In diesem Artikel werden einige Stationen gezeigt, die für die Ausbreitung der Bibel wichtig waren. Vielleicht hilft dies, dass wir wieder mehr zu schätzen wissen, wie leicht wir Bibeln erwerben und lesen können.
Ende des 2. Jahrhunderts hatte sich das Christentum im Römischen Reich so weit ausgebreitet, dass sich in fast allen Provinzen, besonders aber in Kleinasien und Griechenland, Gemeinden befanden, in denen auch die Schriften des Neuen Testaments in Umlauf waren. Um 300 war das Christentum trotz Verfolgungen eine überall bekannte Minderheit. Am Ausgang des 5. Jahrhunderts war es bereits zur Mehrheitsreligion des damaligen Kulturgebiets geworden. Auch wenn die Christenheit jener Zeit hauptsächlich im Mittelmeergebiet zu Hause war, gingen ihre Ausstrahlungen schon bis nach Irland und England, ins Perserreich, nach Arabien, nach Armenien, an die Westküste des Roten Meeres und selbst nach Indien. In allen Römerstädten Germaniens und Belgiens erstarkte das Christentum im 4. und anfangenden 5. Jahrhundert.
Wenn sich der christliche Glaube in einem Volk ausgebreitet hatte, wurden in der Regel schon bald Bibelteile in die Volkssprache übersetzt. So sind z. B. lateinische, ägyptische, äthiopische, arabische, armenische, georgische, persische und syrische Übersetzungen bekannt. Durch Wulfila (gest. 383) erhielten die Goten als erster germanischer Volksstamm eine Bibel in ihrer Muttersprache. Von Chrysostomus (gest. 407) wird berichtet, dass er die Menschen aufgefordert habe: „Dazu ermuntre ich euch und werde nicht aufhören, euch zu ermahnen, dass ihr auch zu Hause euch unablässig mit dem Lesen der Heiligen Schrift beschäftigt.“
Für die Textüberlieferung der Bibel hatten die Klöster des Mittelalters eine große Bedeutung. Die Mönche lasen die Heilige Schrift, legten sie aus, kommentierten sie B und schrieben sie immer wieder ab. Der Prozess des Kopierens geschah über einen Zeitraum von 1400 Jahren. Er setzte sich so lange fort, bis die Erfindung der Buchdruckerkunst das Abschreiben von Hand überflüssig machte. In manchen Klöstern entstanden regelrechte Schreibschulen.
Solange die Beschäftigung mit der Bibel unter der Aufsicht von Angehörigen des Klerus geschah, wurde dies von der römischen Kirche weitgehend akzeptiert. Ein allgemeines Bibelverbot erließ die römische Kirche nie, aber sie sprach sich immer wieder gegen volkssprachliche Übersetzungen aus und verbot volkssprachliche Bibeln. Seit dem 12. Jahrhundert jedoch begannen die Laien vermehrt die Heilige Schrift zu lesen und sie nach ihrem eigenen Verständnis auszulegen. Dies sah die Kirche als potentielle Gefahr an. Doch obwohl schon der Besitz einer Bibel verdächtig war, fanden Bibelauszüge und Andachtsschriften im späten Mittelalter weite Verbreitung. Die Auffassungen der Kirche waren auch nicht unwidersprochen geblieben. Bereits seit dem 11. Jahrhundert hatte sich in den Bewegungen der Katharer, Albigenser und Waldenser Widerstand geregt. Sie alle wurden deswegen mit Feuer und Schwert verfolgt. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurden die Forderungen nach Erneuerung der Kirche immer lauter.
Dann kam John Wyclif (1324–1384). Er bestritt den Heilscharakter der römisch-katholischen Kirche, forderte die Abschaffung des Papsttums, die Auflösung der Klöster, die Einziehung der Kirchengüter und die Abschaffung des Kirchenzehnten. Er erklärte die Beichte und die Heiligenverehrung für unwirksam und verurteilte den Priesterzölibat. Seine Kirchenerneuerung zielte auf die Wiederherstellung der Urkirche und das allgemeine Priestertum der Gläubigen. Um diese an Gottes Wort heranzuführen, übersetzte er die Bibel ins Englische (1380). Seine Lehren wurden schon 1382 von der Londoner Synode verworfen, und die Wyclifiten (auch Lollarden genannt) wurden in England grausam verfolgt. Auf dem Festland gerieten Wyclifs Auffassungen aber zu einer Art Schwelbrand, der über ein Jahrhundert nicht auszutreten war und am Ende zu offener Flamme aufloderte.
Wyclifs Gedanken wurden sehr bald von dem Prager Jan Hus (um 1371–1415) aufgegriffen. Er berief sich auf die Heilige Schrift und wollte nur dann widerrufen, wenn man ihm aus der Bibel Irrtümer nachweisen könnte. So wurde er als Ketzer zum Tode verurteilt und am 6. Juli 1415 in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Im gleichen Jahr erklärte die katholische Kirche Wyclif postum zum Ketzer und befahl die Verbrennung seiner Gebeine.
Am 31. Oktober 1517 begann dann eine Entwicklung, die von der römischen Kirche nicht mehr in den Griff zu bekommen war: An diesem Tag veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der Kirche. Damit sollten eigentlich die Gelehrten zum Disput herausgefordert werden. Doch bald waren die Thesen auch in verdeutschter Fassung im ganzen Reich verbreitet und dienten als Zündstoff. Die Entwicklung, die zur sogenannten Reformation führte und von Deutschland aus auch auf andere europäische Länder ausstrahlen sollte, nahm ihren Verlauf.
Die römische Kirche erkannte sogleich die von Luther ausgehende Gefahr und leitete einen Prozess gegen ihn ein. Auf dem Wormser Reichstag im April 1521 versuchte Kaiser Karl V. vergeblich, Luther zum Widerruf zu bewegen. Luther berief sich wie Hus auf die Bibel. Zur Änderung seiner Ansichten wäre er nur dann bereit gewesen, wenn man ihn durch die Heilige Schrift eines Irrtums überführt hätte. Bevor im Wormser Edikt die Reichsacht gegen ihn ausgesprochen wurde, ließ der sächsische Kurfürst ihn auf die Wartburg in Sicherheit bringen. Dort verdeutschte Luther in elf Wochen die Basis seines Glaubens, das Neue Testament, aus dem Griechischen (Erstdruck September 1522, deshalb „Septembertestament“ genannt). In den folgenden Jahren übersetzte er, teilweise von Kollegen unterstützt, auch das Alte Testament aus dem Grundtext, sodass 1534 die erste Gesamtausgabe seiner deutschen Bibel erscheinen konnte.
Dass Luther eine Übersetzung schuf, die für das Volk gedacht war, war das Ergebnis eines längeren Prozesses. Zunächst hatte er auf die Auslegungstradition und die Autorität der Kirche vertraut. Dann aber stellte er die Heilige Schrift über die Autorität der Kirche, womit seine Auseinandersetzung mit Rom eine neue Dimension annahm. Während seines Kampfes mit der Kirche veröffentlichte Luther zunächst immer wieder auf der Bibel basierende Streit- und Erbauungsschriften, die auch die lateinunkundigen Laien lesen konnten. Sie trugen mit dazu bei, dass die Menschen an den Auseinandersetzungen zunehmend inneren Anteil nahmen, ihr religiöses Interesse wuchs und der Wunsch nach eigener Bibellektüre geweckt wurde.
Der Volkssprache hatte Luther schon früh positiv gegenübergestanden, und er hatte sich gegen die Auffassung der Kirche gewandt, dass die Bibel wegen ihrer dunklen Stellen nicht in die Hand des Volkes gehöre. Er war davon überzeugt, dass die Heilige Schrift klar sei. Wenn vieles unklar bleibe, so liege das nicht an der Dunkelheit der Schrift, sondern an der Blindheit der Menschen.
Dass die Reformation sich schnell ausbreiten konnte, war auch einer wichtigen Erfindung von Johannes Gensfleisch zur Laden, genannt Johann Gutenberg, zu verdanken: dem Druck mit beweglichen Lettern, der bereits seit etwa 1448 möglich war. In der Folge entstanden überall in Deutschland Druckereien. 1466 erschien bei Johann Mentel in Straßburg die erste gedruckte Gesamtbibel in deutscher Sprache. Insgesamt sind vor Luther achtzehn gedruckte deutsche Bibeln und sechzig Teilbibeldrucke nachzuweisen. Sie fußen aber alle auf lateinischen Fassungen, also nicht auf dem Grundtext wie Luthers Übersetzung.
Diese aber wurde immer weiter verbreitet, und jeder konnte das für sich erforschen, was Luther wieder neu entdeckt und was am Beginn seiner Umkehr gestanden hatte: „So halten wir es nu / das der mensch gerecht werde / on des Gesetzes werck / allein durch den glauben“ (Römer 3,28).
Jochen Klein
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