denkend glauben

Jochen Klein

Texte und Materialien zum christlichen Glauben

Vergebung

Wir leben nicht allein auf dieser Welt, sondern sind in vielfältige Beziehungen eingebunden, ob familiär, gemeindlich, beruflich, im Freundeskreis, in unserer Wohngegend usw. Selbst wenn wir uns intensiv um richtiges Verhalten, Handeln und Reden bemühen, ist das nicht immer von Erfolg gekrönt. Manches wird zwar falsch beurteilt, doch es kommt so oder so immer wieder zu Missverständnissen, Konflikten und auch Sünde. Bei der Beurteilung des menschlichen Tuns ist letztlich aber nicht eine menschliche Instanz endgültig – so macht uns Paulus bewusst –, sondern der Herr (vgl. 1. Kor. 4,3ff.). Dies ist sowohl ein Trost als auch eine Warnung. Wenn wir nämlich unverschuldet in Konflikte geraten, so weiß er das. Haben wir aber Schuld und kein Mensch erkennt es, dann weiß auch das der Herr und wir müssen die Folgen davon tragen (vgl. Gal 6,7.8).

In der Bibel wird zunächst einmal die Grundlage für wirkliche Versöhnung – nämlich die zwischen Gott und dem Menschen – deutlich, indem Gott uns Menschen seinen Sohn, den Herrn Jesus Christus, sandte, der zur Vergebung unserer Schuld in den Tod ging. Wer durch Gottes Gnade die Vergebung seiner Sünden erlangt hat, ist verpflichtet, auch den Menschen zu vergeben, die an ihm sündigen (Eph 4,32). Matthäus 6,12 macht klar, wie wichtig es ist, dass wir unseren Schuldnern vergeben, denn dies wird hier direkt mit Gottes Vergebung in Bezug auf uns in Verbindung gebracht. Wenn ein Gläubiger anderen vergibt, so gibt er das von Gott Empfangene weiter. Das Vergeben unter Menschen sollte also die Gnade zur Grundlage haben, selbst wenn es so scheint, als habe der andere keine Vergebung verdient. Und der Herr Jesus forderte das Vergeben nicht nur von seinen Jüngern, sondern er praktizierte es auch selbst, z.B. als er am Kreuz um Vergebung für seine Feinde bat (vgl. Lk 23,34).

In der Bibel werden wir immer wieder dazu aufgerufen, unseren Teil zum positiven Miteinander beizutragen und auch zu vergeben. Ein naheliegendes Beispiel ist in Matthäus 18 zu finden, wo wir dazu aufgefordert werden, wenn ein Bruder gegen uns sündigt, zu ihm hinzugehen und ihn zu überführen (V. 15). Auf die Frage des Petrus an den Herrn Jesus, wie oft man dem Bruder, der gegen einen gesündigt hat, vergeben soll, antwortete der Herr sinngemäß: Immer wieder, ohne Begrenzung (V. 22). Es geht hier nämlich darum, den Bruder zu gewinnen.

Bei diesem Thema können wir auch von dem israelitischen Mädchen lernen, das von den Syrern aus seiner Heimat verschleppt wurde und nun bei Naaman war. Als dieser krank wurde, sagte sie: „Ach, wäre doch mein Herr vor dem Propheten, der in Samaria wohnt! Dann würde er ihn von seinem Aussatz befreien“ (2. Kö 5,3). Sie hätte dies auch nur denken und so Naaman eine lebenswichtige Information vorenthalten können, aber obwohl man ihr so übel mitgespielt hatte, schien sie keinen Groll zu hegen, sondern war letztlich der Auslöser für die Heilung ihres Herrn.

Eine weitere Lektion können wir von Josephs Brüdern lernen. Joseph hatte ihnen vergeben, dass sie ihn in die Sklaverei verkauft hatten, aber die Brüder waren nicht bereit, diese Vergebung zu akzeptieren. Immer wieder kamen sie auf dieses Thema zurück, auch kurz nach dem Tod ihres Vaters. Sie sagten: „Unser Vater hat vor seinem Tod befohlen und gesagt: So sollt ihr zu Joseph sprechen: Ach, vergib die Übertretung deiner Brüder und ihre Sünde! Denn sie haben dir Böses angetan. Und nun vergib doch die Übertretung der Knechte des Gottes deines Vaters“ (1. Mo 50,17). Über viele Jahre hatte die Gebundenheit das Handeln der Brüder beeinflusst. Hätten sie die Vergebung vollständig angenommen, hätten sie freier leben können. Daraus wird zweierlei deutlich: 1. Wenn wir jemandem gegenüber schuldig geworden sind und dies ist bereinigt, dann können, ja sollten wir das auch so annehmen und es dabei belassen. 2. Wenn der Herr uns vergeben hat, sollten wir uns dessen ebenfalls bewusst sein und über vergangene Schuld nicht weiter grübeln. Sicher denken wir gelegentlich noch einmal daran, aber sie sollte keine Macht mehr über uns haben. Für Gläubige dürfte selbstverständlich sein, bedacht in geistlicher Abhängigkeit zu leben und nicht willens draufloszusündigen. Hier können wir z.B. auch von Mose und David lernen. Mose hatte einen Ägypter erschlagen und war durch die Erziehung Gottes zum sanftmütigsten Mann auf der Erde geworden (vgl. 4. Mo 12,3). Und als Absalom die Revolution gegen David anzettelte, kämpfte dieser nicht, sondern zog mit seinen Leuten aus Jerusalem aus und überließ den Rest dem Herrn (vgl. 2. Sam 15).

Eine vorbildliche Grundhaltung in Bezug auf Vergebung finden wir sowohl bei Stephanus als auch bei Paulus. Stephanus sagte über seine Mörder kurz vor seinem Tod: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu“ (Apg 7,60), und als bei Paulus’ erster Verantwortung niemand ihm beistand, schrieb er: „Es werde ihnen nicht zugerechnet“ (2. Tim 4,17). Diese Vergebung zwischen Menschen hat eine Herzensänderung als Basis, es geht ihr der Wille voraus und sie ist kein äußeres Ritual, wie auch im Neuen Testament deutlich wird: „Zieht nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut, Langmut, einander ertragend und euch gegenseitig vergebend, wenn einer Klage hat gegen den anderen; wie auch der Christus euch vergeben hat, so auch ihr. Zu diesem allen zieht die Liebe an, die das Band der Vollkommenheit ist. Und der Friede des Christus regiere in euren Herzen“ (Kol 3,12–15). Und: „Alle Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung sei von euch weggetan, samt aller Bosheit. Seid aber zueinander gütig, mitleidig, einander vergebend, wie auch Gott in Christus euch vergeben hat“ (Eph 4,31.32). Und Philipper 4,4–7 macht deutlich, dass wir das Gewünschte mit Hilfe des Gebets erreichen können.

Wenn also Vergebung ein wirklich zentrales Thema in der Kommunikation und jeglicher Beziehung ist und es in allen Beziehungen früher oder später zu Konfliktsituationen kommt, so sollten/müssen manche Bereiche aufgearbeitet werden, weil sie über Jahrzehnte ein Problem darstellen können und bei passender Gelegenheit wieder zum Vorschein kommen können. Vergebung muss also mit dem „Vergebenwollen“ im Einklang stehen. So schreibt Paulus: „Ich ermahne euch nun, ich, der Gefangene im Herrn, dass ihr würdig wandelt der Berufung, mit der ihr berufen worden seid, mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe, euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens“ (Eph 4,1–3).

Diese innere Haltung zur Vergebung haben wir nicht automatisch; unser natürliches Inneres wird versuchen, sich dagegen zu wehren. Aber wir können diese Vergebungsbereitschaft erreichen – mit Gebet und der Botschaft Gottes in seinem Wort an uns. Dabei müssen wir uns immer wieder den Spiegel Gottes vor Augen halten und dem Beispiel des Herrn Jesus folgen.

Zusammenfassend könnten wir sagen, dass die von Gott gewirkte Liebe (vgl. 1. Kor 13) und die dadurch bestimmte Grundhaltung des Dienens eine gute Basis für ein gutes Miteinander ist. Als Präventionsmaßnahmen könnten beachtet werden: Gefahren erkennen und vermeiden; uns der eigenen Schwäche(n) bewusst sein; anderen helfen (z.B. nicht in Konflikte zu geraten); sich gegenseitig helfen; eine positive Grundeinstellung; Korrekturbereitschaft und ‑fähigkeit (Mt 7,12: „Alles, was irgend ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso“); Leute mit in die Verantwortung nehmen (1. Sam 25,32: Abigail hindert David daran, an Nabal schuldig zu werden); und es ist auch wichtig, dass wir vergeben, auch wenn der andere uns (noch) nicht um Vergebung gebeten hat. Eine Konsequenz wäre auch die Versachlichung eines Problems und dieses nicht zu persönlich zu nehmen. Schließlich: Wenn wir vergeben, geht es uns einfach besser. Es trägt zum seelischen Wohlbefinden (zur seelischen Gesundung) bei.

Lassen wir uns erinnern: „Achtet darauf, dass nicht jemand an der Gnade Gottes Mangel leide, dass nicht irgendeine Wurzel der Bitterkeit aufsprosse und euch beunruhige und viele durch sie verunreinigt werden“ (Hebr 12,4), und: „Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist …“ (Phil 3,13). Möge uns das Vergeben gelingen!

Jochen Klein

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