Sie hat einen neuen Hut – aber er ist grauenhaft! Die einen nennen ihn individuell, die anderen avantgardistisch oder postmodern, alle aber meinen das gleiche: grauenhaft! Wenn nun diese Dame Herrn Maier fragt, wie er den neuen Hut findet, so denkt er „g...“. Aber was sagt er?
Wie dieses Beispiel zeigt, kann es schwierig sein, immer die Wahrheit zu sagen. Aber warum sollten wir eigentlich immer die Wahrheit sagen? Zumal Wissenschaftler, die sich mit dem Thema Wahrheit/Lüge/Betrug auseinandersetzen, zu dem Schluß kommen, Ehrlichkeit währe keineswegs am längsten, und unser Lügentalent sei nicht nur eine „bedauerliche Fähigkeit und Neigung zum Bösen“, sondern ein wichtiges Kennzeichen der sozialen Intelligenz (vgl. Geo 5/1998, S. 70f.). Des weiteren plädieren Ethiker dafür, „der Lüge den prinzipiell negativen Nimbus zu nehmen: Mit Täuschungen könnten wir viel Gutes bewirken und sollten uns dieses Mittels nicht schämen“ (Geo 5/1998, S. 71f.).
Demnach wäre es also z.B. gut, wenn Herr Maier beim Anblick des Hutes in Bewunderung ausbräche. Filmte aber jemand diese Szene und ließe den Film in Zeitlupe abspielen, könnten die Gesichtszüge des Betroffenen – wenn auch nur innerhalb von Mikrosekunden – offenbaren, daß er gelogen habe, meint der amerikanische Wissenschafler Paul Ekman.
Lügen und Täuschungen kommen im Alltag häufig vor. Man betrügt das Finanzamt, den Kunden, die Angestellten, den Chef, die Verwandten, die Eltern usw. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Lüge nicht nur das Aussprechen einer Unwahrheit ist, sondern ganz allgemein ein Verhalten, das Täuschung zum Ziel hat. Dies sehen wir bei David, der auf der Flucht vor Saul zu Achis, dem König von Gath, gekommen war. Als er sich vor diesem fürchtete, verstellte er seinen Verstand, so daß Achis glaubte, David sei wahnsinnig (vgl. 1. Sam 21,10-15). Durch entsprechendes Verhalten wurde hier also eine Botschaft vermittelt, die zu falschen Schlüssen führte.[1]
Daß offenbargewordenes Betrügen mit generellem Verlust an Glaubwürdigkeit einhergehen kann, zeigt das Beispiel von Simson und Delila (Rich 16,4-22). Obwohl sie eine raffinierte Frau war, die Simson verraten und an die Philister ausliefern wollte, warf sie ihm Täuschung und Lüge vor (V. 10). Daraus zog sie dann Rückschlüsse auf ihre Beziehung: „Wie kannst du sagen: Ich habe dich lieb, so doch dein Herz nicht mit mir ist?“ (V. 15)
In der Bibel werden mit den Ausdrücken „Lüge“ und „Lügen“ „verschiedene Worte aus dem Hebräischen und Griechischen im Deutschen wiedergegeben. Vom Inhalt her können auch die Bedeutungen ‚Verleugnung‘, ‚Verstellung‘, ‚Täuschung‘, ‚Untreue‘ und ‚Vertragsbruch‘ gemeint sein. Als gegensätzliche Begriffe stehen ihnen ‚Wahrheit‘, ‚Gerechtigkeit‘, ‚Recht‘, ‚Treue‘ und ‚Beständigkeit‘ gegenüber“ (Das große Bibellexikon).
Hinter dem Begriff Lüge steht das Prinzip Lüge und dahinter wiederum eine Person. Diese „war ein Menschenmörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und ihr Vater“ (Joh 8,44). Es ist der Teufel, dessen Motto Zerstörung ist. Zerstörung von Menschen. Zerstörung von Beziehungen zwischen Menschen. Demgegenüber gibt es das Prinzip Wahrheit. Der Herr Jesus redete nicht nur, was wahr ist oder von der Wahrheit, sondern er ist die Wahrheit (vgl. Joh 14,6). Und sogar Bileam mußte über Gott sagen: „Nicht ein Mensch ist Gott, daß er lüge, noch eines Menschen Sohn, daß er bereue. Sollte er gesprochen haben und es nicht tun, und geredet haben und es nicht aufrecht halten?“ (4. Mo 23,19)
In Gott ist also das Prinzip Wahrheit verankert. Jeder Mensch ist dagegen ein Lügner (vgl. Ps 116,11 u. Röm 3,4). Wenn die Menschen allerdings meinen, mit Täuschungen „viel Gutes bewirken“ zu können, sich „dieses Mittels nicht schämen“ zu müssen und Lüge als „ein wichtiges Kennzeichen der sozialen Intelligenz“ bezeichnen, so führt dieses Verhalten unmittelbar zu folgendem Ziel: „Den Feigen aber und Ungläubigen und mit Greueln Befleckten und Mördern und Hurern und Zauberern und Götzendienern und allen Lügnern – ihr Teil ist in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt, welches der zweite Tod ist“ (Offb 21,8).
Im täglichen Umgang sollte das Prinzip Wahrheit die Gläubigen kennzeichnen. Und: „Wenn ihr wirklich ihn [Christus] gehört habt und in ihm gelehrt worden seid, wie die Wahrheit in dem Jesus ist: daß ihr, was den früheren Lebenswandel betrifft, abgelegt habt den alten Menschen, der nach den betrügerischen Begierden verdorben wird, aber erneuert werdet in dem Geist eurer Gesinnung und angezogen habt den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit. Deshalb, da ihr die Lüge abgelegt habt, redet Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten“ (Eph 4,21-25). Dies bedeutet aber nicht, daß wir einander rücksichtslos begegnen sollten. Wenn einem z.B. der Hut des anderen nicht gefällt, dann ist auch unser Einfühlungsvermögen gefordert, um den anderen – wenn er unser Urteil darüber zu hören wünscht – nicht zu verletzen. Dazu benötigt man das, was uns lehrt, in jeder Situation richtig zu handeln, nämlich Weisheit: „Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, so erbitte er sie von Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft, und sie wird ihm gegeben werden“ (Jak 1,5). Das gilt sicherlich für jeden, denn wer kommt nicht in Situationen, wo es schwierig ist zu wissen, wie man sich angemessen verhalten soll? – Und das nicht nur, wenn man nach seiner Meinung in Sachen Hüten gefragt wird!
Jochen Klein
[1] Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, daß man bei dem – auch in der Bibel verwendeten – Stilmittel der Ironie das Gegenteil von dem Gemeinten sagt, ohne zu lügen.
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