernachlässigt und nennen es Selbsterhaltung. Wir haben die Faulheit belohnt und nennen es Sozialhilfe. Wir haben unsere Ungeborenen getötet und nennen es Entscheidungsfreiheit. Wir haben Abtreiber erschossen und nennen es rechtmäßig vertretbar. Wir haben es vernachlässigt, unsere Kinder zu disziplinieren, und nennen es Förderung des Selbstwertgefühls. Wir haben Macht missbraucht und nennen es politisch klug. Wir haben die Radiowellen mit Gotteslästerung und Pornographie verseucht und nennen es Meinungsfreiheit. Wir haben die herkömmlichen Werte unserer Vorväter ins Lächerliche gezogen und nennen es Aufklärung. Erforsche uns heute, o Gott, und erkenne unsere Herzen. Prüfe uns und sieh, ob etwas Böses in uns ist. Reinige uns von jeder Sünde und mach uns frei.“
Wenn wir nun einige Aspekte des Themas „Demut“ reflektiert haben, dann stellen wir sicher fest, dass bei jedem von uns noch etwas zu tun bleibt. Dabei ist das Buch von Wayne A. Mack eine gute Hilfe, auch weil es eine Fülle biblischer Beispiele und Belehrungen beinhaltet, klar gegliedert ist und diese Untergliederungen die Übersichtlichkeit und Lesbarkeit noch erhöhen. Leider wird aber der Begriff „Jüngstes Gericht“ sowohl auf Gläubige als auch auf Ungläubige angewandt; es fehlt eine Differenzierung zwischen dem Richterstuhl des Christus und dem großen weißen Thron.
Wer das Thema Demut biblisch durchdenken will, nicht zuletzt um auch im eigenen Leben mehr der „Gesinnung eines Dienenden“ zu entsprechen, was dieser Begriff im Deutschen ursprünglich bedeutet, dem sei dieses Buch empfohlen.
Jochen Klein
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