In der Reihe „Kritisches zu …“ haben wir bisher u.a. einige Entwicklungen im Zuge der „Aufklärung“ und der 1968er-Bewegung behandelt, die mit nachvollziehbar machen, wie sich das Denken (und Handeln) in der vergangenen Zeit gewandelt hat.[1] Diesmal soll es um aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen gehen, in denen sich Aspekte des Behandelten zeigen.
In der Geschichte der Menschheit ist es immer wieder vorgekommen, dass gewisse Festlegungen anerkannt waren und als hohes Gut galten, das dann einen Staat oder eine Gesellschaft bestimmte; dazu gehörten z.B. die Gesetzgebung und die Regierungsform. Zum Teil hingen diese Festlegungen mit den Vorerfahrungen zusammen, die diese Gesellschaft betrafen. Gläubige Christen konnten dabei unterschiedlich gut leben. Manchmal wurden sie Opfer der Machthaber, es gab aber auch Zeiten, in denen sie geachtet wurden, und sogar Zeiten, in denen das Bekenntnis zum Christentum massive Vorteile versprach.
In unserer Gesellschaft gehören die Demokratie und das Rechtsgefüge zu den Festlegungen und zum hohen Gut. Prägende Vorerfahrung war u.a. der Nationalsozialismus. Demokratie und Rechtsgefüge bilden in vielen Bereichen einen Kontrast dazu und werden in Deutschland gerne als wichtiger Bezugspunkt (oft sogar mit quasireligiöser Bedeutung) herangezogen, z.B. in öffentlichen Debatten. Deshalb wird auch in Schulkontexten oft damit argumentiert, dass gute Noten nur möglich seien, wenn die Stellungnahmen der Schüler sich mit beidem decken.
Bibelorientierte Christen in unserer Gesellschaft konnten bisher noch ganz gut damit leben, auch weil etliche Grundsätze mit denen der Bibel übereinstimmen. Seit einiger Zeit stellt man jedoch immer mehr fest, dass (politische) Gruppen Demokratie und Rechtsgefüge als (Schein-)Legitimation verwenden, um bibelorientierten Christen die Legitimation abzusprechen, sie in Frage zu stellen, sie lächerlich zu machen oder zu kriminalisieren. Um den dahinterliegenden Mechanismus deutlich zu machen, bemühen wir zunächst einmal ein politisches Beispiel. Es muss ausdrücklich betont werden, dass es nicht um die Parteien oder Personen geht, sondern um den sich hier zeigenden Mechanismus. Es wird ein Beispiel aus dem linken Mainstream gewählt, auch weil die Kritik am rechten Spektrum durch die Medien eher bekannt sein dürfte und die Problematik dort in einigen Bereichen etwas anders gelagert ist.
Bei der Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten 2020 gewann nicht der Linke Bodo Ramelow, sondern zunächst der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD. Aus Protest gegen dessen Wahl warf ihm die Linke-Landeschefin einen Blumenstrauß vor die Füße, statt ihm zu gratulieren. Von den Medien wurde dies in den meisten Fällen nicht kritisiert, sondern fast als Heldentat gefeiert, nach dem unausgesprochenen Motto: „Wir dürfen das, wir sind die Guten“ – und als solcher darf man auch den politischen Gegner beleidigen. In den Berichten wurde außerdem klar, dass sich in Deutschland immer mehr eine Linksverschiebung bemerkbar macht. So sprach die Vorsitzende der Linkspartei in Thüringen davon, dass CDU und FDP die Chance hätten, die „Reihen der Demokraten wieder zu schließen“, indem sie sich hinter Bodo Ramelow versammelten. Demokraten sind demnach extrem Linke bis willige CDU-Anhänger, und Gegner ist jeder, der aus der Perspektive der Linken rechts davon steht. Der langjährige Berliner SPD-Fraktionschef meinte sogar, dass nur SPD, Grüne und Linke uneingeschränkt zur Demokratie stünden. In diesem Sinne benutzten ein Chefredakteur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und ein abgewählter Ministerpräsident Nationalsozialismusvergleiche für politische Gegner, und der stellvertretende SPD-Vorsitzende drohte mit der Entlassung wichtiger Funktionsträger in Staat und Gesellschaft, wenn sie nicht den linken Ideen folgen würden, was zum Teil auch umgesetzt wurde. Da verwundert es auch nicht, dass einem CDU/CSU-Ministerpräsidenten nur Widerspruch entgegenschlug, als er in einer Talkshow meinte, dass eine Zusammenarbeit mit den Linken in Thüringen ein falsches Signal für seine Partei setzen würde. Dass „Die Linke“ das DDR-Unrecht verharmlost und in ihren Reihen unzählige alte Funktionsträger aus der Zeit hat, als die Partei sich noch SED nannte, möchte man oft nicht wahrhaben. So verwundert es auch nicht, dass man überlegte, mit welchen nichtdemokratischen Mitteln man in Thüringen vor der nächsten geheimen Ministerpräsidentenwahl ausschließen könne, dass der zukünftige Ministerpräsident mit Stimmen der AfD ins Amt kommt. Und die SPD in Nordrhein-Westfalen bereitet ein Gesetz vor, das verhindern soll, dass Gesetze den Landtag passieren, an denen sich die parlamentarische Rechte beteiligt hat.
Wie gesagt, es geht hier nicht um politische Schlussfolgerungen. Ähnliche, aber zum Teil etwas anders gelagerte Strategien lassen sich auch bei rechten Parteien feststellen, und im Nationalsozialismus konnte man sehen, was rechter Terror in der Welt angerichtet hat. Es geht vielmehr um Mechanismen, die aktuell ablaufen und letztlich auch dazu führen, biblische Grundätze immer mehr zu beseitigen. Dabei müssen wir bedenken, dass aus der Perspektive der politisch und gesellschaftlich einflussreichsten Mehrheit biblische Grundsätze weitgehend als rechts bzw. konservativ gelten.
Unter dem Motto „Wir sind die Guten, wir dürfen das“ wird mittlerweile vieles, was gegen Sitte und Anstand, gegen gutes Miteinander oder noch wichtiger: gegen die Grundsätze der Bibel verstößt, für richtig und gut erklärt, weil man ja auf der richtigen Seite steht, nämlich der des Richtigen und Guten. Dieses Motiv finden wir auch bei radikalen Klimademonstranten oder bei Abtreibungsgegnern. So werden dann auch Gesetze gebrochen und es kommt zu Gewaltanwendung. (Insgesamt wird in der Gesellschaft, in öffentlichen Debatten und im Internet die Verrohung der Gesellschaft beklagt, wofür sicher alle Beteiligten mitverantwortlich sind.)
Die Toleranz, die von diesen Gruppen jahrelang verlangt wurde, gilt in diesen Zusammenhängen immer weniger, und es wird immer mehr nach Verboten von Sendungen, Fahrzeugen, Gewohnheiten, Institutionen, Nahrungsmitteln usw. gerufen, die nicht zu den eigenen Idealen passen, weil man ja angeblich weiß, was richtig und gut für alle ist.
Scheint dies Christen vielleicht noch eher am Rande zu betreffen, nehmen wir zum Schluss ein Beispiel, das sich aus den Entwicklungen ergibt und in dem deutlich wird, wohin die Reise geht. Michael Kotsch schreibt: „Nun ist es leider so weit, dass sexuell verunsicherten Jugendlichen gesetzlich jede bibelzentrierte Orientierungshilfe entzogen wird. Angesichts massiver sexualpolitischer Lobbyarbeit stimmte der Bundestag Mitte Dezember 2019 einem Totalverbot von Konversionstherapien zu. Wer zukünftig einem Minderjährigen Hilfe anbietet, der nach einer Veränderung seines homosexuellen oder transsexuellen Empfindens sucht, wird ab 2020 mit bis zu einem Jahr Gefängnisstrafe belegt. Ebenfalls verboten wird bereits das Vorschlagen, Bewerben und Vermitteln einer seelsorgerlichen oder therapeutischen Begleitung, wenn sie das Ziel hat, eine trans- oder homosexuelle Orientierung zu verändern. Wer ein solches Angebot einem unter 18-Jährigen empfiehlt, kann mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 € bestraft werden … Insbesondere linke und grüne Aktivisten jubeln, weil der Staat ihnen mit dem neuen Anti-Konversionsgesetz ein Werkzeug in die Hand gibt, strafrechtlich gegen evangelikale Christen und Gemeinden vorzugehen. Nach Aussagen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) richtet sich das neue Verbot insbesondere gegen Seelsorger, Psychotherapeuten und Laienprediger christlicher Glaubensgemeinschaften, die Jugendlichen in ihrer sexuellen Orientierung Hilfe anbieten, wenn diese zu einem Wechsel der trans- oder homosexuellen Ausrichtung führen könnte. Wer wagt, einen Veränderung suchenden homo- oder transsexuell empfindenden Menschen seelsorgerlich zu begleiten, gilt in Deutschland künftig als Straftäter. Diese im höchsten Maße intolerante Gesetzgebung muss wohl als Anfang einer staatlich initiierten Diskriminierung evangelikaler Christen gewertet werden. Das ist nach Wunsch linksorientierter Aktivisten allerdings erst der Anfang, Christen auch in anderen Fragen eine andere Ethik aufzuzwingen. Es ist bereits geplant, dass der Staat Gemeinden und Vereinen, die sich nicht aktiv an der Durchsetzung einer homo- und transsexuellen Gesellschaft beteiligen, die Gemeinnützigkeit entzieht. Die Bundestagsfraktion der Grünen hat diesen Schritt bereits beantragt. Nachdem die CDU in den vergangenen Jahren bestrebt war, grüne Forderungen gesetzlich umzusetzen, wird es wohl nicht lange dauern, ehe auch dieser Schritt vollzogen wird.“[2]
Der Philosoph Vishal Mangalwadi macht darauf aufmerksam, dass es u.a. Luthers Bibelübersetzung und sein großer Katechismus gewesen seien, die den deutschen Charakter nachhaltig positiv prägten, indem er für etliche Zusammenhänge biblische Grundsätze zu konkretisieren versuchte. Da sich nun immer mehr der Einfluss gottloser Strömungen Bahn bricht, ist die negative Entwicklung absehbar. Wenn wir beispielhaft gesehen haben, wie die machtpolitischen Mechanismen in Gesellschaft und Politik, besonders beim linken Mainstream, funktionieren, dann sollten wir sensibilisiert werden, uns davon nicht negativ beeinflussen zu lassen. Studieren wir die Bibel, dann werden wir gewappnet sein. Und wundern sollten wir uns auch nicht über diese Entwicklungen. Wir sollten aber bedenken: „Obwohl wir im Fleisch wandeln, kämpfen wir nicht nach dem Fleisch; denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern göttlich mächtig zur Zerstörung von Festungen; indem wir Vernunftschlüsse zerstören und jede Höhe, die sich gegen die Erkenntnis Gottes, und jeden Gedanken gefangen nehmen unter den Gehorsam des Christus“ (2. Kor 10,3–6). Tun wir dies nicht, werden wir früher oder später unserer Bestimmung nicht gerecht werden. Und bedenken wir: „Wenn die Grundpfeiler umgerissen werden, was tut dann der Gerechte?“ (Ps 11,3). „Die Worte des HERRN sind reine Worte – Silber, das geläutert im Schmelztiegel zur Erde fließt, siebenmal gereinigt. Du, HERR, wirst sie bewahren, wirst sie behüten vor diesem Geschlecht bis in Ewigkeit“ (Ps 12,7.8).
Jochen Klein
[1] www.jochenklein.de
[2] Michael Kotsch: „Das Verbot von Konversationstherapien – ein staatlicher Angriff auf die christliche Seelsorge“, in: Bibel und Gemeinde 1/2020, S. 5f.
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