denkend glauben

Jochen Klein

Texte und Materialien zum christlichen Glauben

Evolutionismus als Weltanschauung

Einleitung

„Evolution ist überall“, so heißt es im Klappentext des monumentalen Werkes Im Lichte der Evolution. Darwin in Wissenschaft und Philosophie von Gerhard Vollmer. Die Überschrift des Geleitworts für das Buch lautet etwas anspruchsvoller: „Evolution als DNA des Denkens“. Volker Sommer schreibt dort: „Das Narrativ der Evolutionstheorie kann … durchaus den Platz traditioneller Mythen einnehmen und damit die emotionale Lücke füllen, die im kalten Licht der Aufklärung entstanden sein mag. Mit derselben Kraft, die ein religiöses Konstrukt ausüben kann, stellt uns der Evolutionsmythos in einen großen Zusammenhang.“ Und: „Die Evolution ist eine ungemein erfolgreiche Idee, stiftet sie doch in den Köpfen von mehr und mehr Denkern Ordnung und Sinn … Wie die DNA allen Lebensbereichen Ordnung und Sinn gibt, so gibt die Evolutionstheorie allen Wissenschaften ein fruchtbares Denkmodell.“ Demgemäß hat Vollmer in diesem Buch 58 wissenschaftliche Disziplinen zusammengestellt, in denen die Evolution eine wichtige Rolle spielt.

An der Bibel orientierten Christen – und nicht nur diesen – sollte bewusst sein: Egal wo sie sich bilden oder fortbilden, in vielen Bereichen werden sie mit der „Metaerzählung“ Evolutionismus konfrontiert, die ihre Deutungsmacht einfordert – mal subtil, mal aggressiv attackierend. An vielen Stellen wird der Anspruch ähnlich formuliert wie in dem Werk Die Entdeckung der Evolution. Eine revolutionäre Theorie und ihre Geschichte: Seit dem späten 19. Jahrhundert erscheine es „immer unbegreiflicher“, „dass diese so einleuchtende und vom Kausalitätsprinzip geradezu geforderte Vorstellung“ (S. 24) erst mit Darwin begonnen habe. Ähnlich Vollmundiges ist in Evolutionär denken. Darwins Einfluss auf unser Weltbild zu lesen, wo behauptet wird, dass wir die „Evolution des Lebens und die Entstehung des Menschen … ohne Bezug auf das Übernatürliche erklären können“ (S. 11). So kann man dann auch die Entwicklung, die in diesem Buch zusammengefasst wird, einordnen: „Neue Wissenschaftszweige wie Soziobiologie oder evolutionäre Psychologie suchen mit Darwin im Gepäck die Ursprünge menschlichen Verhaltens, der Sprache, aber auch von Kultur und ästhetischer Erfahrung zu begreifen. Unter evolutionären Vorzeichen werden Fragen z.B. nach der Identität des Menschen, nach dem Ursprung der Moral, von Geist und Bewusstsein diskutiert“ (Klappentext).

Dieser Artikel soll ansatzweise für geistesgeschichtliche Tradition, Zusammenhänge und Auswirkungen dieser Weltanschauung sensibilisieren und diese bewusst machen. Jedem sei, je nach persönlichem Schwerpunkt, zur Vertiefung geraten.

Evolution(ismus) in der Geschichte

Ursprung und Geschichte der Lebewesen haben die Menschen schon immer interessiert. In den meisten Kulturen vermischten sich die Überlieferungen der Schöpfungsgeschichte schon früh mit den aufkommenden Religionen und Götzenkulten und mutierten zu Mythen. Daneben begannen sich bereits in der frühen Antike Vorstellungen von einer Entwicklung des Kosmos und einer gemeinsamen Abstammung der Lebewesen herauszubilden, die sich im Laufe der Zeit gewandelt haben. In der Neuzeit verlor der biblische Schöpfungsgedanke in der Öffentlichkeit vieler, besonders westlicher, Staaten dann mehr und mehr an Bedeutung.

Auffallend ist, dass nahezu jeder Versuch, die Herkunft des Lebens ohne Schöpfungshandeln zu erklären, zu einer Form von Abstammungs- und Entwicklungslehre führt. Es entspricht eben oft unserer Erfahrung und Beobachtung, dass komplizierte Dinge nicht plötzlich erscheinen, sondern sich entwickeln. An die Stelle eines Schöpfungsglaubens traten daher zunehmend Entwicklungsvorstellungen (s.u.). Charles Darwin (1809–1882) deutete seine Beobachtungen der Natur dann in diesem Rahmen, während die Überlegungen vorher eher auf theoretischen Spekulationen beruhten.

Die Idee der Abstammung der Lebewesen von anderen Ahnenformen bezeichnet man heute als Evolution. Der Gedanke reicht aber bis in die Frühgeschichte des Menschen zurück. Aus der Antike sind solche Vorstellungen bereits bei den Babyloniern bekannt und später vor allem bei den Griechen. Von Anaximandros (ca. 611–546 v. Chr.) ist überliefert, dass er die Entstehung der ersten Generation der Lebewesen aus der Feuchtigkeit postulierte. Sie seien dann auf das Trockene ausgewandert und hätten in kurzer Zeit ihre Lebensform geändert. Auch die Menschen hätten eine solche Metamorphose durchgemacht; ursprünglich seien sie einem Fisch ähnlich gewesen bzw. im Körper von Fischen entstanden. Empedokles von Agrigent (ca. 492–430 v. Chr.) nahm an, dass Tiere wesentlich später entstanden seien als Pflanzen. Die ursprüngliche Entstehung der Organismen soll vier Stufen durchlaufen haben. Bei ihm sind auch Gedanken zum „Überleben des Tüchtigsten“ zu finden. Wie hier beispielhaft gezeigt, finden sich schon damals etliche Elemente für die Entwicklung der Evolutionsvorstellung: Urzeugung, das Denken in langen Zeiträumen, die Bedeutung von Umweltbedingungen, aber vor allem das Bemühen, natürliche Erklärungen zu finden. In der antiken Philosophie kam es dann aber zu Akzentverschiebungen, die von der Idee der Evolution wegführten. So wird z.B. Platon (427–348 v. Chr.) als „Antiheld der Evolutionslehre“ bezeichnet.

Die frühesten Entwicklungsvorstellungen waren noch stark mit dem Handeln von Gottheiten verknüpft gewesen. Erst die Griechen begannen systematisch nach einem oder mehreren „Urprinzipien“ zu suchen, mit deren Hilfe sie die Entwicklung von Kosmos und Leben ohne die Wirkung personaler Gottheiten erklären wollten. Manche ihrer Entwürfe waren Versuche, allein mit dem Verstand eine möglichst einfache und schlüssige Erklärung für den Grund, das Wesen und den Ursprung aller Dinge zu finden. Auch wenn einige dieser Vorstellungen heute befremdlich erscheinen, finden wir darin bereits viele Ideen, die später in der Evolutionslehre wieder aufgegriffen wurden.

Die christliche Theologie setzte sich schon früh mit der griechischen Philosophie auseinander. Einige Kirchenväter übernahmen Teile von deren Naturphilosophie und bauten sie in ihre Auslegung der Bibel ein. So wurde auch das ursprüngliche Verständnis des Schöpfungsberichts in der Christenheit in Frage gestellt.

In der Renaissance kamen dann erneut Entwicklungsvorstellungen auf, die zunächst hauptsächlich von Philosophen und nicht von Naturwissenschaftlern vertreten wurden. Den Boden für die moderne Evolutionstheorie bereiteten dann die Philosophen der Aufklärung.[1] Zentral waren der Anspruch und Wille, auf übernatürliche Erklärungen zu verzichten. Die Vorstellung, dass es einen persönlichen Gott gibt, wurde zunehmend abgelehnt. Manche Forscher versuchten noch, Kompromisse zwischen ihrem Rationalismus und ihren religiösen Vorstellungen zu finden. Doch unaufhaltsam setzte sich die Auffassung durch, die noch heute das Denken der meisten Wissenschaftler bestimmt: dass Gottes Offenbarung für naturwissenschaftliche Fragen keine Bedeutung mehr habe. Der Aufklärungsphilosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) glaubte, dass alle Tierklassen durch Übergangsformen miteinander verbunden seien. Immanuel Kant (1724–1804) meinte, dass sich die höheren Organismen aus einfacheren Formen entwickelt haben könnten (wobei er den Gedanken zielgerichteter Entwicklungsreihen aus der Renaissance aufgriff). Er selbst bezeichnete diese Vorstellung aber als „gewagtes Abenteuer der Vernunft“, dem keine Beispiele aus der Erfahrung zugrunde lägen. Der Niederländer Jan Swammerdam (1637–1680) hielt es für möglich, dass alle Arten von einem einzigen erschaffenen Tier abstammen könnten. Andere vertraten das Prinzip der natürlichen Auslese oder vom „Überleben der Fähigsten“, stellten eine Mutationstheorie auf, postulierten eine von Umwelteinflüssen gelenkte Entwicklung des Lebens oder eine Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen. Es wurden also etliche Vorleistungen für die spätere Formulierung der (biologischen) Evolutionstheorie geliefert.

Auch der Fortschrittsglaube war im 18. Jahrhundert ein grundlegendes Prinzip, das mit obigen Entwicklungen zusammenhängt. Die Vorstellung vom ununterbrochenen und unbegrenzten Fortschritt führte zwar nicht direkt zur Idee der Evolution, bereitete ihr aber teilweise indirekt den Weg. Als dann im 19. Jahrhundert konkretere Evolutionstheorien aufkamen, wurde Evolution häufig mit Fortschritt gleichgesetzt, was bis heute noch oft (auch unbewusst) geschieht.

Von Evolution im heutigen Sinne spricht man erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Evolutionsvorstellung als wissenschaftliche Theorie ist vor allem mit dem Namen Charles Darwin verbunden. Unabhängig von ihm entwickelte Alfred Russel Wallace (1823–1913) damals eine Selektionstheorie, die der von Darwin sehr ähnelte. Darwins Buch Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl (1859) passte in das geistige Klima der Zeit. Nicht wenige meinen, dass dieses Werk für das zweite Jahrtausend nach Christus das sei, was für das erste Jahrtausend die Bibel gewesen war. Schon vor Darwins Veröffentlichung hatte der einflussreiche Philosoph Herbert Spencer (1820–1903) evolutionäres Denken auf gesellschaftliche Verhältnisse angewandt. Später übertrug er den Selektionsgedanken auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und lehnte daher Armen- und Altenfürsorge, Gesundheitspflege usw. ab. Darwin wurde auch von einem Werk beeinflusst, das die These vertrat, die heute wirksamen Kräfte und ablaufenden Erscheinungen bildeten den alleinigen Schlüssel zum Verständnis der Vergangenheit.

Wichtig für den Durchbruch der Theorie Darwins war u.a., dass sie dem Drang entgegenkam, der seit der Aufklärung bestimmend geworden war, nämlich alle Dinge auf natürliche Weise erklären zu wollen. Neu war bei Darwin, dass er seine Theorie mit vielen Beispielen zu stützen versuchte.

Evolutionismus heute

Heute steht der Begriff Evolution vorwiegend für die Auffassung, dass die Herkunft aller Dinge naturalistisch erklärbar sei. So ist die Rede von einer kosmischen, chemischen, biologischen und kulturellen Evolution. Auch in Didaktik, Sprachgeschichte/Sprachwissenschaft, Ethnographie, Musikgeschichte, Rechtsgeschichte/-theorie, Ethik, Erkenntnistheorie, Wissenschaftsgeschichte, Kunsttheorie, Pädagogik usw. spielt der Evolutionsgedanke eine Rolle, ebenso in folgenden Bereichen:

Psychologie: Nach Darwin kann „jedes geistige Vermögen und jede Fähigkeit nur allmählich und stufenweise erlangt werden. Licht wird auch fallen auf den Menschen und seine Geschichte.“

Philosophie: Unterschiedliche Weltanschauungen greifen die Evolutionstheorie auf und verwenden sie zu ihrer Unterstützung. Dies trifft besonders auf materialistische, aber auch auf pantheistische Weltanschauungen zu. Die Vorstellung von der Evolution alles Lebendigen wird sogar selbst zu einer Weltanschauung und ist Kern und Grundgedanke eines Systems.

Theologie: Viele Bereiche, auch solche, wo das Handeln des Schöpfers zentral ist, werden in Verbindung mit dem Evolutionismus hinfällig.

Ethik: Mensch und Tier rücken näher aneinander heran. Dies erleichtert paradoxerweise das Töten von Menschen und erschwert das Töten von Tieren.

Geschichtsschreibung (einschließlich fiktionaler Darstellungen in Romanen): Die Anhänger des Evolutionismus und entsprechende Kontexte werden oft überhöht positiv und ihre Gegner negativ dargestellt – bis hin zur Existenzvernichtung durch Kampagnen.

Fazit

Insgesamt können wir festhalten, dass die Gesellschaft heute vielfältig von evolutionistischen Ideen im Blick auf die ferne Vergangenheit durchdrungen ist und deshalb auch mit einer evolutionistischen Schau auf die Gegenwart und die Zukunft blickt. Diese Veränderung in den Geistes- und Sozialwissenschaften war auch deshalb so einschneidend, weil durch den Evolutionismus das Menschenbild völlig verändert wurde. Wenn nahezu die gesamte Wirklichkeit nichts anderes als Evolution ist, wenn wir für diese Evolution fortan selbst mitverantwortlich sind und wenn seit eineinhalb Jahrhunderten viele Zusammenhänge konsequent und gründlich von evolutionistischen Ideen beeinflusst worden sind, dann können wir verstehen, dass viele Facetten unserer Kultur und auch Zukunftsvisionen davon geprägt werden. Die neueste Entwicklung und das Thema der (nahen) Zukunft ist in dieser Tradition der Transhumanismus: Während es bei Aldous Huxley (Brave New World, 1932) noch eine Dystopie war, ist die Überwindung von Krankheit, Alter und Tod durch den gentechnisch veränderten und/oder mit Maschinen vereinten Menschen nicht nur ein Thema zahlreicher Science-Fiction-Romane, sondern erklärtes Ziel einflussreicher Technokraten und Firmen heute.

Das Jahr 1859, in dem Darwins Entstehung der Arten erschien, war somit ein entscheidender Wendepunkt in Bezug auf das westliche Denken. Viele Bereiche der modernen Wissenschaft und des modernen Lebens wurden und werden so durch den Evolutionismus beeinflusst.

Dass der Evolutionismus zentralen Aussagen der Bibel widerspricht und mit ihr nicht kompatibel ist, dürfte klar sein. In der Bibel finden wir die Geschichte des Heils, die zeigt, dass das Ende der Welt mit einer Dynamik des Bösen zusammenhängt, wodurch sich alles zum Schlechten wendet. Ihr Zeugnis macht klar, dass Gott den Menschen schuf, dass dieser in Sünde fiel (was auch die Schöpfung in Mitleidenschaft zog), dass es einmal ein Gericht geben wird, dass der erlösungsbedürftige Mensch jedoch Heil durch Jesus Christus finden kann und dass es für den Menschen weitergeht, entweder im Himmel oder in der Hölle. Viele biblische Aussagen helfen uns, gesellschaftliche Zusammenhänge zu verstehen, und sie widersprechen klar dem Evolutionskonzept, das sich mittlerweile als kaum zu hinterfragender Neuzeitgötze etabliert hat. Der Evolutionismus ist also eine antigöttliche, antibiblische Bewegung, die dem Menschen u.a. die Würde (als einzigartiges Geschöpf Gottes) und auch die Möglichkeit der Erlösung nimmt.

Demgemäß müssen heute dominierende Weltanschauungen und Philosophien unbedingt anhand der Bibel überprüft und in Bezug auf ihre falschen und irreführenden Denkansätze entlarvt werden (so spricht gegen den Evolutionismus z.B. auch, dass Leben nicht aus Nichtbelebtem entstehen kann, dass sich die Welt dezidiert nicht zum Besseren entwickelt und vieles mehr). Vor allem muss aber der Versuchung widerstanden werden, populäres weltanschauliches, letztlich nichtbiblisches Denken mit biblischem Gedankengut zu vermischen, was in machen Kontexten mittlerweile keine Seltenheit mehr ist.

Jochen Klein

 Kleine Literaturauswahl

Reinhard Junker / Siegfried Scherer: Evolution. Ein kritisches Lehrbuch. Gießen (Weyel) 2013.

Willem J. Ouweneel: Evolution in der Zeitenwende. Biologie und Evolutionslehre – Die Folgen des Evolutionismus. Hückeswagen (CSV) o. J.

Franz Stuhlhofer: Charles Darwin – Weltreise zum Agnostizismus. Berneck (Schwengeler) 1988.

Alexander vom Stein: Creatio. Biblische Schöpfungslehre. Lychen (Daniel) ³2016.

www.wort-und-wissen.org

 

Säkulare Literatur

Christ Buskes: Evolutionär denken. Darwins Einfluss auf unser Weltbild. Darmstadt (Primus) 2008.

Thomas Junker, Uwe Hoßfeld: Die Entdeckung der Evolution. Eine revolutionäre Theorie und ihre Geschichte. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) ²2009.

Gerhard Vollmer: Im Lichte der Evolution. Darwin in Wissenschaft und Philosophie. Stuttgart (Hirzel) 2017.

[1] Vgl. „Kritisches zur Aufklärung“, www.denkendglauben.de

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