Dwight war siebzehn. Er stand auf einem Hügel in der Nähe von Northfield/Massachusetts und ließ seine Blicke über die Gegend schweifen. Hier war er 1837 geboren worden, und hier war sein Vater Edwin vier Jahre später gestorben und hatte seine Mutter mit neun Kinder auf einer kleinen, verschuldeten Farm zurückgelassen. Dwight würde viele Jahre später hierher zurückgebracht werden, aber das konnte er jetzt noch nicht wissen. Es zog ihn von zu Hause fort.
Er reiste nach Boston, wo er bei seinem Onkel Samuel Socrates, einem wohlhabenden Schuhmacher, Arbeit fand. In seiner spärlichen Freizeit schlenderte er durch die Stadt. Raufereien wich er nicht aus, und sobald er sich ärgerte, kam ein Fluch heraus. Da der Onkel seinen Neffen davor bewahren wollte, in seiner freien Zeit umherzustreifen und Unfug zu treiben, hatte er sich von ihm versprechen lassen, dass er sowohl zur Kirche als auch zur Sonntagsschule gehen werde.
In den nächsten Monaten hörte Moody immer wieder das Wort Gottes. Er hörte von Sünde, Buße und dem kommenden Gericht; doch er schob das alles beiseite: „Ich dachte, ich wollte Christ werden, wenn es ans Sterben ginge. Ich dachte, wenn mich einmal ein schlimmes Leiden plagen würde, dann wäre es noch immer früh genug dazu. Vorerst aber wollte ich die Freuden des Lebens nach Kräften genießen.“
Er widerstrebte, bis er als Achtzehnjähriger umkehrte: „Als ich zu Jesus Christus kam, bedeutete das einen schweren Kampf für mich, meinen eigenen Willen aufzugeben und Gottes Willen anzunehmen“, sagte er vierzig Jahre später.
Nach seiner Bekehrung dachte er zuerst an seine Familie: „Sofort begann ich, für sie zu beten, was ich bisher noch nie getan hatte.“ Von nun an wurde die Bibel, die für ihn das unverständlichste aller Bücher gewesen war, zu seiner Lieblingslektüre. Als er nach Hause kam und alles berichtete, was er erlebt hatte, stieß er aber auf Unverständnis. Erst nach Jahren sollten auch seine Mutter und einige seiner Brüder errettet werden.
Mit neunzehn Jahren verließ Moody Boston und fuhr nach Chicago, wo er ebenfalls Schuhverkäufer wurde. Er betrieb dieses Geschäft mit großem Eifer, denn er wollte möglichst viel Geld einnehmen und schnell reich werden. Nach einem Jahr schien es, als würde es ihm gelingen: Er verlieh sein Geld gegen hohe Zinsen, legte seine Ersparnisse in Land an, das er wieder mit Gewinn verkaufte, und dachte über weitere Steigerungen des Kapitals nach.
1857 entstand eine Erweckungsbewegung in Chicago. So hörte Moody manchmal jeden Tag das Wort Gottes. Nun änderte er seine Ansicht, dass die Religion in erster Linie eine nützliche Hilfe zum Reichtum sei. Er mietete vier Bänke in einer Kirche und füllte sie mit Freunden und mit Leuten, die ihm auf der Straße begegneten. Auch versuchte er Seeleuten in den Kneipen und armen Familien, die in Hütten wohnten, das Evangelium nahezubringen, indem er z.B. evangelistische Schriften an sie verteilte. In diesem Jahr übernahm er außerdem eine neue Arbeitsstelle, weshalb er ab jetzt viel unterwegs war.
Wenn er dann wieder nach Chicago kam, widmete er sich der evangelistischen Arbeit, bis ihm eine beiläufig gemachte Bemerkung ein neues Arbeitsfeld eröffnete. Jemand schlug ihm vor, auf die Straße zu gehen und alle Jungen, die aufzutreiben seien, in die Sonntagsschule zu bringen. So lieferte er an einem Sonntag achtzehn meist zerlumpte Kinder dort ab. In den nächsten Wochen holte er sie immer wieder. Es kamen noch weitere hinzu. Moody hatte seine Aufgabe gefunden, nach der er sich lange gesehnt hatte. Wenn er schon nicht unterrichten konnte, so wollte er die Kinder doch dahin bringen, wo andere waren, die die Fähigkeit dazu besaßen.
Die Armut in Chicago rührte Moody an, aber auch die Tatsache, dass Kirchen und Sonntagsschulen die Armen nicht erreichten. So kaufte er im Frühherbst 1858 zusammen mit einem Freund einen ausrangierten Güterwagon, um eine Missions-Sonntagsschule zu beginnen. Als der Rechtsanwalt Kings von dem Unternehmen hörte, setzte er sich dafür ein, dass Moody ein altes, leeres Fachwerkhaus für seine Arbeit zur Verfügung gestellt wurde. Kings sagte: „Alle liebten ihn, weil er sich wirklich für ihr Wohlergehen interessierte. Niemand vergisst das freundliche Lächeln und den warmen Händedruck, die für ihn charakteristisch waren.“ Sein Sohn Paul berichtete später von seinen ersten Erinnerungen an seinen Vater: „Er war ein beinahe idealer Gefährte für einen kleinen Jungen. Er hatte eine sehr gewinnende Art, Kinder zu behandeln, jedenfalls habe ich das immer empfunden, als wären wir mehr oder weniger gleichaltrig. Niemals sprach er von oben herab mit mir, sondern er gab mir stets den Eindruck, dass meine Meinung zählte und dass es ihn interessierte, was ich dachte und zu sagen hatte.“
In dieser Zeit hielt sich Moody mit einigen Freunden des Öfteren im Haus von Fleming Hewitt Revell auf, der mit seiner Familie aus England nach Chicago emigriert war. Dessen Tochter Emma verdiente ihren Unterhalt als Lehrerin und war ein vollkommenes Gegenstück zu Moody. Sie war schüchtern und zurückhaltend, von erlesenem Geschmack und äußerst bescheiden. Nach zwei Jahren verlobten sie sich. Wiederum nach zwei Jahren fand die Hochzeit statt. Anfangs verfügte Moody über wenig Höflichkeit und gesellschaftliche Umgangsformen. Dies wurde aber dank des Einflusses seiner Frau zusehends besser. Eine Bekannte schrieb später über Emma: „Ein einziger Tag genügt, um zu erkennen, welche Quelle der Ruhe und der Kraft sie für ihren Mann bedeutete. Je besser ich sie später kennenlernte, desto überzeugter wurde ich, dass ein erheblicher Teil seiner Wirksamkeit auf sie zurückzuführen war. Das lag nicht nur daran, dass sie ihm viel Arbeit abnahm, dass sie ihn von der Korrespondenz befreite. Es lag in ihrem Wesen begründet. Ihr unabhängiges Denken, ihre Ruhe, mit der sie seiner Impulsivität begegnete, ihre Demut waren entscheidende Werte.“ Ein anderer schreibt: „Nur die ältesten seiner Freunde und Mitarbeiter wussten, in welchem Ausmaß er sich auf sie stützte. Sie wollte nicht, dass sie es wüssten.“
Die Zahl der Schüler in der Sonntagsschule wuchs beständig. So wurde Moody ein größerer Saal mietfrei für seine Arbeit überlassen. Auch gelang es ihm, einige seiner Freunde als Sonntagsschullehrer zu gewinnen. Bald war die Zahl der Schüler auf 600 angewachsen. Das Geschäftsleben wurde allmählich vom ersten Platz in Moodys Interessen verdrängt.
Moody selbst glaubte, niemals in der Öffentlichkeit reden zu können, bis er eines Abends dazu gezwungen war, weil kein anderer Sprecher da war. Von nun an entwickelte sich seine Fähigkeit, vor Zuhörern zu reden.
Sein Ziel war es jetzt, als Geschäftsmann möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit zu verdienen, um es dann für seine Arbeit auszugeben. Vielleicht wäre es auch so geworden, wenn nicht im Sommer 1860 einer der Sonntagsschullehrer in Moodys Büro geschwankt wäre und sich auf eine Kiste hätte fallen lassen. Der Mann hatte wieder Lungenbluten bekommen und wollte zurück in den Staat New York, denn: „Ich glaube, ich werde sterben.“ Vor dem Sterben fürchtete er sich nicht, aber er machte sich Sorgen um seine Klasse: „Ich habe versagt. Nicht ein einziges Mädchen habe ich zu Jesus geführt. Und jetzt habe ich nicht mehr die Kraft dazu. Ich fürchte, ich habe den Mädchen mehr geschadet als genützt. Nicht eine ist bekehrt worden!“
Jetzt war Moody betroffen. Er selbst hatte sich immer in erster Linie um die Zahl der anwesenden Kinder gesorgt und sie kaum als Individuen betrachtet. Er schlug vor, er solle die Kinder einzeln besuchen und ihnen sagen, was ihn bedrücke. So fuhr der Sonntagsschullehrer in einer Kutsche durch die Slums und besuchte die Mädchen seiner Klasse. Nach zehn Tagen war er bei jeder gewesen. Der junge Mann kam in Moodys Büro und sagte: „Das letzte Mädchen in meiner Klasse hat sich zu Christus bekannt.“
Zum Abschied wurden alle zum Tee eingeladen. Danach knieten sie nieder, um zu beten. Als Moody und der Sonntagsschullehrer gebetet hatten, fing ein Mädchen, das man bis dahin nur als Spötterin gekannt hatte, ebenfalls an zu beten. Weitere folgten. Moody war so beeindruckt, dass er seine Pläne von Reichtum und Besitz für nichtig erklärte, und er kam zu der Überzeugung, dass es besser sei, sein Leben so zu verbringen, wie es der sterbende Sonntagsschullehrer die letzten zehn Tage verbracht hatte.
Alle Mädchen waren zum Bahnhof gekommen. Der Zug fing an zu rollen. Als Letztes sah man eine blasse Hand aus einem Fenster ragen. Sie zeigte nach oben und wollte sagen: Dort werde ich euch alle wiedersehen.
Für Moody war dies ein besonderes Erlebnis. Er hatte den Ruf gehört, sein Geschäft zu verlassen; doch er wollte noch nicht: „Ich kämpfte dagegen an, und es war ein schreckliches Ringen. Aber, ach, wie oft habe ich seither Gott für seinen Willen gedankt.“ Nach drei Monaten verließ Moody seine Firma und seine komfortable Pension und aß nur noch in billigen Restaurants. Der Traum vom Millionär war begraben. Ein Freund fasste dies zusammen: „Dass ein junger Mann voller Schwung und Tatkraft und voller Interesse am alltäglichen Leben um Christi willen auf alles verzichtet, was diese Welt zu bieten hat, ist nach natürlichen Maßstäben nicht zu erklären.“ Moodys ganze Kraft gehörte fortan der Missionssonntagsschule.
1864 war ein neues Gebäude für die Sonntagsschule fertig. Es sah beinahe so aus, als hätte man sich die größte Mühe gegeben, es so einfach wie nur möglich zu gestalten, damit auch der Ärmste sich nicht von seiner äußeren Pracht ferngehalten fühlte. Rechts vom Eingang war zu lesen, dass Fremde und Arme stets willkommen seien.
Eines Tages schlenderte Charley Morton, ein ehemaliger Soldat, der viel trank, durch die Straßen und kam an diesem Haus vorbei. Er sah, dass Männer, Frauen und Kinder hineingingen. Als er die armseligen Kinder bemerkte, dachte er: „Um’s Geld scheint es denen hier wirklich nicht zu gehen. Bestimmt kriegen die nicht viel dafür, dass sie sich um diese Kinder kümmern.“ „Damals beschloss ich, dass ich wiederkommen wolle, und ich kam wieder. Und dann dauerte es gar nicht mehr lange, bis ich mich Christus anvertraute. Und dabei ist es geblieben.“
Ein kleiner Junge wurde einmal gefragt, warum er jeden Sonntag fünf Kilometer weit hierher komme, obwohl in seiner Nähe eine Sonntagsschule war. Er antwortete: „Die Leute hier haben uns lieb.“ Moody nahm sich in diesen Jahren vor, keinen Tag vergehen zu lassen, ohne wenigstens mit einem Menschen über Christus gesprochen zu haben: „Als ich einen Mann an einem Laternenpfahl lehnen sah, ging ich auf ihn zu und fragte: ‚Sind sie ein Christ?‘ Er beschimpfte und verfluchte mich und sagte mir, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.“ Drei Monate später um Mitternacht stand der Fremde vor Moodys Tür, „um zu gestehen, dass er keinen Frieden gefunden habe. ‚Sagen sie mir doch, was ich tun muss, um gerettet zu werden!‘“
Es gab viele Widerstände. Moody hatte früh genug gewarnt: „Wir müssen mit Opposition rechnen. Wenn ihr meint, dass hier eine große Arbeit ohne Opposition geleistet werden könnte, dann irrt ihr euch. Der Widerstand wird erbittert sein ... Manches Schmerzliche wird gesagt werden, viele Lügen werden verbreitet werden, und jemand hat einmal gesagt, dass eine Lüge um die halbe Welt geht, ehe die Wahrheit auch nur die Stiefel angezogen hat.“ Wurde Moody, wie es oft geschah, auf brutale Weise verspottet und beleidigt, weinte er nachher manchmal darüber. Trotzdem war er fest entschlossen, immer ruhig und freundlich zu bleiben: „Man kann nichts Gutes bewirken, wenn man nicht ruhig bleibt.“
Moody war bei seinen vielen Vorhaben oft auf Spenden angewiesen, wobei er einige Male Wunder erlebte. Über ein solches sagte er einmal: „Gott hat mir an diesem Tag das Geld gegeben, weil ich es brauchte. Aber oft habe ich ihn auch gebeten, wenn ich nur glaubte, das Geld zu brauchen, und dann hat er gesagt: Nein, Moody, sieh zu, wie du zurechtkommst. Es wird dir besser tun, wenn ich ein Weilchen hart bleibe.’“
1867 fuhr Moody mit seiner Frau nach England. Hier hatte er ein weiteres Erlebnis, das nachhaltige Folgen für ihn haben sollte: Er besuchte den gelernten Fleischer Henry Varley, der nun Evangelist geworden war, stets eindringlich predigte und eine große Menge Zuhörer hatte. Moody: „Ich habe den Mann besucht, um das Geheimnis seines Erfolges zu ergründen. Daheim betete er für das Gelingen der Versammlung. Nach dem Abendessen nahmen wir eine Droschke, und während wir über das Londoner Pflaster holperten, sagte er: ‚Und nun, Bruder, wollen wir für die Versammlung beten.‘ Damit kniete er auf dem schwankenden Boden der Kutsche nieder.“ Als sich nach der Veranstaltung viele Menschen um ihn drängten, die von dem Evangelium angesprochen worden waren, wusste Moody das Geheimnis Varleys: Es war sein Gebet.
In Dublin lernte er dann einen Mann kennen, der großen Einfluß auf seine Verkündigung nehmen sollte. Es war Harry Moorhouse, ein bekehrter Taschendieb, der nun das Evangelium verkündete. Dieser kündigte an: „Ich werde nach Chicago kommen und dort für euch predigen.“ Moody traute ihm nicht zu, dass er wirklich predigen könne. Als er aber wieder zurück in Chicago war, erreichte ihn ein Brief von Moorhouse, der ihm mitteilte, er sei in New York eingetroffen und wolle gerne in Chicago predigen, wenn Moody es wünsche. Moody war nicht sehr interessiert. Als Moorhouse aber seine Ankunft ankündigte, sagte Moody: „Erprobt ihn“, da er selbst an diesem Tag verreisen musste.
Nach der Versammlung am Donnerstagabend wusste man nicht recht, wie man weiter verfahren sollte, denn Moorhouse sprach anders als alle, die man bisher gehört hatte. Er schien eine andere Botschaft zu verkünden. Man beschloss, dass Moorhouse auch am nächsten Abend predigen sollte. Als Moody am Samstag zurückkam und sich bei seiner Frau nach dem neuen Mann erkundigte, sagte sie: „Er hat ihnen sehr gefallen. Er predigt ein bisschen anders als du. Er predigt nämlich, dass Gott die Sünder liebt!“ Moody entgegnete: „Er irrt sich“, denn er selbst hatte bisher gelehrt, dass Gott nicht nur die Sünde, sondern auch den Sünder hasse. Emma aber bemerkte: „Ich denke, du wirst ihm zustimmen, wenn du ihn hörst, denn er stützt alles, was er sagt, auf die Bibel.“
Am Sonntagmorgen wunderte sich Moody, dass alle Bibeln bei sich trugen, was bei ihm nie der Fall gewesen war. Moorhouse las heute Johannes 3,16: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe.“ Moody stellte fest, dass Moorhouse „von der Schöpfungsgeschichte bis zur Offenbarung“ ging, „um zu beweisen, dass Gott die Sünder liebe; und ehe er damit noch zu Ende war, hatte er zwei oder drei meiner Predigten bereits völlig widerlegt. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht gewusst, wie sehr Gott uns liebt. Mein Herz fing an zu tauen; ich konnte die Tränen nicht zurückhalten.“ Am Ende der Abendstunde, die das gleiche Thema gehabt hatte, sprang Moody auf: „Mr. Moorhouse wird in dieser Woche jeden Abend sprechen. Alle sollen kommen! Sagen Sie das auch ihren Freunden!“ Jeden Abend verkündete Moorhouse dann: „Gott hat die Welt geliebt ...“.
Aber Moody lernte von Moorhouse nicht nur die Lektion der Liebe, sondern auch, wie man die Bibel liest und studiert. Und: „Gottes Wort ist es, das Seelen errettet, nicht unser Kommentar dazu.“ Es wurde Moody, der ständig in Aktion war, erst durch Moorhouse bewusst, dass man nicht nur ständig ausgeben kann, sondern dass man sich auch Zeit lassen muss, um selbst etwas zu empfangen. Von nun an stand er deshalb früh auf, um die Bibel zu studieren.
Ein Journalist schrieb über Moody, dass er „bei all seinem wirklichen Zartgefühl manchmal geradezu unerträglich spaßig ist.“ Ein ernsthaftes Problem für ihn bestand darin, dass er versuchte, viele durch bloße Energieentfaltung zu gewinnen. So machte er beispielsweise an einem einzigen Neujahrstag 200 Besuche. Er sprang aus dem Pferdewagen die Treppen hinauf in die Wohnung, sagte ein paar Sätze, betete mit der Familie, und schon ging es weiter. Dies alles nahm ungefähr anderthalb Minuten in Anspruch. Auch prahlte er gerne: „Ich habe 1200 bis 1800 Zuhörer, meistens junge Männer, gehabt.“ Seine vielen Ziele und Aufgaben und seine Unentschlossenheit bezüglich seines weiteren Weges wirkten sich negativ auf seinen Dienst aus. Er vernahm zwar den Ruf Gottes, von Chicago wegzugehen, um das Evangelium zu verkünden, aber er kämpfte dagegen an. Als dann ein Teil Chicagos abbrannte, wovon auch sein Versammlungsraum betroffen war, waren die Ketten, die ihn an Chicago banden, gesprungen. Jetzt blieb als Hindernis nur noch sein eigener Wille. Als er auch noch diesen aufgab, erfüllte ein überwältigendes Gefühl von der Gegenwart Gottes seine Seele.
Im Sommer 1872 fuhr Moody nach Großbritannien, wo er bei einer seiner Predigten wieder dem Fleischer Varley begegnete. Dieser sagte beiläufig zu ihm: „Moody, die Welt wartet noch darauf, einmal zu sehen, was Gott mit einem Menschen anfängt, der ihm wirklich ganz und gar ergeben ist.“ Mit diesen Worten beschäftigte Moody sich wochenlang. Ihm wurde etwas klar, das er noch nie vorher begriffen hatte, dass es nämlich letztendlich nicht der schwache Mensch ist, der die Arbeit tut, sondern Gott. Moody lieferte sich Ihm aus. Er wollte das Instrument in Gottes Hand sein.
Kurze Zeit später predigte er in der Nähe des Gefängnisses von Pentonville. Eine junge Frau erzählte dies zu Hause ihrer Schwester, die oft krank im Bett lag. Diese sagte: „Ich weiß, was das bedeutet! Gott hat meine Gebete erhört!“ Dann holte sie einen zerknitterten Zeitungsausschnitt unter dem Kopfkissen hervor, der von Moodys Arbeit in den Slums von Chicago berichtete. Durch diesen Artikel war sie dazu veranlasst worden, Tag für Tag zu beten, dass Gott Moody zu ihnen schicke.
Im Winter 1873 fuhr Moody mit seiner Familie nach Schottland, wo viele zum Glauben kamen. Moody betonte immer wieder, dass das Christentum nicht bloßes Gefühl sei, sondern die Hingabe des ganzen Menschen an einen persönlichen, lebenden Christus. Auch versuchte er nicht, Erregung und Sensationslust zu wecken. Er und sein Mitarbeiter Ira David Sankey, der Moodys Arbeit seit 1870 durch Singen unterstützte, hatten einen Abscheu vor künstlich erregten Emotionen. Das Ziel war zu lehren, zu konfrontieren und die Hörer zu Gott zu ziehen. Einem Mitarbeiter erteilte Moody den Rat: „In jedem Falle gründlich und geduldig vorgehen, nicht von einem zum anderen eilen. Warten Sie geduldig, helfen Sie mir mit dem Wort Gottes und bedenken Sie, was es bedeutet, eine Seele für Christus zu gewinnen. Murren Sie nicht darüber, dass Sie so viel Zeit für einen einzigen Menschen aufwenden müssen.“ Es wird deutlich, dass Moody gegenüber seinem anfänglichen, auf die Menge ausgerichteten Tun in Chicago dazugelernt hatte. Einen gravierenden Mangel stellte er aber immer wieder fest: Es fehlte an kompetenten Männern und Frauen, die den Fragenden klare Antworten geben konnten. An einen Freund schrieb er: „Ich bin überzeugt, dass die Welt Männer und Frauen braucht, die nicht groß sind, aber wirklich ehrliche und aufrichtige Menschen, die Gott verwenden kann.“
Im November 1874 berichtete der Dubliner Korrespondent der Times in einem Artikel über Moodys Evangelisation in Irland, sie habe „einen gänzlich anderen Charakter und sei von einer Lebendigkeit, die man bei anderen Veranstaltungen dieser Art“ vermisst habe. Ihm fiel dabei besonders auf, dass jede Selbstdarstellung nach Kräften vermieden wurde.
Im Laufe des Jahres 1875 verkündete Moody unter anderem in London das Evangelium. Man kann davon ausgehen, dass ihn dort mindestens anderthalb Millionen Menschen hörten und sahen. Vom November 1875 bis Januar 1876 arbeitete er in Philadelphia, wo er jeden Freitag besondere Versammlungen für Alkoholiker abhielt.
Am Ende von Moodys Arbeit in New York vom 7. Februar bis zum 19. April 1876 schrieb die New York Times: „Die Arbeit, die Mr. Moody in diesem Winter für die private und öffentliche Moral geleistet hat, wird fortwirken. Die Trunkenen sind nüchtern geworden, die Lasterhaften tugendsam, die Weltlichen und Selbstsüchtigen selbstlos, ... die Alten sind aus ihrer Überheblichkeit aufgerüttelt worden. Eine neue Hoffnung hat Hunderte von Menschen erfüllt.“
Am 22. April reiste er dann nach Augusta in Georgia. Hier offenbarte er einem Freund, dass er sich ausgebrannt fühle. Jetzt, da er in den Vereinigten Staaten den höchsten Einfluss erlangt hatte, stand er vor der Gefahr der geistlichen Zahlungsunfähigkeit.
Trotz seines enormen Einflusses zur damaligen Zeit sagte Moody zu Reportern: „Ich bin der am meisten überschätzte Mann in Amerika.“ Seine Predigten wurden von Zeitungen in voller Länge abgedruckt und in Sammelbänden veröffentlicht. So wurde seine Botschaft überall im Land verbreitet. Ein Theologieprofessor schrieb über ihn: „Es ist einfach verblüffend, dass ein so unzulänglich ausgebildeter Mann gelernt hat, die Massen so ausgezeichnet zu verstehen. Er kann das griechische Testament nicht lesen. Tatsächlich bereiten ihm sogar manche Teile der englischen Übersetzung Schwierigkeiten; aber besser als jeder andere, den ich bisher gehört habe, versteht er es, den Menschen den wirklichen Sinn einer Schriftstelle klarzumachen.“
Am 28. Januar begann eine Evangelisationsreihe in Boston. Am ersten Abend rief Moody: „Die Christenheit ist lange genug in der Defensive gewesen ... Ich vermute, dass viele gute Christen hier in Neu-England ganz einfach in ihren weich gepolsterten Kirchenbänken eingeschlummert sind. Jetzt ist der Augenblick, aufzuwachen.“
Moody war immer besorgt, die Leute vor gefühlsmäßigem Überschwang zu bewahren. Nach einer Versammlung sagte einer der Männer: „Ich hoffe, dass ich aus dieser Konferenz so viel Gewinn ziehen werde, dass es für mein ganzes Leben ausreicht.“ „Ebenso gut könnten Sie versuchen, so reichlich zu frühstücken, dass Sie ihr Leben lang genug haben“, entgegnete Moody. Ein anderer meinte: „Ich habe fünf Jahre auf dem Berg der Verklärung gelebt“. Moody: „Wie viele Seelen haben Sie denn im vergangenen Jahr zu Christus geführt?“ Der Mann reagierte verwirrt. Moody fügte hinzu: „Wir wollen diese Art von Gipfelerlebnissen nicht. Wenn ein Mensch so hoch hinauf gelangt, dass er nicht mehr herunterreicht, um arme Sünder zu retten, dann ist etwas nicht in Ordnung.“
Ein andermal machte ein Student während einer Veranstaltung eine Bemerkung, auf die Moody fast in beleidigender Weise reagierte. Zum Schluss sagte er dann: „Freunde, ich möchte vor euch allen gestehen, dass ich zu Beginn unserer Versammlung einen großen Fehler begangen habe. Ich habe meinem jungen Bruder dort unten wie ein Narr geantwortet. Ich werde Gott bitten, mir zu vergeben, und ich bitte unseren jungen Bruder, mir zu verzeihen.“ Darauf ging er zu dem jungen Mann und ergriff seine Hand. Ein Anwesender sagte: „Dieser harte Mann hat bewiesen, dass er auch den schwersten Satz beherrscht, den es in allen menschlichen Sprachen gibt: Es tut mir leid!“
Als Moody einmal in Stepney das Evangelium verkündete, betete ein älterer Mann so lange, dass alle Anwesenden unruhig wurden und ein junger Medizinstudent auf Zehenspitzen wieder hinausschlich. Plötzlich hörte er Moodys Stimme, die sagte: „Wir wollen einen Choral singen, während unser Bruder sein Gebet beendet!“ Der junge Mann ging zurück und kam dann an einem der Abende zur Umkehr.
Eines Tages überraschte Richter Williams in Portland bei einer Versammlung dreitausend seiner Mitbürger: „Ich bin jetzt dreiundsiebzig Jahre alt, und seit dreiundvierzig Jahren sitze ich auf dem Richterstuhl. Ich habe viele wichtige Entscheidungen getroffen, aber die größte habe ich heute Morgen gefällt, als ich zum ersten Mal in meinem Leben im Beisein von Bruder Moody auf den Knien gelegen und Gott um Vergebung meiner Sünden gebeten habe. Da ist Freude in mein Herz gekommen. Immer habe ich den Christen gespielt, habe zur Kirche gehört, aber das alles war nur äußerlich. Freunde, vergebt mir, ich wusste es nicht besser. Aber jetzt weiß ich es. Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen.“
Während Moodys Sohn Will sich früher eher loyal verhalten hatte, schrieb er fast achtzehnjährig einen Brief an seine Eltern, in dem er deutlich gegen den Glauben rebellierte. Moody antwortete: „Ich habe Deinen Brief vor mir, und ich bin froh, dass Du mir das alles erzählt hast, denn mir ist es lieber, wenn Du mit deinen Schwierigkeiten zu mir kommst, als wenn Du sie vor mir verbirgst. Natürlich tut es mir leid, dass Du zum Rauchen versucht warst. Ich hoffte, das würde für Dich niemals eine Versuchung bedeuten, aber weit mehr schmerzt mich, dass Du nicht den Wunsch empfindest, Christus kennenzulernen. Manchmal ist mein Herz schwer bei dem Gedanken, dass Du so viel Nichtachtung für jemanden zeigst, der so viel für Deine Mutter und Deinen Vater getan hat. Alles, was wir sind und haben, kommt von ihm, und Du bist von einem frühen Tod errettet worden, und ich glaube, das war eine Gebetserhörung. Und jetzt, da Du stark und gesund bist und die Möglichkeit hast, Gutes zu tun, wendest Du Dich gegen den echtesten und aufrichtigsten Freund, den Du jemals haben wirst. Ich kann wirklich nicht erkennen, warum Du Christus so ablehnst.
Manchmal glaube ich, es ist meine Schuld. Hätte ich vorbildlicher gelebt, dann würdest Du jetzt nicht ablehnen, was meinem Herzen so nahe ist. Der vergangene September war der glücklichste Monat meines Lebens, weil ich glaubte, Du wärest wirklich auf dem Wege zum Königreich Gottes, aber als ich heimkam und merkte, dass Du gleichgültiger warst als je zuvor, wurde mir das Herz schwer. Ich habe nicht viel mit Dir gesprochen, weil ich fürchtete, ich würde Dich nur immer mehr und mehr gegen ihn kehren, den ich mehr als alles in der Welt liebe, und wenn ich jemals etwas getan und gesagt haben sollte, was nicht zu einem christlichen Vater passte, dann bitte ich Dich, mir zu vergeben. Ich möchte lieber sterben als Dir im Wege stehen.
Was mich beschämt, ist, dass ich anderen predige, und mein Sohn glaubt nicht an das Evangelium, das ich predige. Es war schwer, gestern Abend zu predigen, nachdem ich Deinen Brief gelesen hatte; mir war, als hörte ich eine Stimme sagen, ich sollte lieber einmal zu Hause nach dem Rechten sehen. Immer habe ich gemeint, wenn ein Vater und eine Mutter Christen waren, die Kinder aber nicht, dann müsse doch etwas mit ihnen nicht stimmen, und ich glaube das immer noch. Und gestern Abend habe ich vor Eltern gesprochen. Ich habe versucht, das Glaubensleben in meinem Hause nicht bedrückend werden zu lassen, und wenn ich glauben müsste, ich hätte meine Pflichten gegenüber meinen drei Kindern nicht richtig erfüllt, dann möchte ich lieber sterben als leben. Ich habe versucht, Euer Leben zu Hause so angenehm zu machen, wie ich konnte, und ich habe alles getan, was in meiner Kraft steht, um Euch glücklich zu machen. Als ich die Schulen gründete, habe ich geglaubt, sie würden für meine eigene Familie einen guten Einfluss in unserer Stadt bringen, und Tag und Nacht habe ich gehofft und gebetet, dass wir im Geist vereint seien, doch Du scheinst zu hassen, was ich liebe. Die Kluft scheint von Tag zu Tag dunkler und tiefer zu werden, und ich fürchte, in fünf Jahren werden wir nichts Gemeinsames mehr haben. Wenn Du für Dich die Welt erwählst, dann wirst Du, da bin ich sicher, eines Tages als einsamer und trauriger Mensch sterben. Lieber Willie, die Welt wird Dich enttäuschen, aber sie wird dich niemals befriedigen. Seit einem Jahr bist Du nicht mehr glücklich, Deine Unzufriedenheit ist gewachsen, und das hat Deinem Vater und Deiner Mutter viel weher getan, als Du jemals begreifen wirst, ehe Du selbst Vater bist.
Ich hoffe, dass keine Sünde Dich von Christus fernhält, aber manchmal fürchte ich, dass etwas in Deinem Leben ist, wovon ich nichts weiß. Aber ich bete zu Gott, dass er es Dir zeigt, wenn da etwas ist, und dass Gott Dir hilft, es zu bekennen und Dich dagegen zu wehren. Niemals habe ich so sehr für Dich gebetet wie jetzt. Ich glaube, es ist eine Krise in Deinem Leben. Und nun, lieber Willie, nimm das in dem Geiste an, in dem es geschrieben wurde, Dein Vater D. L. Moody.“
Im Jahr 1893 trat Will dann in die Jüngerschaft Christi ein, womit er seinem Vater eine große Freude bereitete.
Obwohl Moody manchmal fast über seine Kraft arbeitete, wollte er nicht nachlassen. Zwei seiner Lieblingssätze waren: „Wir müssen wachsen oder eingehen“ und: „Wir wollen in alle Richtungen zugleich vordringen.“ Er wollte trotz seines schwachen Herzens bis zum Umfallen arbeiten, ob die Kraft noch ein Jahr, fünf oder sieben Jahre halten würde. Moody sagte: „Alle Kraft, die ich habe, stammt vom Geist Gottes.“ Er fürchtete sich nicht vor dem Tod: „Zwischen meiner Seele und meinem Erlöser stand keine Wolke. Ich wusste, dass meine Sünde abgetan war und dass ich – sollte ich sterben – im Himmel zu neuem Leben erwachen würde“, sagte er einmal, als er aus einer gefährlichen Situation gerettet worden war.
1899 reiste Moody im November nach Kansas zu einer Evangelisationsreihe. Während der Predigten wurde der Schmerz in seiner Brust stärker. Danach predigte er noch sechsmal, wobei er stets schwächer wurde. An einem Abend rief er den Tausenden zu: „Blickt auf die andere Welt!“ Sein Arm deutete himmelwärts. „Kein Tod, kein Schmerz, keine Sorgen, kein Alter, kein gebrechlicher Körper, keine trüben Augen, keine Tränen. Nur Freude, Frieden, Liebe, Glück ... Verschließt eure Herzen nicht gegen das ewige Leben. Nehmt das Geschenk an.“ Am Donnerstag war er mit seiner Kraft am Ende. Am Freitagabend wurde er mit der Eisenbahn nach Hause nach Northfield gebracht.
Im Oktober hatte er noch in New York gesagt: „Eines Tages werdet ihr in den Zeitungen lesen, dass Moody tot ist. Glaubt kein Wort davon! In diesem Augenblick werde ich lebendiger sein als jetzt.“
22. Dezember 1899: „Gott ruft mich, und ich muss gehen. Haltet mich nicht zurück.“ „Kein Schmerz, kein dunkles Tal. Es ist alles Segen.“ Die Familie versammelt sich. Moody wacht auf. Worte werden gewechselt. Stille. Nichts hält ihn mehr auf. Moody ist in der Ewigkeit.
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