Einer der bekanntesten zeitgenössischen Philosophen, Jürgen Habermas, meint: „Angesichts von Schuld, von Einsamkeit, von Leid und von Tod ist die Lage des Menschen prinzipiell trostlos.“ Ist das so?
Wenn wir uns das Ausmaß des moralisch Bösen vergegenwärtigen möchten, können wir z.B. an die Gräuel der beiden Weltkriege, das Elend in den Konzentrationslagern oder im Gulag der Sowjetunion denken. Zwei Fragen kommen dabei immer wieder auf: Wenn es einen Gott im Himmel gibt, der allmächtig, weise und liebend ist und sich auch um Gerechtigkeit kümmert, warum lässt er dann überhaupt die Existenz des Bösen zu? Oder warum setzt er dem Bösen nicht ein Ende? Mit der zweiten Frage ist oft auch noch ein prinzipielles Hinterfragen des Glaubens an die Existenz eines (solchen) Gottes verbunden.
Für diese Probleme eine passende Erklärung zu finden ist nicht leicht. Ein wesentlicher biblischer Aspekt ist, dass Gott die Autorität hinter dem Weltgeschehen ist und dass er zu seinem Ziel kommen wird. Es wird ein Endgericht geben, wo in Bezug auf jede Ungerechtigkeit, die jemals begangen wurde, vollkommene Gerechtigkeit gesprochen wird (Apg 17,30f.; Offb 20,11–15). Eigentlich hat das Thema Gericht etwas Bedrohliches, aber mindestens für die Opfer ist es eine Dimension des Trostes, dass einmal alles gerecht gerichtet werden wird.
Als weiterer Aspekt ist zu bedenken, dass Gott den Menschen so schuf, dass er sich zwischen Gut und Böse entscheiden kann. Dies gehört zu dem einzigartigen Wesen des Menschen, der ja nach Gottes Plan erschaffen wurde. Auch wenn wir Schwächen, Veranlagungen, Triebe usw. haben, können wir als normale Menschen doch immer noch entscheiden, wie wir handeln. Somit sind wir moralisch verantwortlich, richtig zu handeln. Leider nutzt der Mensch den von Gott gegebenen Willen, um gegen Gott zu agieren. Dennoch ist die Möglichkeit zur Entscheidung ein wesentlicher Teil davon, ein mündiger Mensch zu sein. (Dabei berücksichtigen wir, dass manche Menschen in ihren Fähigkeiten in verschiedenem Maß eingeschränkt sein können. Dies kann z.B. durch psychische Erkrankungen, Alkohol- und Drogeneinfluss oder auch durch schlechte Gewohnheiten bedingt sein.)
Sehr wichtig ist weiterhin die allgemeine Sündhaftigkeit des Menschen, da wir gefallene Geschöpfe und durch die Sünde beschädigt sind. Auch dadurch wird unsere moralische Freiheit beeinträchtigt. Die Bibel macht aber deutlich, dass Gott durch die Errettung, den Heiligen Geist usw. die Möglichkeit geschaffen hat, dass ein Befreiungsprozess bei dem Menschen stattfinden kann.
Ein weiterer Punkt ist die Frage, warum Gott nicht eingreift, wenn so viele Menschen sich entscheiden, böse zu handeln. Dabei ist zu bedenken, dass Gott bei der Sintflut und bei der Vernichtung von Sodom und Gomorra sehr wohl eingriff. Aber hier besteht das Problem, dass von den Folgen oft viele Menschen unterschiedslos betroffen sind. Häufig werden auch ganze Völker durch brutale Diktatoren umerzogen. Bei diesen Überlegungen ist u.a. wichtig, dass Gott „langmütig“ gegen uns ist, „da er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen“ (2. Petr 3,9).
Ebenfalls ein Problem sind Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, Hungersnöte usw. Der Grund für Schmerz und Leid liegt hier u.a. auch darin, dass der Sündenfall das ursprünglich beabsichtigte Gute zerstört hat, und so rebellieren die Menschen gegen den Schöpfer, unsere Natur rebelliert gegen uns, und die Schöpfung ist in Unordnung geraten. Das bedeutet aber nicht (zwangsläufig), dass das Leid einer Person mit einer unmittelbar vorher begangenen Sünde direkt zusammenhängt.
Beim Thema Schmerz ist schließlich noch zu beachten, dass dieser nicht immer schlecht ist. So weist er z.B. auf Fehlfunktionen von Körperteilen hin. Schmerz und Leid erzeugen Mitgefühl bei anderen. Auch können sie den Charakter reifen lassen, wie bei der Erziehung in der Schule Gottes. Manche Menschen riskieren Schmerzen beim Sport o.Ä., und Naturkräfte wie z.B. Strom erzeugen Schmerzen, wenn wir uns ihnen in falscher Weise aussetzen.
Timothy Keller macht in seinen Büchern Hoffnung in Zeiten der Angst und Gott im Leid begegnen einige zentrale Punkte deutlich. „Egal, wie gut wir vorbeugen, egal, wie gut wir unser Leben gestalten, egal, was wir alles anstellen, um reich, gesund, beruflich erfolgreich und in Freundschaft und Familie glücklich zu sein – irgendwann kommt etwas, das unser schönes Leben beschädigt, ja ruiniert. Mit noch so viel Geld, Macht und Planung können wir es nicht verhindern, dass Tod, Krankheit, zerbrochene Beziehungen, finanzielle Katastrophen und hundert andere Übel über uns hereinbrechen. Das menschliche Leben ist furchtbar zerbrechlich, ausgeliefert an Kräfte, die zu stark für uns sind.“
Nach Keller liegt eine zentrale Ursache für negative Entwicklungen wie die beschriebenen darin, dass die Menschheit meine, Gott nicht mehr zu brauchen. Sie betrachte sich nun selbst als Gott, und so seien die Menschen ihre eigene Zukunftshoffnung, ihr eigener Gott. Damit gehe eine scheinbare Zukunftsgewissheit einher, weil die Menschen meinten, alles, was sie für diese Zukunft brauchten, in sich selbst zu haben. Kellers Grundthese ist, dass die Auferstehung die große Umkehrung der Weltgeschichte sei, die uns sowohl die Kraft als auch die Vorlage für ein Leben gebe, das in der Gegenwart stattfinde, aber bereits mit Gottes künftiger neuer Schöpfung verbunden sei.
In seinem Buch Gott im Leid begegnen fasst Keller zehn wesentliche Aspekte zum Thema Schmerz zusammen: 1. Wir müssen uns über die verschiedenen Arten des Schmerzes klar werden. 2. Wir sollten uns über die Unterschiede in Charakter und Temperament zwischen uns und anderen Leidenden klar sein. 3. Es ist unerlässlich, dass wir in unserem Schmerz und unserem Leid rücksichtslos ehrlich gegenüber uns selbst und gegenüber Gott sind. 4. Wir dürfen Gott unser Herz ehrlich ausschütten, aber wir sollten auch seiner Weisheit und seiner Liebe vertrauen. 5. Wir müssen beten. 6. Wir müssen diszipliniert in unserem Denken sein. 7. Wir sollten bereit zur Selbstprüfung sein. 8. Wir müssen uns um das rechte Lieben bemühen. 9. Wir sollten uns nicht der Gemeinschaft mit anderen Christen entziehen. 10. Es gibt einige Varianten des Leids.
Zwei wesentliche Ziele Gottes mit der Menschheit können wir so zusammenfassen: Der Mensch soll in dieser Welt als Geschöpf Gottes die Ressourcen der Erde verwalten und gestalten. Er soll, während er auf dieser Welt lebt, zu einem Kind Gottes werden, das die Gemeinschaft mit dem Vater erfahren kann. Er soll durch den Heiligen Geist, das Wort Gottes und dessen Erziehung als Kind Gottes wachsen, um zu einem erwachsenen, mündigen Christen zu werden. Nach seinem Tod soll er sich dann in der Ewigkeit einer vollkommenen Gemeinschaft mit Gott erfreuen und mit Christus über den neuen Himmel und die neue Erde herrschen. Und bei diesem allem gehören Schmerzen auf dieser Erde mit dazu. Jedoch ist die Dimension des Leids auf der Erde nicht vergleichbar mit der Herrlichkeit, die kommen wird: „Denn ich halte dafür, dass die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll“ (Röm 8,18).
Jochen Klein
Literaturempfehlungen:
David Gooding, John Lennox: Was dürfen wir hoffen? Antworten einfordern – Den Schmerz des Lebens ertragen – Was ist Wirklichkeit? Dillenburg (CV) 2021.
Hartmut Jaeger: Warum das alles? Denkanstöße und persönliche Erfahrungen im Leid. Dillenburg (CV) 2010.
Timothy Keller: Gott im Leid begegnen. Gießen (Brunnen) 2015.
Timothy Keller: Hoffnung in Zeiten der Angst. Wie die Auferstehung die Welt verändert. Gießen (Brunnen) 2022.
Hans Joachim Kuhley: Hat Gott vergessen, gnädig zu sein? Lychen (Daniel) 2001.
Alexander vom Stein: Hiobs Botschaft. Lychen (Daniel) 2017.
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