denkend glauben

Jochen Klein

Texte und Materialien zum christlichen Glauben

Wunder- und Aberglaube heute

„Montag ist immer ein schlechter Tag“, dachte Seba­stian, denn montags hatte er Unterricht bei Herrn Kaminski. „Sag mal, bist du taub oder was?“ rief plötzlich jemand. Er drehte sich um und stellte fest, daß Tim hinter ihm herlief, um – wie jeden Morgen – mit ihm zusammen zur Bushaltestelle zu gehen. Se­bastian, ganz in Gedanken versunken, hatte die Stim­me seines Freundes glatt überhört. „Wie kann es nur sein“, dachte Tim, „daß er vergessen hat, auf mich zu warten?“ Sie gingen schon seit dem ersten Schuljahr in die gleiche Klasse, hatten von dieser Zeit an vieles zusammen unternommen und in Freude und Leid zusammengehalten. So auch vorigen Sommer. Da­mals war Sebastian von Peter angestiftet worden, mit seinem Moped durch einen Bombenkrater zu fahren. Er war dabei gestürzt und hatte sich ein Bein gebro­chen. Tim hatte ihn während der Zeit, die er im Bett verbringen mußte, oft besucht. Dabei hatten sie auch über Daniel gesprochen, dessen Leben damals in der Jugendstunde behandelt wurde.

Inzwischen war Tim nähergekommen und überschüt­tete Sebastian mit Fragen: „Wo warst du gestern? Wer war noch da? Hast du auch die Hausaufgaben nicht gemacht?“

Sebastian, wie immer eher still und nachdenklich, ein zuverlässiger Freund und gewissenhafter Schüler, ging darauf gar nicht ein, sondern meinte, um Beiläu­figkeit bemüht: „Tim, stimmt eigentlich das, was in der Bibel steht; ich meine die Wunder und so?“

Tim hatte sich ja inzwischen daran gewöhnt, daß Sebastian in letzter Zeit bei gemeinsamen Gesprächen hin und wieder mit den Gedanken abwesend war, doch woran das lag, war ihm rätselhaft.

Es war eine Kette von Ereignissen gewesen, die Seba­stian in seine jetzige Lage gebracht hatte. Sebastian und Tim besuchten seit den Sommerferien die Klasse 11. In den vergangenen Jahren hatten sie mit Herrn Müller in ihrem Lieblingsfach Religion viel Freude gehabt. Als sie nun Herrn Kaminski bekamen, der neben Religion bei ihnen auch noch Deutsch unter­richten sollte, begannen jene Schwierigkeiten, die sich an diesem Wochenende dramatisch zugespitzt hatten. „Aufklärung“, das gemeinsame Thema für Religion und Deutsch, hatte er schon in der ersten Deutsch­stunde genannt und dann an der Tafel alles das ge­sammelt, was die Schüler darüber wußten. In Sebasti­ans Heft stand schließlich:

Die Aufklärung

 Die Aufklärung ist eine gesamteuropäische Bewegung. Sie begann im 17./18. Jahrhundert, beeinflußte alle Lebensbereiche und leitete den Prozeß der Verweltlichung der modernen Welt ein.

Die Aufklärung möchte die Menschheit von Überlieferungen, Einrichtungen, Vereinbarun­gen und Normen, die sich nicht vernunftmäßig begründen lassen, befreien. Diese Unabhängig­keit hat eine Basis: Die eigene Vernunft des Menschen.

Die Aufklärer glauben an die Unabhängigkeit der menschlichen Vernunft. Sie ist die einzige und letzte Instanz, die über Methoden, Wahrheit und Irrtum jeder Erkenntnis entscheidet.

Die Auswirkung der Aufklärung hinsichtlich der Bibel bis heute ist die Auseinandersetzung zwischen Vernunft und Offenbarung.

Der Wahlspruch der Aufklärung ist: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedie­nen.

Nach dieser kurzen Einführung hatte es viele inter­essiert, sich mit dem Ursprung der Denkweise ausein­anderzusetzen, die, wie Herr Kaminski erläuterte, für die moderne Welt von kaum zu überschätzender Be­deutung sei.

Neben der Schrift Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung (1784) von Kant sollte in Deutsch im kommenden Schuljahr Lessings Nathan der Weise behandelt werden. Da in dieser Zeit auch die Anfänge der modernen Bibelkritik liegen, hatte es sich für Herrn Kaminski geradezu angeboten, deren Entwick­lung bis heute an ausgewähl­ten Beispielen parallel im Fach Religion zu erörtern.

Im Zusammenhang mit die­sem Thema hatte er am Frei­tag morgen in Religion Ko­pien ausgeteilt, die bis Mon­tag gelesen werden sollten. Die Aufgabe bestand darin, die Hauptaussagen des Textes zusammenzufassen.

Nachdem Sebastian sich bis zum Abend mit den Tex­ten auseinandergesetzt hatte, war auf seinem Stich­wortzettel folgendes zu lesen:

Die Bibelkritik

- Der Theologe Gerd Lüdemann sagt, die Bibel sei weder Gottes Wort noch Heilige Schrift, weil sie voller Irrtümer stecke. Er „hält nicht nur an den Erkenntnissen und Ergebnissen der Bibel­kritik fest, die in 200 Jahren gewonnen wurden. Er will sie unters Volk bringen“.

- Die Arbeit moderner Ausleger wie Lüdemann gründet sich auf die Überzeugung, daß „kein einziges Stück des Neuen Testaments von ei­nem Augenzeugen verfasst“ sei.

- Heute haben Bibelkritiker die meisten Lehr­stühle für Neues Testament besetzt, und Theo­logiestudenten wird schon in den ersten Seme­stern vermittelt, daß bei weitem nicht alles so gewesen sei, wie es in den Evangelien steht.

- „Filtert man aus den Büchern der Neutesta­mentler die Ergebnisse ihrer Bibelkritik heraus, so lesen sie sich weithin wie ein Dementi der Berichte in den Evangelien: Jesus hat keine Wunder vollbracht und hat weder seinen Tod und seine Auferstehung noch die Zerstörung des Tempels angekündigt und auch sonst vie­les nicht gesagt.“

Das war Sebastian dann doch zuviel. Er verstand die Welt nicht mehr. Schon in der Sonntagsschule hatte er immer gehört, daß die Bibel Gottes Wort sei, vom Heiligen Geist inspiriert. Nun aber hatte er auf engem Raum das gelesen, was Herr Kaminski schon seit Beginn des Schuljahres versuchte hatte zu vermit­teln, nämlich daß man das, was in der Bibel steht, zu­erst einmal anzweifeln müsse. Was man nun glauben konnte und was nicht, wußte er jedenfalls nicht mehr. Was sollte er nur machen?

Da lagen also Sebastians Probleme. Hätte Tim das doch früher gewußt! Um dies herauszufinden, brauch­te er von Montag bis Donnerstag. Am Freitag in der Schule hatte er dann eine Idee. Er sagte zu Se­bastian: „Sprich doch mal mit deinem Onkel Hanno über diese ganze Sache. Der kennt sich doch immer ganz gut aus.“

Das tat Sebastian dann auch. Er rief seinen Onkel Hanno an, fragte, ob er am Samstag abend Zeit für ihn habe, und erläuterte kurz seine Probleme. Da On­kel Hanno sich schon seit längerer Zeit mit ähnlichen Fragen auseinandergesetzt hatte, war er froh, seinem Neffen helfen zu können, und sagte gerne zu.

Am nächsten Tag läutete Sebastian pünktlich um 19 Uhr bei seinem Onkel an der Haustür. Dessen Frau, Tante Sonja, öffnete, begrüßte ihn freundlich und fragte ihn, ob sie mit Anne und Wolf bei dem Ge­spräch dabei sein dürfte. Da Sebastian Tante Sonja als verständnisvolle Gesprächspartnerin schätzte und auch mit dem Cousin und der Cousine schon oft gute Unterhaltungen geführt hatte, erklärte er sich gerne einverstanden.

Nachdem sie es sich im Wohnzimmer bequem ge­macht hatten und auch Onkel Hanno eingetroffen war, schilderte Sebastian seine am Telefon bereits angedeuteten Schwierigkeiten nochmals im Zusam­menhang. Dann sagte sein Onkel, er habe nach Seba­stians gestrigem Anruf etliches Material zu diesem Thema gesichtet und sich einige Notizen dazu ge­macht. Deshalb schlage er vor, zuerst die Anfänge der modernen Bibelkritik in ihrer Entwicklung bis heute kurz zu erläutern. Die anderen willigten ein.

„Schon in der frühen Kirche“, begann er, „gab es immer wieder Gruppen, die das geoffenbarte Wort Gottes teilweise ablehnten oder sogar weitgehend leugneten. Dazu gehörten z.B. die sogenannten Doke­tisten, die abstritten, daß Christus je einen realen Kör­per oder eine genauer bestimmbare historische Exi­stenz gehabt habe. Für die vormoderne westliche Welt, die für unsere Überle­gungen besonders wichtig ist, gilt aber, daß die Zu­verlässigkeit der Heiligen Schrift bis zum 18. Jahr­hundert allgemein nicht angezweifelt wurde. Seit dieser Zeit verbreitete sich das Gedankengut der Aufklärung im gesamtgesell­schaftlichen Denken immer mehr und siegte schließ­lich. Damit einhergehend nahm man zusehends Ab­stand von dem Glauben an die Inspiration der Bibel. Hermann Samuel Reimarus (1694-1768), Johann David Michaelis (1717-91) und David Friedrich Strauß (1808-74) gelten als die wichtigsten Vertreter der Bibelkritik seit der Aufklärung. Sie bezweifelten z.B. die Gottheit Christi oder stellten die in den Evan­gelien beschriebenen übernatürlichen Ereignisse als „Mythen“ dar. Dies spiegelt sich auch in der Haltung der modernen Bibelkritik wider. Deren bekanntester Vertreter Rudolf Bultmann (1884-1976) war der ein­flußreichste Theologe des 20. Jahrhunderts und der berühmteste aller Bibelkritiker. Seiner Meinung nach kann man praktisch gar nichts über die Person und das Leben Jesu wissen. Die Evangelien seien alles andere als sichere Quellen.

Wenn wir nun diese Entwicklung gut verstanden ha­ben, können wir kurz über die heutige Bibelkritik reden. In manchen Zeitschriftenartikeln, aber auch in den vielen Büchern, die heutzutage das Christentum thematisieren, werden z.B. die vier Evangelien mehr oder weniger des Verrats beschuldigt, weil sie an­geblich den wahren Jesus verbergen und diejenigen täuschen, die mehr über ihn erfahren wollen. Dabei wird sogar behauptet, die eigene Phantasie sei ein besserer Wegweiser auf der Suche nach dem histori­schen Jesus als die Evangelien. Diese Tendenzen müssen als eine der folgenreichsten Entwicklungen in der Geistesgeschichte des Abendlandes angesehen werden. Die Bibel war lange Zeit die Basis unserer Kultur. Auf ihr beruhen die Moralbegriffe der westli­chen Welt sowie ihre Gesellschaftsordung und we­sentliche Teile der Bildung. Als der Papyrologe Car­sten Peter Thiede kürzlich aufgrund seiner wissen­schaftlichen Arbeit behauptete, daß das Matthäus-Evangelium vor dem Wendepunkt des Jahres 70 ge­schrieben worden sei, rief das einen Sturm des Pro­tests von Wissenschaftlern hervor, die in der Tradi­tion der Bibelkritik stehen, denn wenn dies zuträfe, gä­be es Konsequenzen: Die Schriftstücke hätten von Augenzeugen gelesen wer­den können. Eine Verfäl­schung der Tatsachen wäre dann also nahezu unmög­lich gewesen, da dies sofort aufgefallen wäre. Des weiteren wären die prophetischen Worte Jesu bezüg­lich der Zerstörung des Tempels, die im Jahre 70 n. Chr. eintrat, nicht im nachhinein hinzugefügt, son­dern wirkliche Prophetie. Thiede ist der Meinung, daß 200 Jahre Bibelkritik als einer der größten Irrtümer der Geistesgeschichte ausgelöscht werden müssen.

So, jetzt habe ich aber wirklich genug geredet. Habt ihr alles verstanden, oder soll ich nochmal irgendwas weiter ausführen?“

„Du hast Reimarus erwähnt“, sagte Sebastian. „Weißt du vielleicht, was der mit Lessing zu tun hat? Wir behandeln in Deutsch nämlich gerade das Stück Nathan der Weise. Ich meine, in diesem Zusammenhang hätte ich den Namen schon mal gehört.“

Lessing und Goethe

„Tja, die Zusammenhänge mit Nathan dem Weisen weiß ich leider nicht mehr so genau“, antwortete Onkel Hanno, „aber Anne – wenn ich nicht irre, hattest du im letzten Se­mester ein Seminar über Lessings Dramen. Vielleicht fällt dir dazu noch was ein.“

„Wartet bitte einen Moment“, entgegnete diese, „ich müßte oben in meinem Ordner noch ein Thesenpapier zu diesem Thema haben.“

Nach kurzer Zeit kam sie mit einem Zettel in der Hand zurück und begann vorzulesen:

„Als Lessing Bibliothekar in Wolfenbüttel war, hatte er von den Kindern des verstorbenen Hamburger Orientalisten Reimarus Teile von dessen Schriften erhalten, die er unter dem Titel Fragmente eines Ungenannten veröffentlichte und durch eigene Kom­mentare ergänzte. Die letzten Fragmente hatten den Titel Ein Mehreres aus den Papieren des Ungenann­ten, die Offenbarung betreffend. Diese entfesselten einen theologischen Streit, in dem sich der Hambur­ger Hauptpastor Johann Melchior Goeze als Les­sings härtester Gegner herausstellte. Das Manuskript von Reimarus spiegelt den Angelpunkt der theologi­schen Kontroverse des 18. Jahrhunderts wider: es ist der Gegensatz von emanzipierter Vernunft und Glau­ben, der sich im absoluten Wahrheitsanspruch der christlichen Offenbarung manifestiert. Die protestan­tischen Theologen, die sich dem Zeitgeist anpaßten, versuchten Vernunft und Glauben durch die Preisga­be dogmatischer Positionen zu versöhnen. Dem­gegenüber verteidigte die orthodoxe Theologie das geoffenbarte Wort der Heiligen Schrift kompromiß­los. Reimarus= Hauptkritik betraf sowohl den Offen­barungscharakter der Bibel als auch die Glaubwür­digkeit der Evangelien. So behauptete er z.B., daß die Jünger den Leib Jesu gestohlen hätten. Der aus den Veröffentlichungen entstandene _Fragmenten­streit> zwischen Lessing und Goeze endete damit, daß Lessing im Juli 1778 durch einen Kabinettsbe­fehl verboten wurde, weitere Fragmente zu publizie­ren. Um dieses Verbot zu umgehen, schrieb er das Schauspiel Nathan der Weise, das bereits 1779 im Druck erschien.

Soweit dieses. Hier stehen aber noch einige Informationen, die Lessings Weltanschauung verdeutlichen:

Lessing veröffentlichte bereits 1753 eine Schrift, in der eine Person die Vernunft des Islam lobt und am Christentum unter anderem den Wunderglauben kritisiert. Der Islam stimmt nach Lessings Meinung dagegen mit der _allerstrengsten Vernunft> überein, was zur Folge habe, daß der Mensch als Vernunfts­wesen nicht anders könne, als den Islam als ver­nünftige Religion anzuerkennen.

Was Lessings Suche nach Wahrheit betrifft, so war er mehr an dem (vermeintlichen) Weg dorthin inter­essiert als an der Wahrheit selber. Goethe vergleicht Lessings Wahrheitssuche mit der Methode der Musli­me, die auf die Behauptung zurückgeht, es gebe mehr als eine Wahrheit. Dies ist auch unter anderem die Botschaft des Dramas Nathan der Weise. Da­neben liefert die Tatsache, daß Lessing die Christen in dem Stück sehr schlecht wegkommen läßt, ein weiteres Indiz dafür, daß Nathan der Weise ein pro-islamisches Stück ist.“

„Danke dir“, sagte Onkel Hanno. „Weil du eben Goethe angesprochen hast, möchte ich noch darauf hinweisen, daß er wegen seiner Vernetzung von westlichem und östlichem Denken als einer der einflußreichsten Vorläufer des New-Age-Denkens gilt. Seine Vorliebe für östliche Religiösität zeigt sich hauptsächlich in seinem Werk West-östlicher Divan, aber auch in seinen Gesprächen mit Eckermann. Dort behauptet er, in uns allen sei etwas vom muslimischen Glauben, selbst wenn er uns nicht gelehrt worden sei. Auch lobt er, daß die Muslime zuerst einmal zum Zweifeln ange­leitet würden. Dadurch werde der Geist zu weiteren Unter­suchungen getrieben. Wenn dies auf die vollkommene Weise geschehe, gehe daraus die Gewißheit hervor. Diese sei dann das Ziel, worin der Mensch seine völlige Beruhi­gung finde.

Das war vielleicht ein bißchen kompliziert. Deshalb versu­che ich noch einmal die wichtigsten Gedanken von eben zusammenzufassen: Lessing versucht in dem Stück Nathan der Weise zu vermitteln, daß nicht die Offenbarung Gottes in Jesus Christus die Wahrheit ist, sondern daß das Ergeb­nis eigener Anstrengungen die Wahrheit verschiedener Religionen erweise. Goethe meint, durch Zweifeln zur Gewißheit zu gelangen und dann innere Ruhe zu finden. – Die Bibel sagt aber zum ei­nen, daß die Wahrheit nicht bei vielen Religionen und eige­nen, auf die menschliche Vernunft gestützten Aktivitäten zu finden ist, sondern in der Person des Herrn Jesus. Dies können wir aber nicht durch Zweifeln erfassen, sondern _durch Glauben verstehen wir>, wie in Hebräer 11,3 steht. Lessings größtes Problem in bezug auf die Bibel war also, daß er versuchte, die Wunder vollständig mit seinem eigenen Verstand zu erfassen. Daran scheiterte er schließlich, und mit ihm viele Schriftsteller und Philosophen.

Damit keine Mißverständnisse entstehen, möchte ich noch verdeutlichen, daß Verstand oder auch Intelligenz Eigen­schaften sind, die wir von Gott empfangen haben. Ohne sie könnten wir weder denken noch handeln. Wo diese ihren Ursprung haben, wird in Hiob 32,8 deutlich. Dort steht: _Jedoch der Geist ist es in den Menschen und der Odem des Allmächtigen, der sie verständig macht.> Wir müssen auch Sprüche 9,10 bedenken: _Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang; und die Erkenntnis des Heiligen ist Verstand.>

Der Herr Jesus sagt in Johannes 14,26: _Der Sachwalter aber, der Heilige Geist, welchen der Vater senden wird in meinem Namen, jener wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.> Dies ist somit die Basis dafür, daß die Gläubigen gottgemäß verstehen können und daß die Ungläubigen dazu nicht in der Lage sind.

Ich wäre jetzt dafür, daß wir uns die wesentlichen Informationen aus unseren beiden kurzen Referaten noch einmal vergegenwärtigen.“

Daran beteiligten sich alle. Sie kamen zu dem Ergeb­nis, daß sich die ganze Problematik auf folgende we­nige Grundgedanken reduzieren lasse:

Die Aufklärung hatte zur Folge, daß sich die eigene Vernunft als Maßstab für die Beurteilung der Bibel etablierte. Seit dieser Zeit lassen sich die Menschen, die sich mit der Bibel beschäfti­gen, grob in drei Gruppen einteilen:

1. Diejenigen, die die Bi­bel als Wort Gottes be­trachten und alles für wahr halten, was darin steht.

2. Diejenigen, die durch die Bibelkritik verunsichert sind und nicht wis­sen, was sie glauben können und was nicht.

3. Diejenigen, die (wie Lüdemann) fundamenta­le Wahrheiten der Bibel leugnen und die eigene Vernunft zum Richter darüber erheben, was richtig und was falsch ist.

 Der Teufel

„Wo kommt diese Haltung denn überhaupt her, daß Menschen Richter über die Bibel sein wollen?“ fragte Wolf, kaum daß der letzte Punkt besprochen war.

„Dazu fällt mir was ein“, sagte Sebastian, der allmäh­lich auftaute, da er langsam die Zusammenhänge zu verstehen begann. „Als wir in der Jugendstunde über Daniel sprachen, haben wir uns gefragt, woher über­haupt das Böse kam, das die Juden veranlaßte, von ihrem Gott abzufallen, so daß sie schließlich in die babylonische Gefangenschaft gehen mußten, und warum Babylonien vom Götzendienst durchdrungen war.“

„Kannst du uns nicht mal kurz erzählen, was ihr her­ausgefunden habt?“ forderte Tante Sonja ihn auf.

„Das geht nicht, das meiste habe ich vergessen.“

„Meine Güte“, meinte Wolf, „das ist doch egal. Wenn dir nichts mehr einfällt, kann ja jeder das sa­gen, was er dazu weiß.“

Sebastian fand, dies sei eine gute Idee, und begann:

„Soweit ich mich noch erinnern kann, sagte jemand, daß die ursprüngliche Bedeutung von Teufel _Verleum­der>, _Entzweier> ist. Satan meint eher den Teufel als Feind Gottes und der Menschen schlechthin. Der Teufel wird in der Offenbarung _der große Drache> und _die alte Schlange> genannt. An anderen Stellen wird von ihm gesagt, daß er zum einen die Gestalt eines Engels des Lichts annehmen kann und zum anderen wie ein brüllender Löwe umhergeht. Das meint konkret: Verführung durch List (wie beispiels­weise im Garten Eden als Schlange) oder der Ver­such, Menschen durch Ge­walt und andere Dinge di­rekt zu schaden, wie bei­spielsweise bei Hiob. Dort sehen wir aber auch, daß der Satan nur so weit gehen kann, wie Gott – der jeden einzelnen kennt – es zu­läßt.“

„Stopp mal kurz“, sagte Wolf. „Ich möchte mal zwei Bibelstellen vorlesen, die zeigen, wie es überhaupt dazu kam, daß der Teufel der Feind Gottes und böse wurde. Zuerst Jesaja 14,13.15. Dort wird von ihm gesagt: _Und du, du sprachst in deinem Herzen: „Zum Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über die Sterne Gottes meinen Thron erheben und mich niedersetzen auf den Versammlungsberg im äußersten Norden. Ich will hinauffahren auf Wolkenhöhen, mich gleichma­chen dem Höchsten““. Sein Verderben war also, daß er sich selbst in den Mittelpunkt stellte und sich eine Stellung anmaßen wollte, die ihm nicht zustand, näm­lich zu sein wie Gott. Das Urteil Gottes darüber fin­den wir in Hesekiel 28,17.18. Dort sagt Gott: _Dein Herz hat sich erhoben ob deiner Schönheit, du hast deine Weisheit zunichte gemacht wegen deines Glan­zes; ich habe dich zu Boden geworfen, habe dich vor Königen dahingegeben, damit sie ihre Lust an dir sehen. Durch die Menge deiner Missetaten, in der Ungerechtigkeit deines Handels, hast du deine Heilig­tümer entweiht; darum habe ich aus deinem Innern ein Feuer ausgehen lassen, welches dich verzehrt hat>“.

„Gut“, sagte darauf Onkel Hanno, „wir können also festhalten, daß der Satan, als er erschaffen wurde, sündlos war. Er befand sich in der Nähe Gottes. We­gen seines Hochmuts und seiner Auflehnung gegen Gott wurde er verstoßen.

Ich möchte jetzt zur Verdeutlichung seines Wirkens in der heutigen Zeit etwas vorlesen, was ein Berliner Soziologe Ende 1993 über die Wiederkehr des Bösen heute gesagt hat: _Wahr ist: Es gibt eine Entstruktu­rierung nicht nur des Bösen, sondern auch der ge­samten Gesellschaft. Und das Böse ist damit wört­lich, wenn Sie so wollen, „entfesselt“, ist überall und nirgends mehr lokalisierbar und mit Erklärungsmo­dellen, ob nun psychisch, sozial oder politisch ge­dacht, nicht mehr zu greifen. Das Gute ist abge­schlafft. Der Reiz, gut zu sein, ist dahin.>

Die Aussage, daß das Böse nicht mehr lokalisierbar sei, ist vielleicht ein bißchen unverständlich. Um den Zusammen­hang zu erklären, muß ich ein wenig ausholen.

Die Postmoderne

Das Denken der Moderne ist von der _Aufklärung> stark beeinflußt. Die Zeit, in der wir heute leben, bezeichnet man aber nicht mehr als _Moderne>, sondern als _Postmoderne>, was soviel meint wie _Zeit nach der Moderne>. Ich habe hier ein Buch, in dem ein Soziologieprofessor die Postmo­derne charakterisiert. Ich möchte daraus einige Passagen vorlesen.

_Postmoderne ist ein Freibrief, zu tun, wozu man Lust hat, und eine Empfehlung, nichts von dem, was man selbst tut oder was andere tun, allzu ernst zu nehmen. Sie ist die Aufmerksamkeit, die gleichzeitig in alle Richtungen gelenkt wird, so daß sie sich auf nichts länger konzentrieren kann und nichts wirklich eingehend betrachtet wird. Postmoderne ist die erre­gende Freiheit, jedes beliebige Ziel zu verfolgen, und die verwirrende Unsicherheit darüber, welche Ziele es [wert] sind, verfolgt zu werden, und in wessen Namen man sie verfolgen sollte. Die Postmoderne ist all das und vieles mehr. Aber sie ist auch – viel­leicht mehr als alles andere – ein Geisteszustand.

Sie ist ein Geisteszustand, der sich vor allem durch seine alles verspottende, alles aushöhlende, alles zersetzende Destruktivität [= zerstörerische Art und Handlungsweise] auszeichnet. Es scheint zuweilen, als sei der postmoderne Geist die Kritik im Augen­blick ihres definitiven Triumphes: eine Kritik, der es immer schwerer fällt, kritisch zu sein, weil sie alles, was sie zu kritisieren pflegt, zerstört hat. Dabei ver­schwand die schiere Notwendigkeit der Kritik. Es ist nichts übriggeblieben, wogegen man sich wenden könnte. In rastlosen, sturen Emanzipationsbemühun­gen wurde eine Hürde nach der anderen genom­men, eine Schranke nach der anderen durchbro­chen und eine Plombe nach der anderen zerstört. Jeden Augenblick geriet eine bestimmte Einschrän­kung, ein besonders schmerzhaftes Verbot unter Beschuß. Das Ergebnis war schließlich eine univer­selle Demontage machtgestützter Strukturen. Unter den Trümmern der alten, ungeliebten Ordnung ist jedoch keine neue, bessere Ordnung aufgetaucht. Die Postmoderne (und in dieser Hinsicht unterschei­det sie sich von der Moderne, deren rechtmäßige Erbin und Folge sie ist) strebt nicht danach, eine Wahrheit durch die andere, einen Schönheitsmaß­stab durch einen anderen, ein Lebensideal durch ein anderes zu ersetzen. Stattdessen teilt sie die Wahr­heit, den Maßstab und das Ideal in solche ein, die schon dekonstruiert sind und solche, die gerade de­konstruiert werden. Sie bereitet sich auf ein Leben ohne Wahrheiten, Maßstäbe und Ideale vor. Der postmoderne Geist scheint alles zu verurteilen und nichts vorzuschlagen. Zerstörung scheint das eigent­liche Geschäft zu sein, von dem er etwas versteht, Destruktion die einzige Konstruktion, die er aner­kennt.>

Wir halten also fest, daß die Postmoderne im Gegensatz zur Moderne nicht versucht, Altes durch Neues zu ersetzen, sondern daß Kritik um jeden Preis und ein Leben ohne Wahrheit, Maßstäbe und Ideale ihr Wesen ausmachen.

Diese Aussagen stammen, wie ich eben schon sagte, von einem Soziologen, der den heutigen Gesell­schaftszustand beschreibt. Paulus schreibt, wie es dazu kommen konnte: _Weil sie, Gott kennend, ihn weder als Gott verherrlichten noch ihm Dank dar­brachten, sondern in ihren Überlegungen in Torheit verfielen und ihr unverständiges Herz verfinstert wur­de: indem sie sich für Weise ausgaben, sind sie zu Narren geworden> (Röm 1,21.22). _Denn es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen, sondern nach ihren eigenen Lüsten sich selbst Lehrer aufhäufen werden, indem es ihnen in den Ohren kit­zelt; und sie werden die Ohren von der Wahrheit ab­kehren und zu den Fabeln sich hinwenden> (2. Tim 4,3.4).

Die Menschen, die von Gott nichts wissen wollten, hat er _dahingegeben>, wie Römer 1 betont. Wohin das führt, sehen wir heute in der Gesellschaft.“

New Age / Esoterik

„Das mit der Postmoderne klingt ja alles ziemlich verwirrend“, meinte Sebastian. „Wenn aber fast alles relativ geworden ist, an welche Religion glauben denn dann die Menschen heute noch?“

Tante Sonja hatte erst kürzlich einen Artikel zum Thema New Age und Aberglaube gelesen. „Wenn es euch interessiert, könnte ich euch mal ein paar Aus­züge daraus vorlesen“, bot sie den anderen an.

„Warum nicht?“ meinte Anne.

Tante Sonja stand also auf, holte die Zeitschrift und begann zu lesen:

„Die Menschen befinden sich heute in folgender Situation: In der westlichen Welt konnte man sich in den letzten Jahr­zehnten gegenüber früher viel leisten. Es wurden Urlaubsreisen in die ent­legensten Länder unter­nommen, man kaufte sich die luxuriösesten Autos oder wendete sich den exotischsten Hobbies zu. Auch im moralischen Bereich nahm man sich jede Freiheit, weil sämt­liche Tabus gefallen waren. Jeder einzelne glaubte, frei zu sein und tun oder lassen zu kön­nen, wonach ihm der Sinn stand. Irgendwann aber merkte man: Trotz aller Aktivitäten bleibt eine innere Leere zurück. Anstatt sich nun der Bibel zuzuwenden und dort nach Antworten zu suchen, wandte man sich zunehmend anderen Religionen oder Religionsformen zu. Diese Strömung faßt man unter dem Begriff New Age zusammen, was auf deutsch _Neues Zeitalter> heißt. In diesem Zeitalter wollen die Vertreter dieses Denkens das Paradies auf Erden errich­ten, wobei mystische Erleuchtung und Selbst­vervollkommnung des Menschen Mittel sein sollen, die eigene Gottwerdung schrittweise zu vollziehen.

Auf diesem vermeintlichen Weg zum Glück ge­winnt auch die Idee des Eingebundenseins in die Natur sowie die Hinwendung zum _weibli­chen Prinzip> immer mehr an Bedeutung. Die prominenteste Partei der Ökologiebewegung, Die Grünen, sowie der Feminismus versuchen die Ideale der New-Age-Bewegung zu verwirkli­chen, indem sie die Natur oder das _weibliche Prinzip> dafür instrumentalisieren wollen, das Paradies auf der Erde zu errichten. Zu diesem Zweck werden auch die verschiedensten (zu­meist fernöstlichen) Glaubens- und Aberglau­benslehren reaktiviert. Sie vereinigen Elemente aus Astrologie, Okkultismus und östlichen Reli­gionen, wobei die Magie eine große Rolle spielt.

Aktuell zum Ausdruck kommen Elemente die­ses Gedankenguts in der Techno-Kultur. Sie bedient sich der Riten der Naturvölker sowie östlicher Religionen und schlägt eine Brücke zwischen moderner Computerklangtechnik und Spiritualität. Dies zeigt sich darin, daß beispiel­weise Tanzbewegungen zu den vorgegebenen Rhythmen vollführt werden, die an die Tanzri­tuale der Schamanen erinnern, welche sie praktizieren, um in Tran­ce zu geraten. Diesen Zustand versucht man in der Technobewegung noch durch die Einnah­me von Drogen – besonders der New-Age-Dro­ge Ecstasy – zu intensivieren.

Subtile Ausformungen dieser Bewegung finden sich immer mehr im _normalen> Leben des Bür­gers wieder. Alltägliche Lebensbereiche sind häufig die Anknüpfungspunkte, so z.B. inner­betriebliche Fortbildungsmaßnahmen, wo die Firmenmitarbeiter – im Zuge des New Age – auf _positives Denken> und friedfertige Teamarbeit geschult werden. Auch in der Medizin und Psy­chotherapie haben diese sogenannten _ganzheit­lichen Ansätze> längst ihren Außenseiterstatus verloren und werden sogar von der Bürokratie der Krankenkassen weitgehend anerkannt.

Dieser Markt der religiös-esoterischen Möglich­keiten ist mittlerweile nicht nur unübersehbar geworden, sondern seine Ausprägungen wie Meditationstechniken, fernöstliche Weisheiten, ganzheitliche Heilmethoden in Verbindung mit Handauflegen usw. treffen auch auf eine breite Akzeptanz seitens der Bevölkerung. _Normale> Fitnesszentren nehmen Yoga in ihr Programm auf und folgen damit dem aktuellen Trend, der dafür verantwortlich ist, daß auf dem Gebiet der Esoterik in Deutschland laut Schätzungen an die 18 Milliarden Mark alljährlich umgesetzt wer­den, und in dessen Strömung Menschen Hilfe für Körper und Seele zu finden hoffen. Von die­sem Gedankengut durchdrungene Bücher zur Lebensberatung oder Erziehung bergen die gleichen Gefahren wie das eben erwähnte Yo­ga in sich. Dort hofft man durch körperliche oder geistige Übungen Entspannung zu finden. Gymnastische Übungen, die als _Yoga> bezeich­net werden, dürfte man normalerweise nicht so nennen. Wenn es sich aber wirklich um Yoga handelt, so führen diese Übungen unweigerlich in eine vom Hinduismus geprägte Lebensweise hinein. Yoga im eigentli­chen Sinne ist Selbsterlösung, oder es ist kein Yoga.

Das große Problem ist also einerseits, daß die­ses Gedankengut allgemein aufge­nommen wird, ohne bemerkt zu werden; ande­rerseits aber wird die Gefahr dort, wo sie be­merkt wird, oft verkannt. Dies gilt beispielsweise auch für moderne Märchen, Fantasy-Literatur sowie Comics oder Computerspiele, in denen Themen wie mittelalterliche oder vorzeitliche Mythen, Zauberer, gottähnliche Helden, Feen und Bösewichte eine Rolle spielen.

Es läßt sich festhalten, daß das New Age ein wichtiges postmodernes Glaubenssystem ist.

 

 Aberglaube

Haben wir soeben eher allgemein von den Ge­fahren der New-Age-Bewegung gesprochen, so kommen wir nun konkret zum Aberglauben. Be­trachten wir zuerst den Begriff, dann müßte ver­ständlicher werden, was konkret unter _Aber­glaube> zu verstehen ist. Die Vorsilbe _Aber> bedeutet unter anderem _abweichend> oder _ver­kehrt>. Aus der Sicht der Bibel handelt es sich also um einen verkehrten Glauben. Worin die­ser besteht, soll nun versucht werden zu zei­gen.

Grundsätzlich müssen wir festhalten, daß beim Aberglauben allem irgendwie Auffälligen oder Ungewöhnlichen schicksalhafte Bedeutung zu­geschrieben wird, man es also als Zeichen mit einer bestimmten Botschaft deutet. So glaubt man, fallende Bilder würden Unheil voraussa­gen, beim Anblick einer Sternschnuppe dürfe man sich etwas wün­schen, oder wenn am Morgen etwas Bestimm­tes geschieht (man sieht eine schwarze Katze oder einen Schornsteinfe­ger), werde davon der ganze Tag beeinflußt werden.

Die abergläubischen Vorstellungen und Prakti­ken erstrecken sich auf alle Gebiete des menschlichen Lebens: auf Geburt, Liebe, Hei­rat, Krankheit und Tod. Dort, wo Gefahr droht, greift der Mensch besonders häufig zu magi­schen Praktiken. Durch eine große Zahl aber­gläubischer Bräuche soll das Unheil abgewen­det, die Schadensmächte vertrieben und Leben, Glück und Gesundheit gesichert werden.

Die Entwicklungsgeschichte des Aberglaubens zeigt, daß die Grundanschauungen im wesentli­chen immer dieselben geblieben sind. Ein gro­ßer Teil der Vorstellungen und Handlungen sind also geschichtslos. Einzelne Züge des heutigen Aberglaubens lassen sich unter Umständen schon in genau den gleichen Formen für die griechische und römische Antike belegen. Mo­derner Aberglaube hat seine tieferen Wurzeln unter anderem in der Angst vor einer unbe­stimmbaren Zukunft. Dies wird sichtbar in dem zunehmenden Sternenglauben (Astrologie und Horoskope) und in dem Befragen von Orakeln, Kaffeesatz oder Wahrsagern.

Daß die Menschen heute tatsächlich an Horo­skope, Amulette oder Talismane glauben, zeigt sich auf vielfältige Weise. Der Glücksbringer im Auto oder beim Fußball ist mehr als ein harmlo­ser Scherz, was bei der Fußball-Europameister­schaft 1996 deutlich wurde: Fast jeder deutsche Nationalspieler hatte ein eigenes Maskottchen und berichtete öffentlich von dessen angebli­cher Wirkung. Den Hang zu diesen Praktiken findet man besonders in Berufen, bei denen das Gelingen stark von unüberschaubaren und unbeeinflußbaren Faktoren abhängig ist.

Formeln, die abergläubischen Ursprungs sind, zeigen sich in verschiedenen Lebensbereichen. Im Sport wünscht man sich _Hals- und Bein­bruch>, drückt die Daumen oder benutzt die For­mel _toi, toi, toi>, die ein Abwehrzauber ist, um Unglück abzuwehren. Bei den Anstandsregeln ist folgendes zu nennen: Wenn man z.B. je­mandem, der den Schnupfen hat und niesen muß, _Gesundheit> wünscht, oder wenn jeman­dem zugetrunken wird, indem man _Prosit> oder _Prost> sagt, sind das im Grunde Überbleibsel einer magischen Handlung. Sogar scheinbar harmlose Kinderreime wie _Heile, heile Segen, drei Tage Regen> lassen sich auf Zaubersprü­che zurückführen. Schließlich muß noch er­wähnt werden, daß sich der Aberglaube heute auf breiter Front auch der Technik bemächtigt. Man glaubt an rätselhafte Erscheinungen auf dem Bildschirm, an fliegende Untertassen und grüne Marsmännchen.

Abergläubische Handlungen finden wir aber auch zu Beginn des Jahres, wenn Böllerschüs­se abgegeben werden oder Feuerwerk gezün­det wird. Ebenso bei der Eheschließung – dort beginnen sie schon mit den Vorbereitungen zur Hochzeit: Es bringt angeblich Unglück, wenn die Braut ihr Brautkleid selbst näht; Peitschen­knallen, Schießen, Zerschlagen von Porzellan und andere Lärmbräuche am Polterabend soll­ten ursprünglich alles Dämonische abwehren. Ähnliche Funktion hat die Sektflasche, die beim Stapellauf eines Schiffes gegen den Bug ge­worfen wird und dabei zerschellen muß, oder die Tatsache, daß bei der Grundsteinlegung eines Gebäudes oft allerlei Dokumente in den Grundstein eingemauert werden. Dies ist letz­ten Endes nur die Erinnerung an Dinge, die in Form eines Bauopfers in alten Zeiten die Halt­barkeit des Fundaments garantieren sollten. Hier handelt es sich um offizielle Veranstaltun­gen, bei denen abergläubische Handlungen vollzogen werden.

Wir stellen also fest, daß immer dann, wenn es um Glück oder Unglück, um Tod oder Leben geht, die Menschen versuchen, den _normalen> Gang der Dinge zu beeinflussen. Dann betätigt sich auch der sogenannte moderne Mensch in vielen Fällen als Zauberer, um mit der Ungewiß­heit und den daraus resultierenden psychischen Spannungen fertig werden zu können.

Was bleibt?

So, das mag genügen! Seid ihr zufrieden, oder hat noch irgend jemand Fragen?“

„Ich wüßte gerne mal, wie man bei so viel Durchein­ander noch das Richtige erkennen kann“, warf Wolf ein.

„Das ist gar nicht so einfach“, entgegnete Onkel Han­no. „Mir fällt dazu gerade 1. Johannes 4 ein. Ich möchte die Stelle kurz vorlesen: _Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen. Hieran erkennet ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der Jesum Christum im Fleische gekommen bekennt, ist aus Gott; und jeder Geist, der nicht Jesum Christum im Fleische gekommen be­kennt, ist nicht aus Gott; und dies ist der Geist des Antichrists, von welchem ihr gehört habt, daß er komme, und jetzt ist er schon in der Welt.>

Wir sehen also, daß es der Geist des Antichrists ist, der versucht, Verwirrung zu stiften. Deshalb bin ich auch froh, daß wir uns heute abend über so manches unterhalten haben, was euch im täglichen Leben be­gegnet; denn wenn die Bibel hier vor dem vielen Fal­schen warnt, was in der Welt ist, so sollten wir immer wieder die aktuellen Probleme, mit denen wir kon­frontiert werden, anhand der Bibel bewerten. Wenn wir dann die Gefahren erkannt haben, müssen wir eine andere Stelle anwenden. Ich lese sie vor: _Übri­gens, Brüder, seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Ziehet an die ganze Waffenrü­stung Gottes, damit ihr zu bestehen vermöget wider die Listen des Teufels. Denn unser Kampf ist nicht wider Fleisch und Blut, sondern wider die Fürstentü­mer, wider die Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern. Deshalb nehmet die ganze Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tage zu widerstehen und, nachdem ihr alles ausgerichtet habet, zu stehen vermögt> (Eph 6,10-13). Dieses Widerstehen gelingt aber nur, wenn unser Handeln durch diejenigen Punkte gekennzeichnet ist, die im weiteren Verlauf dieses Kapitels genannt wer­den: Wahrheit, Gerechtigkeit, Glaube, Lesen und Anwenden von Gottes Wort und anhaltendes Gebet.

Wie sehr Gott den Götzendienst sowie Zauberei und Wahrsagerei verurteilt, sehen wir auch in 5. Mose 13 und 18,9-14.

In Offenbarung 21,8 wird deutlich, welches Ende die Menschen nehmen werden, die nicht den Herrn Jesus angenommen haben und anderen Göttern nachgelau­fen sind: _Den Feigen aber und Ungläubigen und mit Greueln Befleckten und Mördern und Hurern und Zauberern und Götzendienern und allen Lügnern – ihr Teil ist in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt, welches der zweite Tod ist.> Wir für uns müs­sen das, was in Jakobus 4,7.8 steht, festhalten: _Un­terwerfet euch nun Gott. Widerstehet dem Teufel, und er wird von euch fliehen. Nahet euch Gott, und er wird sich euch nahen>.“

Nach diesen Ausführungen Onkel Hannos trat eine Pause im Gespräch ein, bis Sebastian plötzlich be­merkte: „Mensch, es ist ja schon 11 Uhr! Die Zeit ging aber schnell rum. Können wir nicht, bevor ich nach Hause gehe, nochmal ganz kurz wiederholen, was wir heute abend besprochen haben?“

„Wer will es denn mal versuchen?“, fragte Onkel Hanno. Vielleicht lag es daran, daß die Unterhaltung ziemlich anstrengend gewesen war, auf jeden Fall schien es keinen Freiwilligen zu geben.

„Traust du dir das nicht selber zu?“ fragte Tante Son­ja Sebastian.

„Also gut. Ich möchte es versuchen. Aber das geht nicht so schnell, weil ich mitschreiben möchte.“

Am Ende stand dann auf seinem Zettel:

Viele Menschen glauben heutzutage nicht mehr an die Wunder der Bibel. Diese Tendenz be­gann, gesamtgesellschaftlich gesehen, in der Zeit der Aufklärung. Damals trat der Verstand des Menschen an die Stelle des Glaubens. Er wurde also (z.B. bei der Bibelkritik) zum Maß­stab für die Beurteilung der Offenbarung Gottes erhoben.

In dieser Tradition suchen die Menschen (im Zeitalter der Postmoderne) neben der Bibel nach einem Weg zum Heil. Dabei wendet man sich (wie schon Lessing und Goethe) heute ver­mehrt östlichen Religionen zu.

Durch diese Abkehr vom christlichen Glauben nimmt im Zusammenhang mit dem New-Age-Denken der Aberglaube sowie der Okkultismus ständig zu. Das Verhängnis des Menschen be­steht dabei auch darin, daß er (wie Adam und Eva) ein über Gottes Willen hinausgehendes Maß an Erkenntnis und Macht anstrebt.

Nachdem Sebastian den Rest seines Wassers getrun­ken hatte, stand er auf und verabschiedete sich, nicht ohne für die Gastfreundschaft sowie für die guten Gespräche zu danken.

Als er auf dem Nachhauseweg über den Abend nach­dachte, fiel ihm noch etwas ein: „Das größte Wunder ist doch, daß der Herr Jesus aus dem Himmel gekom­men, gestorben und auferstanden ist, um uns zu er­lösen. Das Wichtige aber ist: Ohne daß man daran glaubt, nützt es einem nichts.“ Dann schaute er zum Himmel, sah die Sterne über sich und dachte an einen Vers, den er noch kürzlich gelesen hatte: „HERR, du bist mein Gott; ich will dich erheben, preisen will ich deinen Namen; denn du hast Wunder gewirkt, Rat­schlüsse von fernher, Treue und Wahrheit“ (Jes 25,1).

 Literaturauswahl*

Baumann, Zygmunt: Ansichten der Postmoderne. Hamburg / Berlin (Argument-Verlag) 1995 (= Sozio­logieprofessor im Text).

„Das Gute ist abgeschlafft. Der Berliner Soziologe Alexander Schuller über die Wiederkehr des Bösen.“ In: Der Spiegel 48/1993, S. 99-104.

Gassmann, Lothar: Der Traum von der einen Welt: Neue Weltordnung, New Age und Konziliarer Pro­zeß. Bad Liebenzell (VLM) 1996.

Hartlaub, Gustav Friedrich: „Problematik des Be­griffs _Aberglauben>“. In: Glaube im Abseits. Beiträ­ge zur Erforschung des Aberglaubens. Hrsg. von Dietz-Rüdiger Moser. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1992, S. 13-22.

Lexikon der Aufklärung: Deutschland und Europa. Hrsg. von Werner Schneiders. München (C.H. Beck) 1995.

Niewöhner, Friedrich: „Das muslimische Familien­treffen. Gotthold Ephraim Lessing und die Ringpara­bel, oder: Der Islam als natürliche Religion“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Juni 1996, S. N 6.

Pflästerer, Hans-Albrecht: „Die Macht der Banane. Manche Spieler sind fromm – fast alle sind abergläu­bisch“. In: Spiegel special 6/1996, S. 32.

 Phillips, Phil: Aufruhr in der Spielzeugkiste. Gefahr für unsere Kinder. Marburg (Francke) 1989.

 Röhrich, Lutz: „Formen und Erscheinungsweisen des Aberglaubens in der Gegenwart“. In: Glaube im Ab­seits. Beiträge zur Erforschung des Aberglaubens. Hrsg. von Dietz-Rüdiger Moser. Darmstadt (Wissen­schaftliche Buchgesellschaft) 1992, S. 133-168.

Thiede, Carsten Peter / d=Ancona, Matthew: Der Jesus-Papyrus. Die Entdeckung einer Evangelien-Handschrift aus der Zeit der Augenzeugen. München (Luchterhand) 1996. Dazu verschiedene Artikel im Spiegel 22/1996, S. 64-87, und 23/1996, S. 64-78 (= Texte für Sebastians Hausaufgabe).

Weitere Literaturhinweise zu den einzelnen Teil­gebieten stellt der Verfasser gerne zur Verfügung. 

Jochen Klein

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