Norbert Bolz ist Medien und Kommunikationswissenschaftler. Er studierte Philosophie, Germanistik, Anglistik und Religionswissenschaften und lehrte als Professor Medienwissenschaften. In vielen seiner Publikationen analysiert er die zunehmende Verunsicherung postmoderner Gesellschaften.
In seinem neusten Buch „Der alte weiße Mann. Sündenbock der Nation“ formuliert er seine Hauptthesen zum Teil expliziter als vorher, da er sich seit seiner Pensionierung dazu freier fühlt. Er schreibt in der Vorbemerkung zum Buch: „Für alle Übel und das Böse in unserer Welt haben die Kulturrevolutionäre der Politischen Korrektheit einen Sündenbock gefunden: den alten, weißen Mann. Er steht für Kolonialismus, Rassismus und Sexismus; er soll schuld sein an der Armut der dritten Welt, an der Zerstörung der Natur und am menschengemachten Klimawandel. Wenn man den Sündenbock in die Wüste schicken könnte, gäbe es keine Diskriminierung mehr, die Welt wäre endlich friedlich, tolerant, divers, bunt, und die Menschen stünden wieder im Einklang mit der Natur. Dies ist der Kern einer Erzählung, die heute von den meisten Medien und Bildungsanstalten verbreitet wird.“ Und er sagt in einem Interview: „Mein Buch ist eine Art Argumentationshilfe für all diejenigen, die wegen der Political Correctness gewissermaßen sprachlos geworden sind.“
Deshalb möchte er zunächst in einem Lagebericht der westlichen Welt darstellen, wie die Erzählung vom alten weißen Mann unsere Gegenwartskultur prägt und die gedanklichen Voraussetzungen seiner Gegner deutlich machen. Dabei steht „alt“ für Tradition und Erfahrung, „weiß“ für europäische Rationalität und technische Naturbeherrschung und „männlich“ für Mut, Risiko und Selbstbehauptung.
Für den einen oder anderen mag dieses Thema nicht interessant erscheinen. Die Hintergrundanalyse bezieht sich aber nicht direkt auf den alten weißen Mann, sondern ist gewissermaßen eine allgemeine Kulturanalyse.
In dem Buch macht Bolz deutlich, dass er die Political Correctness für eine geistige Klimakatastrophe hält, denn: „Im öffentlichen Diskurs gibt es eine scharfe Trennung zwischen den Guten und den Bösen. Gegensätzliche Positionen werden nicht mehr argumentativ ausgetragen, sondern die Hauptrolle spielen Gefühle, Affekte, Wut, Zorn, Ressentiments. Diese Unfähigkeit zur Debatte ist ein deutliches Zeichen, dass wir es mit einer unheilvollen Entwicklung zu tun haben.“ Und wo z.B. Gefühle den Diskurs bestimmten, sei eine inhaltliche Auseinandersetzung schwer möglich. So gelte man als Konservativer gleich als Hetzer oder Hassprediger.
Auch an diesen Entwicklungen werde deutlich, dass sich der Marxismus nachträglich als Kulturrevolution durchgesetzt habe, obwohl er als Programm für eine sozialistische Gesellschaft schon gescheitert gewesen sei. Damit sei die Saat des universellen Nihilismus aufgegangen und der Menschen in ein spirituelles Vakuum gestoßen worden. So sei es auch nur der Probelauf für die große Kulturrevolution, dass die sexuelle Identität allein Sache der individuellen Subjektivität sein soll. Denn wenn es normal sei, das Geschlecht zu wechseln, dann würden bald viele andere Veränderungen ebenso natürlich erscheinen.
Was nun Postmoderne, Dekonstruktivismus und Politische Korrektheit so attraktiv mache, sei das Angebot der totalen Entlastung: Es gebe hier weder Wahrheit noch Wirklichkeit. So sei das vormals Illegitime normalisiert und das vormals positiv Normale stigmatisiert worden. Deshalb erscheine ein Mensch als reaktionär, der auf der Grundlage des lange Zeit als positiv normal Geltenden argumentiere. Dies kann man z.B. an der Bedeutung der Familie festmachen. Das Problem sei nun in erster Linie nicht, dass unsere Gesellschaft das Abnormale, den Ausnahmezustand zulasse, sondern dass sie nicht mehr zur Normalität zurückkehren könne. Die moderne westliche Gesellschaft stigmatisiere also die Abweichung heute nicht mehr, sondern toleriert sie, benenne sie um und fördere sie sogar in etlichen Bereichen.
Insgesamt eignet sich das Buch auch für Christen sehr gut als Analyse und Argumentationshilfe, vertreten sie doch z.B. biblische Positionen, die heute als „rechts“ oder „konservativ“ gelten. Die zentrale Forderung des Autors nach dem Zurück zur Bürgerlichkeit und die extrem hohe Verortung der Meinungsfreiheit reicht aber im Licht der Bibel bei weitem nicht aus. Ebenso wenig ein nur noch als unverbindliche Zivilreligion verstümmeltes Christentum. Und die empfohlenen Mittel zur Lösung des Problems sind zum Teil nicht nur wenig hilfreich, sondern auch kontraproduktiv, wie z.B. Liberalismus, Aufklärung, Evolutionismus; Nietzsche, Freud und Descartes.[1]
Alles in allem handelt es sich aber um eine empfehlenswerte Lektüre, die manches zuspitzt, einen aber kenntnisreich für zentrale negative Denk- und Verhaltensrichtungen heute sensibilisiert.
Jochen Klein
[1] Vgl. dazu kritische Artikel auf www.denkendglauben.de
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