Wenn man predigt: Wie kann man dieses Buch lesen, ohne depressiv zu werden? Wenn man nicht predigt: Wie kann man dieses Buch lesen und trotzdem irgendwann predigen? – Indem man nicht alles ernst nimmt und das für einen selbst Hilfreiche gelassen umzusetzen versucht.
Gelassenheit sollte man sich am besten schon vor der Lektüre vornehmen, um vor der einen oder anderen etwas merkwürdig anmutenden Attacke des Autors gefeit zu sein. Eine Kostprobe: „Wenn ich an Predigten in den Kreisen denke, in denen ich mich bewege, habe ich an ihrem Inhalt sehr wenig auszusetzen. Aber fast alle von ihnen werden schlecht ausgeführt“ (S. 140). Oder: Über einen Prediger, der in dem auszulegenden Bibelabschnitt, egal wo er sich in der Bibel befinde, nicht veranlasst werde, Christus zu predigen, sei zu sagen: „Er hat das Buch der Bücher nicht verstanden; und wenn er es nicht verstanden hat, sollte er nicht predigen!“ (S. 24). Und schließlich: Als Folge davon, dass viele Christen keine lehrhaften Predigten hörten, gebe es „nicht sehr viele Christen, die etwas von der Freude des Seelengewinnens kennen“ (S. 67). Ähnliche undifferenzierte Stellen könnte man noch manche zitieren.
Etwas ratlos macht einen auch eine lobende Erwähnung des Buches An Alarm to the Unconverted von dem Puritaner Joseph Alleine (1634–1668), dessen Qualität darin liege, zehn Arten von Menschen zu nennen, die offensichtlich nicht bekehrt seien. Außerdem erwähne Alleine zwölf verborgene Kennzeichen eines Nichtbekehrten. Wenn man auch diese jeweils einem bestimmten Personenkreis zuordne, folge daraus, dass es 22 Arten von nichtbekehrten Leuten gebe, und jede einzelne Art spreche er an, ohne einen einzigen Bibelvers zu missbrauchen. Die Schlussfolgerung, so könne man jedem dann in seiner Individualität begegnen, löst diese merkwürdige Hypothese keinesfalls zufriedenstellend.
Wer eine Predigt gehalten hat, bekommt vom Autor den Tipp: „Bitten Sie um Vergebung für jeden Punkt, an dem Sie es hätten besser machen können“ (S. 194). Würde man dies berücksichtigen, so müsste man bei einer 30-minütigen Predigt hinterher mindestens genauso lange beten, da man immer fast alles anders und besser machen kann.
Sollte man dieses Buch über gutes Predigen lesen? Durchaus, da man so manches lernen kann. In den sachlicheren Passagen werden fundierte Hilfen vermittelt. Wer aber einen nüchterneren Stil mag, sollte auf alternative Werke zurückgreifen.
Jochen Klein
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