Ole Hallesby sagte einmal: „Ein mit Friede erfülltes, sieghaftes und frohes Christenleben wird nur dem zuteil, der das Geheimnis der täglichen Erneuerung gelernt hat: sich unaufhörlich an Gott zu wenden, um neue, frische Kraft aus seiner ewigen Welt zu empfangen.“ Und: „Die vielen und verschiedenen Aufforderungen der Bibel zum Beten werfen in ihrer Gesamtheit ein besonderes Licht auf das Gebet. Sie zeigen uns, dass das Beten der Pulsschlag im Leben des erlösten Menschen ist.“ Und darum soll es in diesem Beitrag gehen.
Der Norweger Ole Hallesby lebte von 1879 bis 1961. Er kam 1902 nach etlichen (intellektuellen) Irrwegen, die besonders durch die moderne Theologie hervorgerufen worden waren, zum Glauben. In Bezug auf sein Glaubensleben berichtet er immer wieder von einem Mann mit Hochachtung, nämlich von Samuel Zeller: „Das, was ihn in meinen Augen als Verkündiger am meisten auszeichnete, war dies: Mich umgab sogleich die Gegenwart Gottes, wenn ich Zeller hörte. Ich sah mich selbst, und ich sah Gott deutlich, wie ich es – wenn ich mich recht erinnere – sonst nie erlebt habe. Nie habe ich deutlicher erfahren, was geschrieben steht: ‚Gottes Wort dringt durch, bis es schneidet Mark und Bein und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.‘ Ich glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich sage, nie jemand gehört zu haben, der gebetet hat wie er. Ich hatte nie jemanden gekannt, der so viel von Gott erwartete und so wenig von seinem eigenen Gebet. Er erzählte Gott nur, was nötig war, und war gewiss, dass Gott alles Übrige tun würde. Sein Gebet war ein ehrfürchtiges, aber natürliches Gespräch mit Gott.“ Und: Bei ihm „ging mir zum ersten Mal der Sinn und der Zweck des Gebets auf. Hier sah ich in einer Klarheit wie nie zuvor, wozu das Gebet gebraucht werden sollte: Gottes Namen zu verherrlichen. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, und ich sah den Missbrauch und die Schwierigkeiten des Gebets in neuem Licht“.
Als Hallesby dann unter den Nationalsozialisten im Konzentrationslager Grini saß, überlegte er, wie er sich nach seiner Befreiung an den Deutschen rächen könne. Die Rache bestand dann darin, dass er sein Buch „Vom Beten“, das er 1927 verfasst hatte, ins Deutsche übersetzen ließ und sich selbst darum kümmerte, dass es herausgegeben wurde. Seither wurden hier nahezu 200 000 Exemplare vertrieben. In Amerika waren schon früh über eine Million verkauft worden. Weiterhin wurde das Buch in 34 Sprachen übersetzt. Hallesby sagte einmal: „Ich weiß wohl, dass meine Bücher nicht so gut sind, wie sie eigentlich sein sollten. Aber ich kann es nicht besser. Deshalb bitte ich Gott, meine Bücher zu segnen, wie sie herausgegeben werden.“ Als er an diesem Buch arbeitete, spürte er, wie ihn der Geist Gottes in besonderer Weise leitete. Am 27. Januar 1927 berichtete er schwedischen Freunden darüber und bat sie, das Entstehen und Vorankommen des Buches im Gebet zu begleiten, damit seine Botschaft müde Beter erreichen und neu ermutigen möge. Im Vorwort des Buches schreibt er dann: „Ich glaube, es hat kaum ein Buch gegeben, das zu schreiben mir mehr am Herzen gelegen hätte als dieses. Aber ich habe mich auch vor keinem Buch mehr gefürchtet. Denn ich finde, es ist schwer, über das Gebet zu sprechen oder zu schreiben. Dieses Buch will nicht mehr sein als ein schlichter Rat für müde Beter.“ Darin behandelt er dann die Themen „Das Wesen des Gebets“, „Die Schwierigkeiten des Betens“, „Gebetsarbeit“, „Der Kampf des Gebets“, „Missbrauch des Gebets“, „Beten zur Ehre Gottes“, „Die Form des Gebets“, „Rätsel des Gebets“, „Die Schule des Betens“ und „Der Geist des Gebets“. Um den Leser an zentralen Inhalten teilhaben zu lassen, haben wir hier wichtige Thesen zusammengefasst. Diese ersetzen aber selbstredend nicht die Lektüre des sehr anschaulich und verständlich geschriebenen Buches, das sehr empfohlen werden kann.
Hallesby meint darin: „Ich habe viel gesündigt gegen meinen himmlischen Vater, nachdem ich bekehrt war, und habe ihm viel Sorgen gemacht in all den 25 Jahren, die ich mit ihm lebe. Aber ich erkenne nun, dass die größte Sünde nach meiner Bekehrung, das, womit ich Gott am tiefsten betrübt habe, die Vernachlässigung meines Gebets war. Denn diese Vernachlässigung ist die Ursache meiner übrigen Versündigungen und Unterlassungen. Die zahllosen Gelegenheiten, die ich ungenutzt vorübergehen ließ, die vielen Erhörungen, die mir zugedacht waren, wenn ich nur gebetet hätte, werden zu einer immer stärkeren Anklage gegen mich, je mehr ich in die heilige Welt des Gebets hineinsehen darf. Warum gelingt den meisten von uns das Beten so schlecht? Diese Frage bewegt mich, seit ich durch Gottes Gnade zu beten anfing. Ich denke, wir werden uns ohne Weiteres zugestehen, dass Beten eine schwierige Sache für uns ist. Und zwar liegt die Schwierigkeit in der Ausführung des Gebets. Wir empfinden es als Anstrengung. Je anstrengender das Gebet wird, desto leichter versäumen wir es. Und bald zeigen sich die unseligen Folgen; zwar nicht sofort, aber desto unwiderstehlicher. Die zunehmend weltliche Gesinnung, die uns mehr und mehr Gott gegenüber fremd werden lässt, führt dazu, dass wir immer weniger Dinge mit ihm zu besprechen haben. Wir entwickeln einen Geist des Widerspruchs, der ständig Vorwände und Entschuldigungen findet für die Vernachlässigung des Gebetslebens. Unser Inneres beginnt zu erlahmen. Der Schmerz über ein Leben in Sünde wird nicht mehr so brennend empfunden wie vorher, denn die Sünden werden nicht mehr in ehrlichem Bekenntnis vorgelegt. Eine weitere Folge hiervon ist, dass unser Blick verschwommen wird und wir nicht mehr klar unterscheiden können zwischen dem, was Sünde ist und was nicht. Man kämpft wohl gegen Sünden an, aber in eben demselben Sinne wie es Weltmenschen tun; das heißt, man meidet die Sünden, die gefährliche Folgen haben, vom Standpunkt ihrer Konsequenzen gesehen!“
Das Gebetsleben hat wie jedes Leben seine Gesetze. Das Grundgesetz ist dies: das Gebet ist bestimmt zur Verherrlichung Gottes. Es soll dem Herrn Jesus die Gelegenheit bieten, seine übernatürlichen Erlöserkräfte zu gebrauchen. Durch unser Gebet sollen wir ihm Zugang zu unserer Seele verschaffen, unserem Leib, unserem Heim, unserer Nachbarschaft, unserem Land, zur ganzen Welt, zur Gemeinschaft der Heiligen und zu den Unerlösten.
Nichts kann unser Gebet so freimütig machen, als wenn wir Gott ruhig begegnen können und ihm sagen: „Du weißt, ich bitte dich nicht um eigenen Vorteiles willen, um Erleichterung für mich, auch nicht, dass mein Wille hier geschehe, sondern nur darum, dass dein Name in dieser Sache verherrlicht werde!“ Wenn wir so beten, erlangen wir Frieden und Stille, auch dann, wenn unser Gebet nicht erhört wird.
Wie kann das Gebet so Großes ausrichten, wo es doch so schwach ist? Die Lösung dafür liegt im Wesen des Gebets. Beten bedeutet nichts anderes, als sich dem Herrn aufzuschließen, so dass er mit seiner Allmacht zu uns hereinkommen kann. Der Erfolg des Betens muss nicht abhängig sein von Gewissheit oder Freimütigkeit des Beters oder irgendetwas Ähnlichem, sondern immer nur geht es um das Eine: sich aufzuschließen. Und das ist nicht eine Frage der Kraft, sondern des Willens: Will ich den Herrn Jesus hereinlassen in meine Not? Diese Frage ist wiederum von meiner Hilflosigkeit abhängig. Darum ist das Gebet ein geheimnisvolles Werkzeug, das im tiefsten Grunde nur von den Hilflosen mit Erfolg benutzt werden kann.
Die Kunst des Betens stellt Bedingungen. Wesentlich sind diese beiden: Übung und Ausdauer. Ohne Übung wird kein Christ ein Beter werden. Und Übung wird nicht ohne Ausdauer erlangt. Wir müssen unser Unvermögen einräumen und zugeben, dass wir hier vor einer Aufgabe stehen, die unsere Kräfte völlig übersteigt.
Nur wenn wir um etwas bitten nach Gottes Willen, haben wir Aussicht, erhört zu werden. Das Gebet ist nicht da, damit wir Einfluss auf Gott bekommen und Zeit und Methode unserer Gebetserhörung möglichst selbst bestimmen. Gebrauchen wir das Gebet auf diese Weise, dann gebrauchen wir es gegen die Gesetze des Gebetslebens. Hier haben die meisten von uns viel zu lernen. Wir sind so ungeduldig. Auch in unserem Gebet. Gott hat unser Gebet gehört und will es auch erfüllen. Aber er hat sich vorbehalten, Zeit und Art der Erhörung selbst zu bestimmen. Die Erhörung kommt zu seiner Zeit. Wir wissen, dass ein Mangel in unserem Gebetsleben im Tiefsten ein Mangel an Vertrauen zu Gott ist. Wir glauben, wir verstünden uns besser auf Zeit und Art der Erhörung als er. Ohne dass wir darüber nachdenken, ist unser Gebet darum oft ein Kampf mit Gott. Wir wollen Gott davon überzeugen, dass wir richtig sehen, dass die Erhörung sofort kommen muss und genauso, wie wir sie uns gedacht haben. Unbewusst benutzen wir das Gebet dazu, Gott klar zu machen, dass wir in diesem Fall sicher Recht hätten. Dieser Kampf mit Gott macht unser Beten unruhig und bang. Wir fürchten, dass Gott sich trotzdem nicht überzeugen lässt, dass er doch machen wird, was er will. Und ich glaube, nichts macht unser Beten so schwer und anstrengend wie ausgerechnet rechnet dieses. Wenn der Geist uns gelehrt hat, dass Gott in diesem Punkt unerbittlich ist, dass er selbst bestimmen will, wann und wie unsere Bitte erhört wird, kommt Ruhe und Frieden in unser Gebet. Wenn der Geist uns gelehrt hat, dass es nicht gefährlich ist, Gott den Zeitpunkt und die Art der Erhörung zu überlassen, dann wird die Gebetsstunde eine wirkliche Ruhestunde.
Besonders dann werden wir zur Ruhe kommen beim Beten, wenn uns aufgegangen ist, dass wir getan haben, worauf es für uns ankommt, indem wir Jesus unsere Anliegen sagen. Von dem Augenblick an liegt alles bei ihm. Er trägt dann die Verantwortung, wenn wir wagen dürfen, es so auszudrücken. Und wir wagen es. Haben wir dieses Geheimnis gelernt, so wird unser Gebetsleben frei von jener inneren Angst und Unruhe, die uns früher während des Gebets bedrängte. Und nach dem Gebet werden wir mit neuem Frieden erfüllt. Wir haben die Sache in Jesu Hände gelegt, und wie Jesu Mutter bei der Hochzeit zu Kana gehen wir leicht und froh an unseren Platz zurück. Nun hat er es in seine Hände genommen und ist dabei, unsere Bitte zu erfüllen. Statt der alten Angst und Unruhe befällt uns jetzt eine kindliche Neugier, und mit gespanntem Interesse warten wir, wie der Herr die Schwierigkeiten lösen wird.
Beten besteht auch ganz einfach darin, Gott den ganzen Tag zu erzählen, in welcher Weise wir uns hilflos fühlen. Es ist richtig und gut, dass wir mitten in unserer Arbeit, wann und wo auch immer, Verbindung mit Gott bekommen können, um ihm zu sagen, was uns am Herzen liegt. Aber was wir auf diese Weise nicht erlangen können, das ist die Stille. Das Gebet wird intensiver, wenn Gottes Geist unsere Hilflosigkeit unterstreicht und wir erkennen müssen, wie ohnmächtig unsere Natur ist, zu glauben, zu lieben, zu hoffen, zu dienen, zu opfern, zu leiden, zu lesen, zu beten und gegen die Lust der Sünde zu kämpfen. Wir erwarten nichts von uns selbst und breiten darum alle Schwierigkeiten und Hindernisse im Gebet vor Gott aus. So öffnen wir Gott die Tür und geben ihm die Möglichkeit, seine wunderbare Kraft an unserer Hilflosigkeit zu offenbaren.
Beten sollte das Mittel sein, wodurch ich unablässig alles, was ich bedarf, erhalte, es sollte meine tägliche Zuflucht, mein täglicher Trost, meine tägliche Freude, meines Lebens reiche und unerschöpfliche Glücksquelle sein. Darum ist es einleuchtend, dass ein Kind Gottes dem Herrn Jesus keine größere Sorge machen kann, als das Beten zu versäumen. Denn dadurch schaltet er die Verbindung mit dem Erlöser aus, und sein inneres Leben muss konsequenterweise verwelken und verkrüppeln. Viele versäumen das Beten in einem solchen Maße, dass ihr geistliches Leben langsam erstirbt. Ich verstehe darum die bittere Sorge, die aus Gottes Herzen kommt, wenn er uns sagen muss: „Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet“ (Jak 4,2).
„Die Arbeit des Betens ist die Voraussetzung für jede andere Arbeit im Reich Gottes aus dem einfachen Grund, weil wir durch Beten die himmlischen Kräfte in unserer Kraftlosigkeit einschalten, Kräfte, die aus Wasser Wein machen und in unserem eigenen und anderer Leben Berge versetzen können. Diese Arbeit kann durch keine andere im Reich Gottes ersetzt werden. Das sollen wir uns immer vor Augen halten, denn wir gelangen so leicht zu einer entgegengesetzten Einstellung und meinen, wenn wir ständig mit der Arbeit für Gottes Reich beschäftigt sind, könnten wir ohne Gefahr weniger Zeit für das Beten verwenden. Dieser Gedankengang liegt uns allen im Blut, und Satan sucht ihn immer neu zu entfachen. Soweit ich Gottes Wort verstehe und die Geschichte des Gottesreiches kenne, gibt es keine Gebetsarbeit, die wichtiger ist als diese. Für das Beten müssen wir also Zeit einplanen. Doch: Was aus unserer hochgespannten christlichen Arbeit in Zukunft wird, hängt weder von Einschränkung noch vom Umorganisieren ab, sondern davon, ob der Geist Gottes uns zur Arbeit des Gebets bewegen kann. Kommt der rechte Mann auf den rechten Platz, gibt es für das, was er ausrichten kann, fast keine Grenze.
Es fällt uns leichter, beim Beten das Gewicht mehr auf die aktive Seite zu legen. Vom Anfang des Gebets an bis zum Schluss sind wir eifrig dabei, zu Gott zu sprechen. Es erscheint und als ein Mangel oder Fehler, wenn unser Gebet nicht eine zusammenhängende Rede mit Gott ist. Natürlich ist das Gebet Aktivität und schließt das Gespräch mit Gott ein. Aber nicht das allein. In dieser stillen und heiligen Stunde sollen wir bereit sein für die Untersuchung für den Seelenarzt. Wir sollen uns in sein heiliges und starkes Licht stellen, durchleuchtet und gereinigt werden, damit sichtbar wird, wo der innere Schaden sitzt. Beten bedeutet also, sich für Jesus aufzuschließen. Aber verschließe ich eine einzige Sünde in meiner Seele, die der Geist mein Gewissen als solche erkennen ließ, dann habe ich Jesus den Zugang zu meiner Seele versperrt. Beten hört dann für mich auf, selbst wenn ich den Schmerz und die Unruhe meiner Seele damit besänftige, dass ich etwas äußere, was ich für Gebet halte.
„Wir bitten um Silber, aber Gott gibt uns stattdessen oft Gold“ (Luther). Jedes Mal, wenn der Herr Jesus eine Möglichkeit sieht, uns mehr zu geben, als wir erbitten, tut er es. Aber dann muss er mit uns diese unverständlichen Wege gehen. Warum sollte er dies tun? Weil er dadurch mehr von seiner Kraft zeigen kann, mehr von Gottes Herrlichkeit. Gleichzeitig werden Glauben und Vertrauen zum Herrn gestärkt und vertieft. Man kommt so öfter zu einer tiefen Demütigung. So kann er zeigen, wie ungeduldig und trotzig man gewesen ist. Weiterhin ist es wichtig, dass Gebetserhörungen nicht von unseren Gefühlen oder Gedanken vor, während oder nach dem Gebet abhängig sind.
Ole Hallesby sagte einmal: „Ein mit Friede erfülltes, sieghaftes und frohes Christenleben wird nur dem zuteil, der das Geheimnis der täglichen Erneuerung gelernt hat: sich unaufhörlich an Gott zu wenden, um neue, frische Kraft aus seiner ewigen Welt zu empfangen“. Bei der Trauerfeier fasste dann sein Sohn das Leben seines Vaters so zusammen: „Der Glaube bestimmte alles in seinem Leben: sein Denken, seine Lebensführung, seine Pläne und seine Arbeit im Alltag. Gott stand für ihn im Mittelpunkt, er lebte sein Leben für Gott – und es war nicht vergeblich. Weil er in allen Dingen mit Gott rechnete, war er ein Mann des Gebets, der alles Gott hinlegte“. Um seinen Lesern die Wichtigkeit des Gebets bewusst zu machen, schrieb es dieses Buch, dessen Inhalt sicher heute noch manchem viel zu sagen hat …
Jochen Klein
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