denkend glauben

Jochen Klein

Texte und Materialien zum christlichen Glauben

Sucht

„Meine Zustände kommen immer wellenartig“, sagt Sebastian. Vergangenheit und Zukunft sind für ihn sehr weit weg. Seine Gegenwart findet woanders statt. Wo, das kann der Einundzwanzig­jährige nicht sagen, denn dafür gibt es keine Worte. Über zwei Jahre lang hatte er auf Partys eine Mischung aus Ecstasy, LSD und Marihuana zu sich genommen. Wenn er jetzt auf dem Weg rund um die Psychiatrische Klinik geht, hat er das Gefühl, als würde er schlafwandeln. Um einen Satz zu sagen, braucht er fünf, manchmal zehn Minuten.

Marcel ist siebzehn. Er wünscht sich, daß er noch einmal neu anfangen könnte: „Ich würde nicht rauchen und kein Pillen- und Pulverzeug nehmen.“ Er nahm aber beides. Und deshalb kam es so: „Ich hab' die Menschen gar nicht mehr richtig wahrgenommen, nur noch als Umrisse. Du bekommst davon richtige Halluzinationen, optisch und akustisch.“ Wie über ein Wesen, das Macht über ihn hatte, redet Marcel über Drogen. Und: „Drogen sind immer präsent.“ „Heute nacht habe ich gedacht, daß jemand die Treppe hochläuft und redet. Aber da war niemand.“

Als Kathrin (15) zum ersten Mal Heroin nahm, hatte sie ein Gefühl der Wärme. Dieses ließ sie dann nicht mehr los. Nach einem Jahr fühlte sie sich, als sei sie unter der Droge lebendig begra­ben.

Kristiane berichtet: „Meine neuen Freunde brachten mich zum Alkohol und zu Zigaretten. Ich habe versucht, von den Freunden loszukommen, aber es geht nicht. Ich habe mich total durch diese Clique verändert: Ich habe meine Familie beklaut, trinke und rauche, habe ein paar gute Freundinnen verloren, habe einen schlechten Ruf bekommen, bin öfters aggressiv. Ich hoffe, daß ich mich ändere.“ Dann: „Ich habe aufgehört zu trinken - seit etwas mehr als einem Monat.“ Und schließlich: „Ich finde, man sollte Zigaretten und Alkohol nicht verharmlosen. Sie können einen auch süchtig machen! Man sollte seine Finger davon lassen. Sie machen nur alles kaputt.“

Nach den Motiven befragt, warum Jugendliche Nikotin und Alkohol zu sich nehmen, ant­worteten Schüler, ein Hauptbeweggrund sei der Wunsch, „cool" zu sein. Manuela meint: „Vor allem Leute, die oft Außenseiter sind, sehen hier eine große Chance  'einzusteigen', endlich dazuzugehören.“

Sebastian, Marcel, Kathrin und Kristiane sind beispielhaft für viele Jugendliche heutzutage. Die Drogenbeauftragte Elfriede Koller sagt: „Jugendliche beginnen ihre Suchtkarriere fast immer über die legalen Drogen Zigaretten und Alkohol.“ Über den Alkohol sagt Ulrich, der während seiner Lehre bei Krupp anfing zu trinken: „Dies ist dort, wo ich aufgewachsen bin, ganz normal. Keiner denkt sich etwas dabei.“ So geschah es dann, daß er auch zu Kokain, LSD, Speed und Heroin griff. Auf die Frage, was der Anlaß für ihn war, süchtig zu werden, antwortet er: „Der Reiz des Verbotenen war ausschlaggebend, ich bin da irgendwie reingerutscht.“

Der Chemiker und Pharmakologe Arthur E. Wilder-Smith schreibt: „Obgleich unsere Generation meint, sie könne nicht an Gott glauben, leidet sie an Heimweh nach der Ewigkeit, nach Bedeu­tung und Schönheit. Dieses Heimweh hat sie todkrank gemacht. Eltern und Lehrer können nicht die Medizin der Ewigkeit, die sie braucht, herbeischaffen, deshalb wenden sie sich den Drogen als Hilfsmittel zu. Die ältere Generation sucht eine Lösung, indem sie Bewußtsein und Heimweh in Alkohol, Opiaten, Nikotin und Barbituraten ertränkt, während die junge Generation Bewußt­seinsveränderung durch Chemikalien ausprobiert.“ Der Bundesdrogenbeauftragte Eduard Lintner meint: „Junge Leute jagen mit Ecstasy einem Glücksgefühl hinterher, das sie im Alltag offenbar nicht finden. Ist das nicht das eigentliche Problem?“

Was am Anfang steht, ist bei vielen unterschiedlich. Etwas Gemeinsames aber haben viele: Sie enden in der Sucht. Und Sucht bedeutet Abhängigkeit. Ob jemand ständig im Internet surft und davon nicht mehr loskommt, ob er zur Zigarette greift oder zum Alkohol: Die Grenzen zur Sucht sind fließend. In diesem Zusammenhang unterscheidet man zwischen seelischer und körperlicher Abhängigkeit. Bei der seelischen Abhängigkeit wird das Suchtmittel „zum Dreh- und Angelpunkt aller Handlungen, Gedanken und Gefühle. Nach und nach geht es nur noch darum, die tiefe Mißstimmung zu vermeiden, die durch das Fehlen des Suchtmittels entsteht. Die Sucht hat die ursächlichen Probleme überlagert und neue geschaffen. Seelische Abhängigkeit ist nach außen hin oft unauffällig und kaum zu bemerken. Aber gerade sie ist schwer zugänglich und auflösbar. Sie ist der Hauptgrund dafür, daß Abhängige immer wieder in ihr Verhalten zurückfallen, selbst wenn sie Tage, Wochen, mitunter sogar Jahre ohne Suchtmittel leben“, so ein Drogenexperte. Und: „Neben der seelischen Abhängigkeit gibt es bei Alkohol, Nikotin, verschiedenen Medika­menten und Heroin auch eine körperliche: Der Organismus reagiert auf die ständige Zufuhr des Suchtmittels mit einer Anpassung des Stoffwechsels. Wird ihm das Suchtmittel dann abrupt entzogen, kommt es – je nach Substanz – zu unangenehmen bis schmerzhaften oder gar lebens­gefährlichen Entzugserscheinungen.“

Gerade das Alkoholproblem wird oft durch mancherlei Ausreden verharmlost. Die Bibel warnt: „Sieh den Wein nicht an, wenn er sich rot zeigt, wenn er im Becher blinkt, leicht hinuntergleitet. Sein Ende ist, daß er beißt wie eine Schlange und sticht wie ein Basilisk. Deine Augen werden Seltsames sehen, und dein Herz wird verkehrte Dinge reden“ (Spr 23,31-33). Und Paulus fordert die Gläubigen auf, sich nicht mit Wein zu berauschen, nüchtern zu sein und Ausschweifung, Trunkenheit und Gelage zu meiden (vgl. Eph 5,15-17; 1. Thes 5,6; Gal 5,16-25). Denn: Unser Körper ist der Tempel des Heiligen Geistes, „der in euch wohnt, den ihr von Gott habt.“ – „Verherrlicht nun Gott in eurem Leib“ (1. Kor 6,19.20).

Jochen Klein

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