Der amerikanische Soziologe Robert N. Bellah meint in seinem Buch Gewohnheiten des Herzens in Bezug auf die Stabilisierung der amerikanischen Kultur: „Um zu einer wirklichen Veränderung zu kommen, … [müssten wir] uns die Idee des Berufs oder der Berufung wieder aneignen …, müssten wir zu der Idee zurückfinden, dass Arbeit ein Beitrag zum Wohl aller und nicht bloß ein Mittel zum eigenen Fortkommen ist.“ Er plädiert also für eine Abkehr vom „expressiven Individualismus“ und für die Wiederentdeckung, dass alle menschliche Arbeit nicht bloß ein „Job“, sondern eine Berufung ist.
Timothy Keller ergänzt im vorliegenden Buch, „dass ein Denken, das Arbeit in erster Linie als Mittel zur Selbstverwirklichung sieht, den Einzelnen langsam kaputt macht und … damit auch die ganze Gesellschaft untergräbt“. Und: „In einer gefallenen Welt ist Arbeit frustrierend und anstrengend, und nur zu leicht kommt man zu dem Schluss, dass man ihr aus dem Weg gehen oder sie halt über sich ergehen lassen muss“.
Wie Keller weiter ausführt, ist die griechische Einstellung zur Arbeit im Denken und in der Praxis der christlichen Kirche über die Jahrhunderte weitgehend bewahrt worden und beeinflusst noch heute unsere Kultur stark. So war für Aristoteles die Muße (die Möglichkeit, zu leben, ohne arbeiten zu müssen) eine Hauptbedingung für ein wirklich lebenswertes Leben, und Platon argumentiert, dass unser Leib ein Klotz am Bein unserer Seele und ihrer Suche nach Wahrheit sei. In diesem Denken ist die einzig „gute“ Arbeit die, die uns so viel Geld einbringt, dass wir andere dafür bezahlen können, uns die niedrigen Tätigkeiten abzunehmen. Eine Folge dieser Einstellung ist, dass viele Menschen Berufe ergreifen, für die sie überhaupt nicht geeignet sind, die aber ein höheres Gehalt oder mehr Prestige versprechen. Andere sind lieber arbeitslos, als dass sie Arbeiten „unter ihrem Niveau“ verrichten, und viele in vermeintlich höheren Berufen sehen verächtlich auf so manche praktisch Tätige herab.
Die Bibel aber sieht diese Dinge völlig anders. Alle Arbeit, ob vorwiegend mit den Händen oder mit dem Kopf, ist Zeichen der Würde des Menschen, weil sie das Bild Gottes, des Schöpfers, in ihnen spiegelt. Das zeigt z.B. 1Mo 1 klar, als der Mensch eine Aufgabe bekommt. Während also die alten griechischen Philosophen gewöhnliche Arbeit (vor allem körperliche) als etwas sahen, das den Menschen auf die Ebene des Tieres drückt, sieht die Bibel alle Arbeit als etwas, das den Menschen vom Tier unterscheidet, ihn erhebt und ihm Würde gibt.
Im Mittelalter führte das dazu, dass Mönche Erlösung durch religiöse Arbeit suchten; analog dazu suchen heute viele etwas Ähnliches wie Erlösung (nämlich Selbstachtung und Selbstwert) durch ihre Karriere. Das Evangelium befreit jedoch von diesem Druck, uns selbst beweisen und unsere Identität durch Arbeit gewinnen zu müssen, denn die nötige Selbstvergewisserung ist durch Christus bereits geschehen. Es befreit uns aber auch vor einer herablassenden Haltung gegenüber „einfacher“ Arbeit und vor dem Stolz auf „höhere“ Tätigkeiten. Da wir die Dinge, die andere durch ihre Arbeit bekommen wollen – Erlösung, Selbstwert, ein gutes Gewissen und inneren Frieden –, in Christus ja schon haben, können wir nun einfach arbeiten, weil wir Gott und unsere Mitmenschen lieben. Diese Sicht gibt aller Arbeit einen gemeinsamen hohen Sinn: Gott zu ehren, indem ich ihm durch meine Arbeit diene, meinen Nächsten liebe und auch ihm diene.
Viele dieser Gedanken dürften für den Leser nicht neu sein. Die Lektüre des Buches lohnt sich aber trotzdem: Seine Qualität liegt u.a. darin, dass die Zusammenhänge sehr differenziert und auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen dargestellt werden, und zwar unter den Kategorien „Gottes Plan für unsere Arbeit“, „Unsere Probleme mit der Arbeit“ und „Das Evangelium und die Arbeit“. Einige Detailaussagen kann ich zwar so nicht teilen, die Gesamtlektüre hilft aber dabei, eine etwas andere Sicht auf (unsere) Arbeit zu bekommen.
Jochen Klein
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