denkend glauben

Jochen Klein

Texte und Materialien zum christlichen Glauben

Kritisches zum (sprachlichen) Dekonstruktivismus

Der Atheismus will Gedanken darauf reduzieren, dass sie bedeutungslose Schaltvorgänge an Synapsen im Gehirn seien. Das untergräbt die Grundfesten jener Rationalität, die notwendig ist, um Argumente zu erstellen, zu verstehen oder zu glauben. Wenn wir das Transzendente und Absolute abschaffen, werden wir in Relativität und Subjektivität getrieben. So sagte schon der englische Schriftsteller G.K. Chesterton (1874–1936): „Wenn die Menschen nicht mehr an Gott glauben, werden sie nicht an ‚nichts‘ glauben, sondern allem glauben.“ – Und darum soll es in diesem Text gehen. Es wird versucht, einige relativistische Tendenzen und deren Auswirkungen bewusst zu machen. Dabei soll dezidiert nicht bestritten werden, dass Teilaspekte dieser Gedankengebäude durchaus auch richtige Aspekte beinhalten. Die Prinzipien fußen aber oft auf einer falschen, da widerbiblischen Grundlage und können so in ihrem Gesamtkonzept nicht angemessen sein.

  1. Sprache in der Bibel

Sprache ist Medium des Denkens und Verstehens, Grundlage des Menschseins und Mittel für vielfältige Zwecke. Die Quelle der Sprache ist Gott, und der lässt den Menschen eine letztlich von ihm gegebene Sprache sprechen (vgl. 1. Mose 1). Das Sprechen Gottes als Schöpfungsmittel macht deutlich: Gottes Wort ist nicht nur Ankündigung und Information. Es schafft Wirklichkeit. Die Tatsache, dass auch der Mensch spricht, bringt unter anderem eine große Verantwortung mit Ewigkeitsdimension mit sich. So ist es von Anfang an Teil der normalen Aufgabe von Sprache, Brücke zwischen Diesseits und Jenseits zu sein. Der Mensch soll seine Verwalteraufgabe unter anderem durch Sprache ausüben.

Das sprachliche Benennen Adams war prototypisch für die Benennung aller Tiere und Menschen. Der Sündenfall wurde durch ein Gespräch eingeleitet, in dem der Versucher die Menschen gedanklich und sprachlich auf Abwege brachte. Das Geschehen wird in fünf symmetrisch angeordneten Gesprächsgängen dargestellt, bewertet und bewältigt, und zwar von Gott im einzelnen Gegenüber mit Adam, Eva, der Schlange und noch einmal Eva und Adam.

Bis zum Turmbau zu Babel hatte die Welt „eine Sprache und dieselben Worte“ (1. Mose 11,1). Dies bedeutete, dass gemeinsame Kommunikation stattfinden konnte – die aber auch zum Negativen genutzt wurde. Durch die Auflehnung des Menschen gegen Gott, die sich im Turmbau zeigte, wurde dem Menschen dann die Einheit der Sprache genommen, die ihn mit seinesgleichen und mit Gott verbunden hatte. Die Sprachenvielfalt und die Trennung der Völker nach dem Turmbau waren Gottes Strafe für den Hochmut der Menschheit. Die Menschen hatten Sicherheit und Gemeinschaft ohne Gott gesucht, und so sollten ihnen auch wesentliche Teile der Gemeinschaft untereinander genommen werden. Gelingende Kommunikation und verstehende Begegnung wurden, wie überhaupt schon seit dem Sündenfall, weiter erschwert. Durch Gottes Gnade entstand jedoch eine große Sprachenvielfalt und ein Reichtum an Ausdrucks- und Erfahrungsmöglichkeiten. Ein einzelner Mensch kann nur einen geringen Teil dieser Sprachen beherrschen, aber in allen Sprachen gilt, dass sie zum Positiven oder zum Negativen genutzt werden können. Wo sich Welt(anschauung) und Sprache in Abgrenzung und Gegnerschaft zu biblischen Ideen und Grundsätzen befinden, wird dies keine positiven Folgen nach sich ziehen.

Gott hat also von Beginn an gesprochen und will sich dem Menschen durch sein Sprechen kundtun. Vom Anfang der Schöpfung an und durch die ganze Geschichte des Volkes Israel hindurch bis zum Kommen von Jesus Christus teilte sich Gott stets durch sein Reden mit. Über 3800-mal erwähnt das Alte Testament, dass Gott sprach. Er ließ sein Wort an die Menschen schriftlich fixieren, und Petrus bezeugt in seinem zweiten Brief, dass die biblischen Propheten von Gott inspiriert waren (2. Petrus 1,20.21).

Inhalte und Sprache der Bibel haben, auch in Übersetzungen, ganze Kulturen positiv geprägt. Das zeigt für den deutschen Sprachraum besonders die Lutherbibel, der wir viele Begriffe, Metaphern, Redewendungen, aber auch (gedankliche) Konzepte verdanken (und die große Verdienste in Bezug auf die Standardisierung der neuhochdeutschen Schriftsprache hat[1]). Ein wesentlicher Grund für die literarische Bedeutung Luthers liegt darin, dass sich die Reformation als Ereignis des göttlichen wie des menschlichen Wortes verstand: Das Wort wurde und blieb ihr wichtigstes Medium, am wichtigsten dort, wo es sich um die Beschäftigung mit dem konkreten biblischen Wort handelte. Wie andere christliche Prediger sprach auch Luther aus der Überzeugung heraus, auf neue und ursprüngliche Weise am Wort teilzunehmen, eine Sprache zu reden, die nur kraft eines göttlichen Wortes möglich und wahr sein kann.

Dem Thema Sprache liegt das biblische Konzept von Wahrheit zugrunde, und dies bedingt, dass man einander verstehen und verständnisvoll kommunizieren kann. Dazu gehören wahr und falsch, richtig und nicht richtig. Es wird also davon ausgegangen, dass Gottes Reden Wahrheit ist, aber auch, dass Worte Sachverhalte ausdrücken und Sachverhalte mit Worten dargestellt werden können. Grundsätzlich müssen wir weiterhin feststellen, dass jeder von uns eine Vorstellung von Wahrheit und Unwahrheit hat. Dies wird im normalen Alltag deutlich, z.B. wenn es um Lügen geht oder die Behauptung falscher Tatsachen.

Schon in der Vergangenheit wurde der Begriff von Wahrheit radikal in Frage gestellt.[2] Doch etwa seit dem 18. Jahrhundert nimmt der Widerspruch gegen die biblischen Kategorien von Wahrheit und deren Ausdruck in Form von Sprache sowie die Skepsis dagegen zu. Losgelöst von Gottes Wort wird schließlich der Eindruck vermittelt, dass Sprache nicht verbinde, sondern die Welt von deren Wahrnehmung trenne, wie wir im Folgenden sehen werden.

  1. Die Dekonstruktion von Sprache

Der Konventionalismus ist eine Theorie der Sprachphilosophie. Er behauptet: Jeder Sinn, jede Bedeutung ist relativ, sie ist nur eine Sache der Konvention, d.h. der Vereinbarung. Wenn das stimmt, folgt daraus, dass jegliche Wahrheit relativ ist, weil jeder Wahrheitsanspruch eine sprachliche Aussage mit einem Sinn ist. Hierbei wird also die Auffassung vertreten, dass Sinn beliebig und somit relativ sei, da er von Kultur und Kontext bestimmt sei.

Aus logischer Sicht widerspricht die Theorie des Konventionalismus jedoch sich selbst. Wenn ein Konventionalist sagt: „Jede Bedeutung (bzw. jeder Sinn) ist relativ“, muss er davon ausgehen, dass er eine sinntragende Aussage macht, der Menschen zustimmen werden, wenn sie sie verstehen. Seine Aussage ist also eine nicht konventionalistische Aussage (denn sie beinhaltet ja einen Wahrheitsanspruch), die dennoch behauptet, dass alle Aussagen lediglich Konventionen seien.

Diese und auch die folgenden Thesen finden auf dem Hintergrund des postmodernen Denkens statt. Die Postmoderne aber kann den Unterschied zwischen vernünftig und unvernünftig nicht mehr begründen, weil sie keinen verbindlichen Maßstab akzeptiert.[3]

Das wohl mächtigste Sprachregime der Gegenwart in dieser Tradition hat die postmoderne Linke etabliert. Ihr ist es gelungen, aus Versatzstücken des Poststrukturalismus und der Dekonstruktion eine Sprach- und Diskursmaschine zu konstruieren, die ihr für längere Zeit eine unangefochtene Deutungshoheit sichert.[4]

Der Poststrukturalismus kritisiert sowohl die Vorstellung einer überhistorisch wirkenden, geschlossenen Struktur wie die Annahme eines strukturübergreifenden Zentrums. Von Friedrich Nietzsche[5] (1844–1900) geprägt, macht sich der Poststrukturalismus daran, strukturell wirkende Mechanismen der Macht in der Gesellschaft auf dem Gebiet der Sprache wie in Institutionen freizulegen und zu unterlaufen.

Der Begriff „Dekonstruktion“ geht auf den Philosophen Jacques Derrida (1930–2004) zurück. Er stellt damit nicht nur gängige Auffassungen von Literatur und Sprache radikal in Frage, sondern zugleich auch die unausgesprochenen Voraussetzungen unseres Denkens. „Dekonstruktion“ meint nach Derrida die grundsätzliche und notwendige Unmöglichkeit eindeutigen und endgültigen Verstehens mittels Sprache. Derrida zufolge ist Sprache nie eindeutig, weil sich kein Wort eindeutig einer Bedeutung zuordnen lasse. Das, was wir zu verstehen glauben, wenn wir ein Wort hören oder lesen, sei ein von uns im jeweiligen Moment konstruiertes Verständnis, das sich entsprechend auch wieder de-konstruieren lasse. So lasse sich zeigen, dass demselben Wort mit gleicher Berechtigung auch andere Bedeutungen zugeschrieben werden könnten.

Dekonstruieren lässt sich nur, was zuvor als konstruiert behauptet wird. Genau das ist das Ziel der neuen Nominalisten[6]. Ihre Objekte – Familie, Volk, Nation, Kultur, Geschlechtsidentität, mittlerweile auch Sprache und Grammatik – werden zu willkürlichen Konstrukten erklärt, die es im Namen höchster emanzipatorischer Ziele aufzulösen gilt. Alles Überkommene und Gewachsene, so das Urteil der Nominalisten, ist nichts anderes als ein mit Unterwerfungsabsicht in die Welt gesetztes Artefakt. Damit wird Biblisches („Konservatives“) dämonisiert und Revolutionäres romantisiert. In diesen Zusammenhang gehören z.B. Erscheinungen wie Gender-Mainstreaming und Political Correctness. Aus biblischer Sicht kann dieses Konzept keine Legitimität für sich beanspruchen.

Der relativistischen Vorstellung folgt auch der Philosoph Paul Feyerabend (1924–1994), der meint, dass sich keine universellen und ahistorischen wissenschaftlichen Erkenntnisse formulieren lassen. Produktive Wissenschaft müsse vielmehr Methoden nach Belieben verändern, einführen und aufgeben dürfen. Zudem gebe es keine allgemeinen Maßstäbe, mit denen verschiedene wissenschaftliche Methoden oder Traditionen bewertet werden könnten. Das Fehlen allgemeiner Bewertungsmaßstäbe führt ihn zu einem philosophischen Relativismus, nach dem keine Theorie allgemein wahr oder falsch sei. Er sagt: „Wir müssen ein neues Begriffssystem erfinden, das den besten Beobachtungsergebnissen widerspricht, die einleuchtendsten theoretischen Grundsätze außer Kraft setzt und Wahrnehmungen einführt, die nicht in die bestehende Wahrnehmungswelt passen.“ So verbirgt sich hinter dem Feyerabend’schen „Anything goes“ (alles ist möglich/erlaubt) der Postmoderne ein unerbittliches Programm der semantischen (bedeutungsmäßigen) und begrifflichen Umwertung.

Die Dekonstruktion folgt also einem Programm der Destabilisierung von Bedeutungen und Zusammenhängen, das sich längst verselbständigt hat. Der „sanfte Totalitarismus“ unserer Tage ist eine Folge davon. Als „sanft“ wird er bezeichnet, weil er nicht wie etwa der Sowjetkommunismus – dem zufolge es außerhalb des kommunistischen Staates keine Wahrheit gab – vorwiegend mit militärischer Härte durchgesetzt wird. Das Ziel ist, dass biblische Maßstäbe und von Gott gegebene Institutionen verdrängt werden sollen, z.B. indem man Menschen, die solche Maßstäbe vertreten, (gesellschaftlich) ausgrenzt. Konsumhaltung, Bequemlichkeit und offiziell legitimierte Sünde sind einige der Rahmenbedingungen dafür, dass die Ausgrenzung von Christen zunehmend gelingt, so beispielsweise an Universitäten.

Manche tun den aktuellen (totalitaristischen) Zeitgeist als wenig bedeutsam ab. Seit aber immer mehr klar wird, dass Menschen, die sich diesem Geist widersetzen, ihre Karriere, ihren Ruf und ihren Platz im öffentlichen Leben verlieren und als rassistisch, sexistisch, homophob und dergleichen beschimpft werden können, erweist sich, dass er nicht so harmlos ist, wie es scheint. Auch die scheinbare Fürsorge des Liberalismus für die Schwachen und Ausgegrenzten schlägt schnell in eine Ideologie um, die dem sanften Totalitarismus Vorschub leistet. Über entsprechende Machthaber schrieb schon die Totalitarismusforscherin Hannah Arendt (1906–1975): „Einmal an der Macht, ersetzt der Totalitarismus unweigerlich alle erstklassigen Talente, ungeachtet ihrer Sympathien, durch Spinner und Dummköpfe.“ Loyalität überrage dabei alles.

Die Flexibilisierung des Wahrheitsbegriffs hat zur Folge, dass er schließlich ganz beseitigt wird. Die einflussreichsten Meinungsmacher demonstrieren dann ihre Macht, indem sie z.B. Unsinn diktieren und zum verbindlichen System erklären. Ziel eines solchen Sprachsystems ist es, jeden sprachlichen Ausdruck jenseits von dessen Sprachregelung zu unterdrücken, also sich selbst zu totalisieren.

Nachdem die Wahrheit beseitigt ist, dienen neue Erzählungen (Narrative) und Mythen wie Evolutionismus, Nationalsozialismus oder Fortschrittsidee als Ersatz, der auf ein Sinnvakuum in den diversen Lebenswelten reagiert und dieses mit selbstgezimmerten Mitteln auszufüllen versucht. Philip Rieff legt in seinem Buch The Triumph of the Therapeutic dar, dass der „Tod Gottes“ im Westen eine Zivilisation hervorgebracht habe, die sich auf die Befreiung des Individuums konzentriert habe, das seine eigenen Vergnügungen suche und damit aufkommende Ängste bewältige. An die Stelle des religiösen Menschen, der sein Leben nach seinem Glauben und nach transzendenten Prinzipien ausgerichtet habe, die das menschliche Leben innerhalb des Gemeinwohls regelten, sei der psychologische Mensch getreten, der glaube, dass es keine transzendente Ordnung gebe und dass der Sinn des Lebens darin bestehe, auf experimentelle Art seinen eigenen Weg zu finden. Er verstehe sich als Tourist, der nach seinem eigenen, selbst entworfenen Reiseplan mit dem ultimativen Ziel seines persönlichen Glücks unterwegs sei. Die Menschen wollten also eine Zivilisation schaffen, die auf der Verneinung jeglicher bindenden transzendenten Ordnung fuße. „Ihr werdet sein wie Gott“ sei somit das Grundprinzip der neuen Kultur. In dieser sei es ein großes Vergehen, die Freiheit derjenigen zu behindern, die ihr Glück nur nach eigenem Gutdünken suchen. Ein Grund dafür, dass Menschen nachweisbare Lügen allzu bereitwillig glauben, ist also die Verzweiflung, mit der von sich selbst entfremdete Menschen nach einer Geschichte suchen, die ihnen hilft, ihrem Leben einen Sinn zu geben, und die ihnen sagt, was sie tun sollen.

In modernen Gesellschaften finden sich so zum Teil ausschließlich den eigenen Imperativen folgende Teilsysteme vor, die benachbarte Subsysteme zur bloßen Umwelt neutralisieren und keinen Begriff von Ganzheit mehr zulassen. Der Evolutionismus[7] wäre hierfür ein Beispiel, aber auch widerbiblische Ideale und Maximen (z.B. das Denken des von Gott unabhängigen Menschen steht an erster Stelle), die mittlerweile zur Norm geworden sind und anscheinend keiner Erklärung mehr bedürfen.

Diese Denk- und Wahrnehmungszusammenhänge führen so zu einem umfassenden Sprach- und Deutungsregime, das unerwünschte Aspekte ausblendet und erwünschte ins Rampenlicht stellt. Es liefert Evidenzen, die gegen empirische Widerlegung immun sind, und stattet partikulare Deutungen mit dem Schein universeller Gültigkeit aus. Es verwandelt Zweifelhaftes und Fragwürdiges in Selbstverständliches und verleiht Halbwahrheiten eine Unabweisbarkeit.

Die Bild- und Begriffskomplexe aus dem Arsenal der Postmoderne haben sich so zu einer umfassenden, alles durchdringenden Matrix des Sag- und Denkbaren verfestigt, und entsprechend finden sich nahezu alle gesellschaftlichen Akteure im Vokabular der Differenz wieder und machen sich zu dessen Multiplikatoren.[8]

Das Machtgefüge der Vielfalt und Differenz, das immer deutlicher wird, ist vor allem und primär ein Sprachregime. Dieses entkoppelt sich in Teilen von der empirisch belegbaren Realität, sodass es einzig diejenigen Wahrheitskriterien erfüllen muss, die es selbst aufgestellt hat. Bestes Beispiel dafür ist die angeblich hohe Anzahl der Geschlechter mitsamt der dahinter stehenden Ideologie. So sind dann Wahrheiten organisierbar und verlangen einen unbedingten Geltungsanspruch. Widerspruch wird dann oft als Angriff betrachtet, dessen Abwehr auch den Einsatz extremer Mittel rechtfertigt. So ist es wichtig, diese „Wahrheitssysteme“ zu verstehen und ihr semantisches Bedeutungssystem zu entschlüsseln. Leider kommt es – ähnlich wie in manchen Diktaturen – vor, dass sich derartige Wahrheitssysteme nicht daran messen lassen wollen, ob sie mit der Wirklichkeit außerhalb übereinstimmen. Vielmehr unternehmen deren Verteidiger einiges, um sie gegen die Realität abzuschirmen.

Der Kampf um Begriffe und ihre Bedeutung ist so alt wie die Menschheit. Zu dem oben Beschriebenen kommt jedoch noch hinzu, dass das Ziel die Herstellung eines Bewusstseins ist, in dem angeblich „nichts mit nichts“ zu tun hat. Dies wird z.B. in unserer Kultur deutlich, wo Gottlosigkeit angeblich nichts mit dem Niedergang der Moral und der Zunahme von Gewalt zu tun haben soll. Wenn es einer (tonangebenden) Deutung dienlich ist, hat aber vermeintlich alles mit allem zu tun; so waren beispielsweise unterdrückte Gruppen und unterschiedliche politische Systeme schon vorher angeblich für viele Übel hauptverantwortlich. Oder auch der Kapitalismus oder der „Faschismus“ sind aus der Sicht des Kommunismus an fast allen Übeln schuld. Dabei ist schließlich auch noch zu beachten, dass z.B. die materialistische Dialektik das Paradoxon zum Ausweis geistiger Überlegenheit macht. Die sich selbst anmaßende begriffliche Unüberbietbarkeit der dialektischen Vernunft, die durch Widersprüche angeblich nicht widerlegt, sondern bestätigt wird, ist ebenfalls ein effektives Machtinstrument.

Konkret sehen wir heute, dass zur Sicherung der bestehenden Wahrheitssysteme und zur Verteidigung der herrschenden Meinung die Künstliche Intelligenz in Stellung gebracht worden ist, übrigens auch in anderen politischen Systemen wie in China. Die Dringlichkeit des Kampfes gegen „Hate Speech“ und „Fake News“ rechtfertigt die technische Aufrüstung der Fahnder im Netz und die Ausweitung ihrer rechtlichen Befugnisse. So können unerwünschte Äußerungen in sozialen Netzwerken identifiziert und eliminiert werden. Sogar erweiterte Korrekturfunktionen von Textverarbeitungsprogrammen weisen nicht nur auf Verstöße gegen die Grammatik, sondern auch gegen die Regeln der politischen Korrektheit hin. Der Politik ist es gelungen, die Digitalkonzerne so weit zu bringen, dass sie Sperr- und Löschpraxis weitgehend auf die Erfordernisse der Politik abstimmen, zum Teil als „Faktenfinder“ getarnt. So kann es zunehmend vorkommen, dass Videos mit biblischen Grundsätzen dem zum Opfer fallen. Wer nämlich die Hoheit über Begriffe wie „Fake News“ oder „Hate Speech“ erlangt, beherrscht damit zugleich auch die Verwendungsweise derjenigen Konzepte und Ausdrücke, die sich darunter subsumieren lassen. Eine stigmatisierte Verallgemeinerung wie Hassrede erlaubt es so, nicht nur einzelne Äußerungen, sondern ein ganzes Meinungsspektrum als dumpf, ressentimentgeladen und latent gewalttätig zu ächten, aus jeder Debatte auszuschließen und unter Umgehung strafrechtlicher Kategorien zu kriminalisieren. Dies macht „Hass“ zu einem, wenn nicht zu dem Schlüsselbegriff des herrschenden Wahrheitssystems. Wenn sich die Entwicklung zu einer programmierbaren Semantik fortsetzt, könnte eine Grammatik des wünschenswerten Denkens, die bislang nur dystopische Fiktion war, schon bald in Reichweite rücken. Dass das keine Utopie ist, macht auch die Offenbarung in der Bibel deutlich.

Als komplementäre Zuschreibung hat sich in demokratischen Zusammenhängen „Satire“ eingebürgert. Dass diese literarische Gattung zum Machtfaktor wurde, erstaunt nicht, denn sie vermag Deutungssysteme ins Wanken zu bringen. Weiter gilt der Gattungsbegriff auch als Schutzbehauptung und Alibi, so etwa bei dem ZDF-Satiriker Jan Böhmermann, der unter dem Deckmantel von Satire Andersdenkende verleumdet. Diejenigen, die wie er unerwünschte Meinungen als „Hassrede“ brandmarken, waschen die eigenen Beleidigungen und Diffamierungen oft mit der Genrebezeichnung „Satire“ rein. Dabei berufen sie sich auf die Freiheit der Kunst und die ästhetische Autonomie, die ihnen ansonsten häufig wenig gelten.

Ein weiterer Punkt, der hier bedacht werden muss, ist die „Hypermoral“, wie der Philosoph Arnold Gehlen (1904–1976) sie genannt hat. Damit ist eine Ausschließlichkeit gemeint, die – auch im politischen Raum – alle anderen Wertmaßstäbe überlagert und in den Hintergrund drängt. Es handelt sich keineswegs um gute biblische Maßstäbe, sondern zum Teil um willkürliche Festlegungen, die dem Zeitgeist entsprechen. Dies kann zu einer Selbstüberhebung und Maßlosigkeit der selbst aufgestellten Moral führen. Die technische Infrastruktur der Massenmedien begünstigt die Ausbreitung moralisierender Deutungsmuster auf dieser Basis. So ist dieses emotional aufgeladene, moralisierende Erzählen hier nicht mehr nur rhetorisches Exempel, sondern oft integraler Bestandteil der Begründungen; es flankiert nicht, sondern ersetzt das Argument. Ein solcher Moralismus, in dem die Gesinnung über die Urteilskraft triumphiert, mündet nicht selten in eine Selbstermächtigung zur Gewalt, was die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts auch deutlich zeigen. Eine zusätzliche Überzeugungskraft meint man dann noch im Gefühl zu gewinnen: Was gut und richtig ist, weil es sich gut anfühlt, muss auch wahr sein. Wer dann moralisch meint, auf der richtigen Seite zu stehen, leitet daraus heute oft einen privilegierten Wahrheitsanspruch ab. Er betrachtet die moralische Überlegenheit als Lizenz, es mit den Fakten nicht so genau zu nehmen und sich im Zweifelsfall über sie hinwegzusetzen (vgl. Geschlechterdiskussion). Oft stehen der apodiktische Ton und das Klima der Alternativlosigkeit in scharfem Kontrast zur Schwammigkeit und Beliebigkeit der „gemeinsamen Werte“, die beschworen werden.

Ein weiterer Ansatz in diesem Kontext ist, dass Mediensätze und -dramaturgien einem fast zwanghaften Aktionismus folgen. Der Sachverhalt braucht dann oft ein Gesicht, der Zusammenhang eine Szene, die Behauptung einen Akteur, das Problem einen Experten, der es erklärt. Dies kann zur Folge haben, dass die Story überwiegt und am Ende nicht nur das zählbare Faktum, sondern die Empirie insgesamt in den Hintergrund treten lässt.

  1. Fazit

Gott nimmt die menschliche Sprache (das Gesagte und Gemeinte) so ernst, dass sie Ewigkeitsfolgen hat oder haben kann. Dies und anderes (auch in biblischen Zusammenhängen) macht deutlich, dass Sprache sehr wohl vielfältige Bedeutungsdimensionen hat und die relativistische Perspektive des Dekonstruktivismus in die Irre führt. Wir sahen in diesem Artikel verschiedene Strömungen, die sich zum Teil mischen oder ergänzen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf unterschiedliche Weise in Kombination mit dem herrschenden Zeitgeist versuchen, biblische Maßstäbe zu beseitigen und ein neues Denk- und Sprachkonzept zu etablieren.

Wenn philosophische Strömungen versuchen, Bedeutung und Sprache für relativ zu erklären, widerspricht das biblischen Grundlagen und ist zudem Ausdruck einer relativistischen Philosophie. Dass bei der Bedeutung von Sprache auch Stilmittel eine Rolle spielen, ist selbstverständlich. Wir sollten für das differenzierte Instrumentarium Sprache dankbar sein und uns wieder neu motivieren lassen, verantwortungsvoll und gezielt (teleologisch) mit ihr umzugehen.

Jochen Klein

Literatur

Rod Dreher: Lebt nicht mit der Lüge, Illertissen 2023.

Michael Esders: Sprachregime. Die Macht der politischen Wahrheitssysteme. Lüdinghausen (Manuscriptum) 2020.

Stefan Felber (Hrsg.): Zwischen Babel und Jerusalem – Aspekte von Sprache und Übersetzung. Berlin (Frank & Timme) 22019.

David Gooding, John Lennox: Was können wir wissen? Dillenburg (Christliche Verlagsgesellschaft) 2020.

Roger Liebi: Herkunft und Entwicklung der Sprachen. Linguistik kontra Evolution. Bielefeld (CLV) 42018.

Literaturempfehlungen

Fabian Payr: Von Menschen und Mensch*innen. 20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören. Wiesbaden (Springer) 2022.

Holger Schmitt: Das Framing der Linken. Von „Umverteilung“, „Diversität“ und „Nazis“. Bad Schussenried (Gerhard Hess) ²2022.

[1] Vgl. dazu: „Übersetzungstheorie und -praxis anhand der Lutherbibel“ auf www.denkendglauben.de

[2] Vgl. zum Wahrheitsbegriff ausführlich David Gooding, John Lennox: Was können wir wissen, S. 187ff.

[3] Vgl. „Kritisches zur Postmoderne“, www.denkendglauben.de.

[4] Zu den folgenden Theorien vgl. die Rezension des Buches „Das Framing der Linken“, www.denkendglauben.de. Hier finden sich etliche konkrete Beispiele.

[5] Vgl. „Kritisches zu Friedrich Nietzsche“, www.denkendglauben.de.

[6] Nominalismus: Denkrichtung, nach der Begriffe nur als Namen oder Bezeichnungen für sinnlich wahrnehmbare Einzelerscheinungen fungieren. Übergeordnete Allgemeinbegriffe oder Klassen von Dingen existieren dagegen nur im Denken und haben keine Entsprechungen in der Realität.

[7] Vgl. „Kritisches zum Evolutionismus“, www.denkendglauben.de.

[8] Vgl. dazu Holger Schmitt: „Das Framing der Linken“.

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