Momentan überfluten Veröffentlichungen im Zusammenhang mit dem 500-jährigen Reformationsjubiläum den Markt. Anlass für dieses Jubiläum ist der Thesenanschlag Martin Luthers am 31. Oktober 1517 an der Wittenberger Schlosskirche. Die Reformation war zwar eine sehr differenzierte Bewegung, aber dieses Jubiläum fokussiert sich – sicher nicht zu Unrecht – stark auf Martin Luther.
Wer sich schon einmal intensiver mit Martin Luther beschäftigt hat, stellt fest, dass dies einigen Nutzen bringt. Man kann z.B. von seinem Glauben, seinem Vertrauen auf Gott, seiner Konsequenz, seinem Arbeitseifer viel lernen. Man versteht sein Verdienst in Bezug auf die Bibelübersetzung aus den Ursprachen ins Deutsche besser, seinen Einfluss auf die Standardisierung der neuhochdeutschen Schriftsprache und auf die deutsche Sprache und Kultur insgesamt. Aber es gibt auch weniger vorbildliche Aspekte: seine Äußerungen über die Juden, sein (damals freilich nicht unüblicher) Umgang mit Gegnern (sowie seine Ausdrucksweise dabei: Grobianismen), sein Umgang mit den Bauern, seine Position in Bezug auf die Verquickung von Staat und Kirche, das Verharren in überlieferten Ämterhierarchien usw.
Wer war Martin Luther eigentlich und was hat er bewirkt? Wenn man dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel glaubt, war er „Der erste Wutbürger“ – so der Titel von Heft 44/2016. Die Titelgeschichte dort war überschrieben: „Der erste Rebell der Neuzeit“, und in der Unterüberschrift wurde Luther attestiert: „Mit seinen 95 Thesen, seiner Frömmigkeit und seinem Hass hat Martin Luther Deutschland geprägt wie kein anderer.“ Auf dem Titelblatt der Frankfurter Allgemeinen Woche (44/2016) hieß es: „Rebell und Reaktionär … Warum ein Stück Luther in jedem von uns steckt.“
Die Stimmen zur Reformation, die man heute zu hören bekommt, klingen sehr unterschiedlich. So meint der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel: „Die Reformation hat umfangreiche Veränderungen in Gang gesetzt. Bildung, Teilhabe und Freiheit haben nichts an Aktualität verloren.“ Oder die Moderatorin Frauke Ludowig: „Immer auf der Suche nach dem, was besser ist: Das ist für mich Martin Luther.“ Die vielfältigen Beobachtungen lassen sich folgendermaßen auf den Punkt bringen: Nahezu jeder zimmert sich seinen eigenen Luther / seine eigene Reformation so zusammen, wie er es gerade braucht.
Schaut man sich den „Reformations-LKW“ an, mit dem die evangelischen Kirchen sieben Monate lang in 19 Ländern und 67 Städten für das Jubiläum werben, wird dieser Eindruck bestätigt. Hier dominieren Aussagen folgenden Musters: „Verändern wir die Welt oder verändert die Welt uns?“ – „Sollen wir guten Beispielen folgen oder mit gutem Beispiel vorangehen?“ – „Kann ich vorausschauen, indem ich zurückblicke?“ Bei so etwas ist selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung ratlos: „Die evangelische Kirche macht das Reformationsjubiläum zu einem Festival des Banalen. Martin Luther wird fürs ‚Liebsein‘ in den Dienst genommen. Was er wollte und bewirkte, scheint vergessen“ (31. Oktober 2016, S. 9).
Was wollte Luther? Als er zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein tiefes Verlangen nach der Gnade Gottes, nach Zufriedenheit und Erfüllung spürte, erkannte er, dass er dies nicht allein finden konnte, und suchte intensiv. Antwort fand er in der Bibel. Ihr zufolge liegt das Hauptproblem des Menschen darin, dass er gesündigt hat (vgl. Röm 3,10–12.22.23). Sündigen bedeutet zum Beispiel: lügen, stehlen, Unrecht tun, habgierig und egoistisch sein, neiden, streiten, verleumden, sich berauschen, huren und okkulte oder abergläubische Praktiken ausüben (vgl. Röm 1,18–32).
Doch es gibt eine Möglichkeit, von diesen Sünden befreit zu werden und seine Sehnsüchte gestillt zu bekommen: Weil Gott die Menschen liebt, ist sein Sohn Jesus Christus vom Himmel auf die Erde gekommen, am Kreuz an unserer Stelle für die Sünden gestorben und dann auferstanden. Durch seinen Tod hat er den besiegt, „der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel“ (Hebr 2,14). Jedem, der sich als Sünder erkennt und an Jesus Christus glaubt, verspricht er: „Kommt her zu mir, alle, die ihr euch abmüht und belastet seid, und ich werde euch Ruhe geben“ (Mt 11,28). „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ (Joh 6,37). Und: „Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod in das Leben übergegangen“ (Joh 5,24). Wer dieses Angebot jedoch ablehnt, wird einmal für seine Sünden zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden, nämlich mit ewigen Qualen (vgl. Offb 21,8).
Das zu verstehen, ist Reformation. Als Martin Luther erkannte, dass nur die Gnade und der Glaube ihn retten konnten, war dies für ihn der zentrale Durchbruch und ebenso auch für viele andere – und das bis heute. Nahezu alles, was sonst noch zum Thema Luther/Reformation zu sagen ist, hängt damit zusammen.
Wenn die Frankfurter Allgemeine Woche über die Jubiläumsfeierlichkeiten schreibt: „‚Luther 2017‘ wird das größte kulturpolitische Ereignis des Jahrzehnts. Staat und Kirche wenden eine dreistellige Millionensumme dafür auf“, dann zeigt das etwas die Dimension des Gedenkens. Wichtiger aber wäre es, sich auf das Zentrale zu konzentrieren – das sich auch in Luthers Abschiedsworten zeigt:
In seinen letzten Lebensjahren hatte Luther mit einigen körperlichen Leiden zu kämpfen, und er fühlte sich „alt, abgelebt und erschöpft“. Am 7. Januar 1546 brach er zur letzten Reise seines Lebens in seine Geburtsstadt Eisleben auf, um dort Streitigkeiten in der Mansfelder Grafenfamilie zu schlichten. Die Verhandlungen endeten erfolgreich. Er hatte aber nicht mehr die Kraft, nach Wittenberg zurückzukehren, und starb am 18. Februar 1546 in Eisleben.
Auf seinem Sterbebett betete er: „Mein himmlischer Vater, ewiger, barmherziger Gott, du hast mir deinen lieben Sohn, unseren Herrn Jesus Christus offenbart, den habe ich gelehrt, den habe ich bekannt, den liebe ich und den ehre ich als meinen lieben Heiland und Erlöser … nimm mein Seelchen zu dir.“ Und er zitierte: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh 3,16). Mit diesem Glauben konnte er gut leben und gut sterben. Auf seinem Schreibtisch fand man nach seinem Tod folgende Notiz: „Die Heilige Schrift meine niemand genügend geschmeckt zu haben, wenn er nicht hundert Jahre mit Propheten wie Elias und Elisa, Johannes dem Täufer, Christus und den Aposteln die Gemeinden regiert hat. Versuche nicht diese göttliche Aeneis, sondern bete verneigt ihre Spuren an! Wir sind Bettler, das ist wahr.“
Hier ist nichts von Rebell oder Revolutionär, sondern ein dem Wort Gottes ergebener Diener, der davon sein Handeln bestimmen ließ und dadurch wurde, was er war. Wenn wir allein das von Luther lernen, mag das vielleicht schon genügen.
Jochen Klein
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