denkend glauben

Jochen Klein

Texte und Materialien zum christlichen Glauben

Wie das Christentum die Welt veränderte

Würde man heute wahllos Menschen nach der Bedeutung des Christentums fragen, so bekäme man – selbstverständlich – völlig unterschiedliche Antworten. Einige würden wohl eher die persönliche Komponente betonen, nach dem Motto: Was bedeutet das Christentum für mich? Andere würden mehr seine Bedeutung für die Menschheit oder die Gesellschaft in den Vordergrund rücken. Gemeinsam dürfte aber vielen sein, dass die Verdienste des Christentums ihnen höchstens in Ansätzen bekannt sind oder dass – zum Teil wegen der Massenmedien – sogar ein negatives Bild vorherrscht. Um diesem zu begegnen, aber auch um Interessierten mehr Informationen zu geben, veröffentlichte der Soziologieprofessor Alvin J. Schmidt 2004 das rund 500 Seiten umfassende Buch Wie das Christentum die Welt veränderte. 2009 erschien es auf Deutsch. Im Folgenden haben wir ein paar wesentliche Aspekte zusammengefasst.

Zunächst ist zu bedenken, dass sich die Botschaft von Jesus Christus an den Einzelnen richtete und richtet. Doch Menschen, die zum Glauben gekommen waren, gingen bereits seit Beginn des Christentums daran, eine im Heidentum verwurzelte Welt von Grund auf zu verändern. Nicht dadurch, dass sie eine Revolution auslösten, sondern dadurch, dass sich ihre Prinzipien änderten und so auch die Ideale der Gesellschaft. Das Christentum löste so eine Initialzündung von Taten und Ideen aus, die die ganze Welt geprägt haben und deren Wirkung seit Jahrhunderten andauert. Dies betrifft die Bereiche der Ethik und Moral, des Gesundheits- und Bildungssystems, der Wirtschaft, der Wissenschaft, des Rechtswesens, der Kunst und der Regierung.

Alles begann in Jerusalem und ging über Antiochien, Alexandrien und Rom bis in viele andere Städte und Länder. Wesentliche Personen der ersten Zeit waren die Jünger und der Apostel Paulus. Schon früh wurden von heidnischen Autoren die Auswirkungen des Christentums bemerkt und dokumentiert. So berichtet Plinius der Jüngere (61–114 n.Chr.) an Kaiser Trajan, dass die Christen sich „durch einen feierlichen Eid“ dazu verpflichteten, „Diebstahl, Raub, Ehebruch, Treulosigkeit und Unterschlagung anvertrauten Gutes“ zu meiden. Außerdem praktizierten sie eine persönliche Ethik, die eine scharfe Absage an im Römerreich gängige Praktiken wie Abtreibung, Tötung oder Aussetzung von Kindern, Selbstmord, homosexuellen Sex und Erniedrigung der Frau war. Für die meisten römischen Kaiser, ja für die meisten Römer überhaupt war das menschliche Leben nämlich billig, und Töten und Quälen waren nichts Weltbewegendes. So schaute z.B. Kaiser Tiberius (14–37 n.Chr.) mit Vorliebe zu, wie Gefolterte ins Meer geworfen wurden. Sein Nachfolger Caligula (37–41) ließ alle, die in seinem Palast dienten, umbringen. Und Claudius (41–44 n.Chr.) war ein begeisterter Liebhaber der Gladiatorenspiele. Dem setzte das Christentum neue Prinzipien entgegen. Dies wurde aber häufig nicht als Erleichterung, sondern als Bedrohung empfunden, so dass die Christen wegen ihres Glaubens drei Jahrhunderte lang verfolgt und getötet wurden.

Die frühen Christen verstanden sich nicht als Weltverbesserer. Sie hatten kein Programm zur Veränderung der Gesellschaft. Die Veränderungen, die durch sie angestoßen wurden, waren weitgehend „Nebenwirkungen“ ihres verwandelten Lebens – eines Lebens, das sie nicht nur die heidnischen Götzen, sondern auch den unmoralischen Lebensstil der griechisch-römischen Gesellschaft verwerfen ließ.

Abtreibung und Kindstötung

Eines der Markenzeichen dieser Gesellschaft war, wie wir sahen, die Geringachtung des menschlichen Lebens. Der Einzelne wurde nur dann als wertvoll erachtet, wenn er Teil des politischen Systems war und zu dessen Funktionieren beitragen konnte. Hinzu kam, dass der Bürger von den heidnischen Göttern keinen Unterricht in Moral erwarten konnte. Wenn die Christen den Menschen aber so sahen, dass er als Gottes Ebenbild erschaffen war, das durch den Sündenfall beschmutzt wurde, und dass der Sohn Gottes Jesus Christus sich selbst gab, um für Sünder zu sterben, dann war das menschliche Leben grundsätzlich alles andere als wertlos und billig. Dies zeigte sich bei den Christen u.a. in ihrer konsequenten Ablehnung der Abtreibung und des Tötens Neugeborener – Praktiken, die in der antiken griechisch-römischen Gesellschaft erschreckend normal waren. Die Motive dafür waren unterschiedlich. Besonders gefährdet waren kranke, schwache oder missgebildete Säuglinge. Meist wurden sie ertränkt, aber es gab auch noch brutalere Tötungsarten. Man rechtfertigte dies z.B. unter Berufung auf das römische Zwölf-Tafel-Gesetz. Wie die historische Forschung zeigt, war die Kindstötung auch in vielen anderen alten Kulturen üblich, so in Indien, China, Japan, im brasilianischen Urwald und bei den Eskimos. Für die Christen waren Kindstötung und Abtreibung Mord.

In der griechisch-römischen Welt wurden unerwünschte Neugeborene manchmal auch nicht direkt getötet, sondern ausgesetzt, typischerweise vor Tempeln, auf Marktplätzen usw. Oft nahmen Christen sie auf und adoptierten sie. Unter dem Einfluss des Christentums stellte Kaiser Valentinian I. im Jahre 374 nicht nur Abtreibung und Kindstötung, sondern auch das Aussetzen von Kindern unter Strafe.

Gladiatorenspiele

Die Gladiatorenspiele wurden in Rom 264 v.Chr. als Teil von Beerdigungsfeierlichkeiten für den Vater von Marcius und Decimus Brutus eingeführt. Sie sind ebenfalls eine eindrückliche Illustration der Gnadenlosigkeit und der Billigkeit des menschlichen Lebens, die hinter dem Pomp und Glanz und den kulturellen Leistungen der Großzeit des Reiches verborgen lagen. So ließen die barbarische Grausamkeit, die Schreie der Verwundeten und Sterbenden und die Ströme von Blut die Gewissen der Zuschauer kalt. Ein Gladiator, der nicht fähig oder bereit war, begierig in seinen Tod zu gehen, erfüllte das Publikum mit Empörung und Wut und verlor den Ruhm, den er hätte haben können.

Für Christen war das Spiel mit Menschenleben der Tiefpunkt der Moral. Sie verurteilten und boykottierten die Spiele. Dieser Widerstand blieb nicht unbemerkt. Minucius Felix zitiert einen römischen Heiden, der den Christen vorwirft: „Ihr besucht keine Schauspiele, nehmt an den Festzügen nicht teil … ihr verabscheut die Spiele zu Ehren der Götter.“ Wenn wir heute diese jahrhundertelang gängige Form der Unterhaltung verabscheuen, ist das also mit eine Folge des christlichen Einflusses auf unser Denken. Die heidnisch-stoische Sicht der Römer erklärt zu einem guten Teil, warum Abtreibung, Kindstötung, Kindesaussetzung und Gladiatorenspiele ein fester Bestandteil der römischen Kultur waren. Der wachsende Einfluss des Christentums mit seiner hohen Sicht des Menschen und der Menschenwürde und seinem Eintreten für die Schwachen und Unterdrückten ließ die christlichen Kaiser schließlich die Gladiatorenspiele abschaffen.

Menschenopfer

In heidnischen Religionen ist es nichts Ungewöhnliches, wenn den Göttern Menschenopfer dargebracht werden. So wurden im kanaanitischen Baalskult im Palästina des 9. Jahrhunderts v.Chr. Menschenopfer praktiziert. In der Nähe des Karmel, in den Ruinen der antiken Stadt Megiddo, entdeckten Archäologen die Überreste von Säuglingen und Kleinkindern, die unter der Herrschaft von König Ahab und Königin Isebel von Israel im Tempel der Aschera geopfert worden waren. Ähnliche Beispiele kann man auch bei den heidnischen Iren finden, die Kriegsgefangene ihren Kriegsgöttern und Neugeborene den Erntegöttern opferten. Unter den heidnischen preußischen und litauischen Stämmen waren Menschenopfer noch bis in 13. und 14. Jahrhundert hinein üblich. Der britische Autor Edward Ryan schreibt, dass diese Menschen „dies heute noch tun würden, wenn das Christentum nicht zu ihnen gekommen wäre“. Auch in Mexiko und bei den Mayas opferte man Menschen den Göttern.

Selbstmord

Der Römer betrachtete die Möglichkeit zur Selbsttötung als unschätzbares Vorrecht. Wir finden den Selbstmord auf allen Ebenen der römischen Gesellschaft bis hin zu den Kaisern. Durch das Christentum änderte sich diese Sichtweise.

Sexualethik

Aus der klassischen römischen Literatur geht klar hervor, dass die sexuellen Beziehungen zwischen Männern und Frauen zu der Zeit, als das Christentum nach Rom kam, in hohem Maß durch Promiskuität und Unsittlichkeit gekennzeichnet waren. Der britische Historiker Edward Gibbon schreibt, dass der Zusammenbruch der Sexualmoral nach dem Ende der Punischen Kriege 146 v.Chr. einsetzte. Bis zum 2. Jahrhundert n.Chr. hatte die eheliche Treue praktisch aufgehört. Ehebruch und Fremdgehen waren gang und gäbe. So kommentiert der Historiker C. Schmidt: „Es gab nichts, dem sie [die Römer] sich nicht hingaben oder das sie für schändlich hielten.“

Das sexuelle Verhalten und die sexuelle Unmoral der Römer waren aber nicht nur durch Ehebruch, Unzucht und pornographische Darstellungen geprägt, sondern auch durch die weit verbreitete Praxis der Homosexualität. Diese ging weit über sexuelle Beziehungen zwischen Männern bzw. Frauen hinaus, da auch ältere Kinder miteinbezogen wurden, was schon bei den Griechen üblich war. Auch hier können wir wieder sehen, dass sich diese Gegebenheiten mit der Verbreitung des Christentums änderten und mit dessen Rückzug wieder mehr hervorbrechen. Und das, was wir heute erleben, ist auch damals belegt, nämlich dass die Christen, die auf den biblischen Maßstäben bestanden, von ihrer Umgebung verachtet, angegriffen und gehasst wurden.

Die Rolle der Frau

  1. Balsdon, ein Experte für römische Geschichte, stellt fest, dass der Einfluss des Christentums in der römischen Welt den Status der christlichen Frau „tiefgreifend verändert hat“. Die Stellung der Frau, vor allem der Ehefrau, war im antiken Griechenland und Rom sehr niedrig. So durfte z.B. in Athen eine anständige Ehefrau nur mit einem vertrauenswürdigen männlichen Begleiter das Haus verlassen. Bei den Römern wurden neugeborene Mädchen häufig getötet oder ausgesetzt. Erst die Christen lehnten diese Praktiken vehement ab. Der Mann war auch Herr über das Leben seiner Ehefrau. Diese war wie ein Kind der vollen Zucht-, unter Umständen sogar der Tötungsgewalt und dem Recht des Mannes unterworfen, sie in die Knechtschaft zu verkaufen. Der Ehemann, der seine Frau wegen eines anderen Vergehens als Ehebruch töten wollte, benötigte dazu gewöhnlich die Zustimmung eines Familienrates. Bei Ehebruch war eine solche Zustimmung nicht erforderlich.

Die extrem untergeordnete Stellung der Frau in der griechisch-römischen Welt erfuhr eine radikale Veränderung durch das Christentum. In Lehre und Handeln verlieh es den Frauen eine vorher nicht gekannte Würde, oft zur Bestürzung seiner Feinde und manchmal zur Verwunderung seiner Freunde. Diese neue Sichtweise der Frau hatte dann auch Konsequenzen für das Familienbild der damaligen Zeit. Wenn man ein arabisches oder ein Dritte-Welt-Land betrachtet, sieht man, wie es um die Position der Frau in Ländern bestellt ist, in denen das Christentum kaum oder keinen Einfluss hat.

Weitere Bereiche

 In dem Buch von Alvin J. Schmidt werden noch weitere Bereiche vorgestellt, in denen das Christentum bedeutenden Einfluss hatte, so z.B. die Diakonie, die Abschaffung der Kinderarbeit sowie der Aufbau von Krankenhäusern und der Gesundheitsfürsorge allgemein. Weiterhin wird u.a. der Einfluss auf das Bildungswesen, die Wissenschaft, die Bedeutung der Arbeit und die Abschaffung der Sklaverei aufgezeigt. Leider weicht der Autor von den biblischen Belehrungen über die Rolle der Frau in der Gemeinde ab und vereinnahmt einige Wissenschaftler oder auch Entwicklungen zu stark für das Christentum. Ansonsten enthält das Buch viele wertvolle und hilfreiche Informationen.

Zusammenfassung

Wenn in unserer Gesellschaft Dinge wie Mord, Folter und andere Grausamkeiten als unethisch verurteilt werden, liegt das daran, dass die Menschen in einer christlichen Ethik aufgewachsen sind, für die das menschliche Leben heilig ist. So gibt es z.B. keinerlei Hinweise darauf, dass das wahllose Töten den alten Römern moralisch zuwider war. Der Kaiserbiograph Sueton berichtet über Tiberius: „Kein Tag verging ohne Hinrichtung, nicht einmal Feier- und heilige Tage“. Caligula tötete mit Begeisterung und ließ manchmal Kornspeicher absichtlich schließen, damit die Menschen verhungerten. Der Kirchenhistoriker Philip Schaff urteilt allgemein: „Die alte römische Welt war ohne Barmherzigkeit.“

Wir haben gesehen, dass das Christentum dem eine völlig neue Sichtweise entgegenstellte. Wenn wir allerdings einige der oben behandelten ethischen Aspekte in der heutigen Zeit beobachten, können wir feststellen, dass die zunehmende Abkehr von christlichen Maximen wieder Zustände herbeiführt, die in der Antike als normal galten, die aber biblischen Prinzipien diametral entgegenstehen und den Menschen schaden. Seien wir also vorsichtig in Bezug auf die oft als fortschrittlich postulierten gesellschaftlichen Entwicklungen, da etliche davon unbiblisch und letztlich auch zum Schaden der Menschen sind. – Auch um diese besser einordnen zu können, ist die Lektüre des Buches sinnvoll.

Jochen Klein

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