denkend glauben

Jochen Klein

Texte und Materialien zum christlichen Glauben

Hoffnungs-Perspektive

Unter der Überschrift „Lebensmüdigkeitsgesellschaft“ ist in der Zeitschrift Cicero 4/2024 Folgendes zu lesen: „Die Hoffnung hat dieser Tage einen schweren Stand. Sämtliche Wetten auf die Zukunft sind ins Negative gerutscht … und auf den Dashboards der Konjunkturpropheten blinkt Alarm … Auch Kriegsprognosen entwickeln sich steil in die falsche Richtung“.

In seinem neuen Buch Der Geist der Hoffnung. Wider die Gesellschaft der Angst schreibt der Philosoph Byung-Chul Han: „Die Angst geht um wie ein Gespenst. Permanent werden wir mit apokalyptischen Szenarien konfrontiert: Pandemie, Weltkrieg, Klimakatastrophe. Immer dringlicher wird der Weltuntergang oder das Ende der menschlichen Zivilisation heraufbeschworen … Wir befinden uns in einer Multikrise. Angstvoll blicken wir in eine düstere Zukunft. Überall fehlt es an Hoffnung. Wir hangeln uns von einer Krise zu nächsten, von einer Katastrophe zur anderen. Von Problem zu Problem. Vor lauter Problemlösen und Krisenmanagement verkümmert das Leben: Es wir zum Überleben. Die kurzatmige Überlebensgesellschaft gleicht einem Kranken, der mit allen Mitteln versucht, den nahenden Tod abzuwenden.“

Nun mag der eine oder andere einwenden, dass es solche schwierigen Zeiten schon immer gegeben hat und dass es beispielsweise zur Zeit der Weltkriege in Europa noch dramatischer aussah. Ein Schlüssel für Hoffnungslosigkeit sind aber nicht die äußeren Umstände, sondern es ist die Perspektive des Einzelnen. So hängt das Thema Hoffnung stark mit dem Thema Sinn zusammen. Verorteten viele Menschen im Mittelalter und besonders nach der Reformation ihre eigentliche Perspektive in Gott, jenseits dieser Welt, so nahm diese Perspektive gesamtgesellschaftlich zunehmend ab. Nachdem die Epoche der Aufklärung den Menschen weitgehend an die Stelle Gottes setzte, Nietzsche den Tod Gottes erklärte und die „Postmoderne“ Sinn gänzlich leugnet, kam auch die Sinn-Perspektive bei vielen nach und nach abhanden. Oder anders ausgedrückt: Durch Universitäten, Schulen und Medien wurde nach und nach ein Bewusstsein erzeugt, das die Perspektive auf das Hier und Jetzt begrenzt. Wenn Han nun als Lösung „hoffendes Denken“ postuliert und als Mangel, dass uns die „Erzählungen“ abhandengekommen seien, dann genügt beides als Schlüssel zur Hoffnung nicht, u.a. weil diese Hoffnung nicht über dieses Leben hinaus Bestand hat. Dies macht auch Hiob deutlich: „Aber die Augen der Gottlosen werden verschmachten; und jede Zuflucht ist ihnen verloren, und ihre Hoffnung ist das Aushauchen der Seele“ (Hiob 11.20).

Die Bibel formuliert zentral folgende Hoffnungsperspektive: Durch den Glauben an Christus haben wir ewiges Leben im Himmel. Aus dieser Perspektive können wir hier unser Leben hoffnungsvoll gestalten. Dafür steht uns Gottes Hilfe zur Verfügung: u.a. der Heilige Geist, Gebet und das Wort Gottes.

Eine Begebenheit, wo jemand trotz ungünstiger äußerer Umstände hoffnungsvoll sein konnte, trug sich in der griechischen Stadt Philippi im 1. Jahrhundert n. Chr. zu. Paulus und sein Begleiter Silas saßen um Mitternacht im innersten Gefängnis, die Füße fest in einem Holzblock, und priesen Gott mit Lobliedern. Dies ist deshalb verwunderlich, weil zuvor bei einem Missionseinsatz ein Aufruhr gegen sie entstanden war, dann wurden sie mit Ruten geschlagen und schließlich ins Gefängnis geworfen. Hinzu kam noch, dass es nicht ihre eigene Idee gewesen war, hierhin zu gehen, sondern dass sie von Gott gesandt worden waren, um das Evangelium zu verkündigen. Wie kam es nun zu den Lobgesängen um Mitternacht?

Im Brief an die Philipper macht Paulus später einiges darüber deutlich. Er schrieb diesen Brief während einer längeren Haft. Sein Prozess konnte mit einem Todesurteil enden. Trotzdem ist der Brief durchzogen von einem Ton der Hoffnung, der Freude und der Ermutigung: „Freut euch in dem Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freut euch! Lasst eure Milde kundwerden allen Menschen; der Herr ist nahe. Seid um nicht besorgt, sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden; und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christus Jesus. Im Übrigen, alles, was wahr, alles, was würdig, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was lieblich ist, alles, was wohllautet, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob gibt, dies erwägt. Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dies tut, und der Gott des Friedens wird mit euch sein“ (Phil 4,4–9). Die Nähe Gottes, die Beziehung zu ihm im Gebet und die Ausführung seines Willens sind also Schlüssel zum Erreichen der Hoffnung – auch in schwierigen Situationen.

Ein anderes Beispiel ist Daniel. Er konnte Deportation, ein neues gottfeindliches Umfeld und lebensbedrohliche Situationen bewältigen, weil er immer den Blick zu Gott hatte und um seine ewige Perspektive wusste: „Du aber geh hin bis zum Ende; und wirst ruhen und wirst auferstehen zu deinem Los am Ende der Tage“ (Dan 12,13).

Schließlich ist uns in Bezug auf das Thema das zu wünschen, was Paulus an die Römer – sozusagen als Kontrastprogramm zu einer Lebensmüdigkeitsgesellschaft – folgendermaßen ausdrückt: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und allem Frieden im Glauben, damit ihr überreich sei in der Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes“ (Röm 15,3).

Jochen Klein

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