Jana Sch. (14) hatte am 11. März 2009 morgens im Bus noch mit ihrer Freundin Vivienne (14) Späße gemacht, wie fast jeden Morgen auf dem Weg zur Schule. Keine zwei Stunden später, noch vor der ersten großen Pause, war Janna tot.
Vivienne saß zu diesem Zeitpunkt nichts ahnend ein Stockwerk tiefer. Jana hatte mit dem Rücken zur Tür gesessen, als der Amokläufer Tim K. die Schüsse abgab. Sie wurde wie zwei ihrer Mitschülerinnen durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet. Vivienne sagt: „Ich kann es mir nicht vorstellen, dass sie nicht mehr da ist. Wir hatten noch so viel vor.“ Sie kann das ganze Unglück gar nicht richtig fassen.
113 Kugeln feuerte der Täter aus seiner Waffe. Die meisten Opfer waren Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren. Bei ihnen wie auch bei den anderen Opfern wurde immer wieder die Frage gestellt, warum ausgerechnet sie sterben mussten: Warum begegneten z.B. die zwei engagierten Pädagoginnen dem Amokläufer oder warum waren ein Autoverkäufer und sein Kunde bei einem Verkaufsgespräch, so dass sie beide umkamen? Sicher hatten auch sie alle noch „viel vor“ und keiner wird am Morgen damit gerechnet haben, nicht mehr lebend nach Hause zu kommen. Durch alle Reden bei der offiziellen Trauerfeier und viele Artikel zog sich so die Frage nach dem „Warum“. Bundespräsident Horst Köhler brachte es auf den Punkt: „Solche Taten führen uns an die Grenze des Verstehens.“
Ein Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung meinte in diesem Zusammenhang: „Warum machen Vertreter beider Kirchen nach dem Amoklauf von Winnenden einen solchen großen Bogen um den Begriff des Bösen? … Fürchteten sie, das Vokabular könne die Menschen abschrecken? Der fehlende Anlass kann es jedenfalls nicht gewesen sein“ (21.03.2009, S. 6). Weiterhin wirft er ihnen noch vor, dass auch der Begriff der Sünde in ihren Ausführungen keine Rolle gespielt habe. Schließlich führt er noch den baden-württembergischen Kultusminister Helmut Rau an, der „als erster Politiker in einer größeren Öffentlichkeit den Amoklauf als Manifestation des Bösen bezeichnete. Das Böse sei ausgebrochen.“
In der Bibel finden wir viele Stellen, in denen es um die Themen Leid, Unglück, Auswirkungen des Bösen oder der Sünde geht, so z.B. im Lukasevangelium, wo es um eine Manifestation des Bösen und eine Form eines anderen Unglücks geht. Dort wird berichtet: „Zu selbiger Zeit waren aber einige zugegen, die ihm [dem Herrn Jesus] von den Galiläern berichteten, deren Blut Pilatus mit ihren Schlachtopfern vermischt hatte. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer vor allen Galiläern Sünder waren, weil sie solches erlitten haben? Nein, sage ich euch, sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen. Oder jene achtzehn, auf welche der Turm in Siloam fiel und sie tötete; meint ihr, dass sie vor allen Menschen, die in Jerusalem wohnen, Schuldner waren? Nein, sage ich euch, sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen“ (13,1–5). Auch hier wird deutlich, dass das Leben auf der Erde grundsätzlich nicht sicher ist, da man jederzeit von einem Unglück heimgesucht werden kann. Und es wird klar, dass das Unglück nichts mit einer speziellen Schuld der Betroffenen zu tun hatte. Denn: Grundsätzlich hängt das ganze menschliche Leben allein von der Gnade Gottes ab. Doch das Entscheidende ist, dass man durch wahre Buße das ewige Leben bekommen kann. Während Gott aber der Erschaffer und Erhalter des Lebens ist, ist der Satan der Feind des Lebens und „sucht, wen er verschlinge“ (1. Petr. 5,8). Wenn man sich so viel bösen Einflüssen aussetzt oder sich damit beschäftigt, dann hat das Folgen für den Menschen (vgl. z.B. Jes 33,15f.). Nahezu alle Amkoläufer der jüngeren Zeit haben demgemäß sehr gewalttätige Computerspiele intensiv konsumiert. Oft kommen noch Filme und Musik, die in ähnliche Richtung gehen, hinzu. Der andere Aspekt ist, dass bei diesen Menschen häufig tiefe Vereinsamung, das Sehnen nach Beachtung, Sinnlosigkeitsgefühle usw. festgestellt werden können. Doch dies alles gibt es auch bei tausenden anderen Jugendlichen. Somit ist klar: die letzte Ursache für eine solche Tat kann nie festgestellt werden.
Was wir uns aber grundsätzlich bewusst machen sollten, ist z.B. Folgendes: Viele Jugendliche wachsen ziemlich vereinsamt auf. Weiterhin verbringen etliche aus unterschiedlichen Gründen viel Zeit vor dem Computer, sodass eine nicht geringe Zahl von ihnen süchtig danach ist. Alle benötigen Achtung, Anerkennung und Zuwendung, auch wenn dies manchmal nicht den Anschein hat. Und ganz gewiss das Evangelium. Dafür sollten wir, egal welchen Alters, ein offene Auge haben. Es wäre weiterhin gut, wenn wir die Endlichkeit des Daseins mehr realisierten und entsprechend unser Leben ausrichteten. Ein Fehler, den wir manchmal evtl. begehen, ist, das Böse und dessen Auswirkungen zu unterschätzen (aber: der Jesus hat den Teufel besiegt! Wir sollen Gott, aber nicht den Teufel fürchten. Gott steht über allem und hat alles in der Hand). Bei der Evangeliumsverkündigung ist es nötig, immer auch auf die Sünde und das Böse hinzuweisen (freilich in einem angemessenen Rahmen), sonst verschweigen wir den Menschen wesentliche Teile der biblischen Botschaft. Und schließlich: Wir werden auf der Erde oft Geschehnisse nicht erklären können. Wir können zwar Teilaspekte aus der Sicht der Bibel aufzeigen, aber den (letzten) Sinn vieler Dinge weiß nur Gott. Dabei ist auch zu beachten, dass Menschen keine Roboter sind, sondern die Möglichkeit haben, sich in einem gewissen Spektrum für oder gegen etwas zu entscheiden. Wir sollten somit Gott weiter bitten, uns vor dem Bösen zu bewahren, aber auch darum, uns davor zu bewahren, dass wir anderen Böses antun.
Auf eine Litfass-Säule in Winnenden hatte jemand ein handgeschriebenes Plakat geklebt. „Wo warst Du, Gott?“, steht darauf. Darunter: „Gottes Antwort: ‚Wo wart ihr?’ Warum fragen wir nur nach Gott, wenn es uns schlecht geht und/oder Schlimmes passiert? Wird ihm das gerecht? Ich/wir denken, es würde sich einiges ändern, wenn wir auch nach ihm fragen, wenn es uns gut geht! Möge er uns durch diese Zeit begleiten! Gottes Segen!“
Jochen Klein
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