denkend glauben

Jochen Klein

Texte und Materialien zum christlichen Glauben

John Nelson Darby

Berthold Schwarz:

 Leben im Sieg Christi.

Die Bedeutung von Gesetz und Gnade

für das Leben des Christen bei John Nelson Darby

Gießen (Brunnen) 2008

Paperback, 652 Seiten

ISBN 978-3-7655-9550-9

Euro 39,95

 

Der Einfluss von John Nelson Darby (1800–1882) auf die evangelische/evangelikale Welt bis heute kann kaum überschätzt werden. Das ist vielen nicht bekannt; zum Teil haftet seinem Ruf sogar ein so negatives Klischee an, dass der Verlag auf die Rückseite dieser Monografie schreibt: Mit dem Namen Darby, „der die Brüderbewegung prägte, wird oft aus Unwissenheit ‚Enge‘, ‚Strenge‘ und ‚Gesetzlichkeit‘ verbunden“. Diese Vorwürfe werden anschließend entkräftet, indem betont wird, dass Darbys ureigenstes Anliegen das „Leben im Sieg Christi“ war und die damit verbundenen positiven Folgen für das Leben als Christ.

Das Thema des Buches ist für den Autor nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern es hat für ihn eine unmittelbare biografische Relevanz. In einem Interview sagte er: „Als ich zum Glauben gekommen war, wollte ich gerne dem Herrn Jesus gehorsam sein, aber ich merkte sehr schnell, dass ich an den Ansprüchen, die Gottes Wort an mich stellte, immer wieder scheiterte. Dadurch brachen ständig Fragen und Selbstzweifel in mir auf: Bin ich wirklich bekehrt? Was ist überhaupt Christsein? Wie kann ich das jemals erfüllen, was der Herr mir im Wort Gottes vor Augen malt und was ich zum Teil sogar mutwillig übertrete? Es war ein immerwährendes Auf und Ab zwischen der Freude an Jesus und dem, was er für mich getan hat, und der Enttäuschung über den eigenen Lebenswandel. In dieser Situation waren für mich die Antwortmöglichkeiten, die ich in den Gesprächen mit [einem] Bruder heraushörte, nämlich dass ich nicht auf meinen Lebenswandel schauen sollte, sondern auf das, was Christus für mich getan hat, eine echte Herausforderung. Aus dem Studium wusste ich, dass Luther es ähnlich formuliert hat, aber bei ihm bleibt es ein lebenslanger Auf-und-Ab-Prozess … Mich hatte dieses Auf und Ab völlig demoralisiert, deshalb war Darbys Antwort – dass man in dem ruht, was Christus getan hat, aber trotzdem nicht gleichgültig, gesetzlos oder libertinistisch in den Alltag hineinlebt, sondern sich von dieser Geborgenheit in Christus zum Leben motivieren lässt – für mich etwas, das mich biografisch sehr stark beruhigt, befreit, getröstet, ermutigt, in vielfältiger Hinsicht in meinem Christsein bereichert hat.“

In seiner umfassenden Arbeit geht Schwarz u.a. auf Darbys Leben und Wirken, seine Position zur Bibel, seine Art der Bibelauslegung und die Bedeutung von Gesetz und Gnade ein. Dies tut er intensiv, mit vielen Belegen, ausführlichen Fußnoten und Literaturangaben. Manche Leser wird die Tatsache irritieren, dass Schwarz öfter auf Darbys Beitrag zum „interkonfessionellen und ökumenischen Dialog“ zu sprechen kommt; dies ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass der Text als Doktorarbeit in evangelischer Theologie verfasst wurde, zum anderen versteht der Autor den Begriff „oikumene“ unter Bezug auf seine ursprüngliche Bedeutung so: „Zu neutestamentlicher Zeit war das die bewohnte Welt, im heutigen theologischen Sprachgebrauch ist das die weltweite Christenheit, die sich – in welcher Form auch immer – zu Christus bekennt.“

Als zentrales Konzept Darbys, das er auch zum Titel seiner Arbeit gemacht hat, sieht der Autor das „Leben im Sieg Christi“. In dem zitierten Interview führte er aus: „Für mich ist das eins der schönsten und wunderbarsten Ergebnisse, die die Arbeit ans Licht gebracht hat … Es geht um das, was man später in der Tradition der Brüderbewegung und auch bis in die heutige Literatur hinein als Unterscheidung zwischen ‚Stellung‘ und ‚Zustand‘ (standing und state/walk) findet … einerseits das, was man ist aufgrund dessen, was Christus getan hat, und andererseits das, was man tut im praktischen Lebenswandel. Der entscheidende Akzent bei Darby liegt darin, dass der Sieg Christi am Kreuz, sein ‚Es ist vollbracht‘ im Sinne von ‚Der Sieg ist errungen‘, die Grundlage ist, auf der der Christ sein Leben führt – nicht aufgrund seiner ethisch-moralischen Qualifikation als Mensch, der jetzt endlich den Willen Gottes tun kann, sondern er lebt in dem, was Christus getan hat … Der Gläubige darf auf Christus blicken, er darf ihn anbeten und von ihm alles erwarten, und daraus folgt dann erst der Lebenswandel. In der Frömmigkeit anderer Epochen hat man zwar auch gerne auf das Werk Christi geschaut, aber zugleich oft ganz stark betont, dass der eigene Lebenswandel, die eigene Heiligung mich sozusagen im Heil hält. Ich bin zwar aus Gnade gerettet, aber damit ich im Heil bleibe, muss ich entsprechend leben. Das findet man bei Darby so nicht, sondern für ihn ruht alles, auch der ganze Lebenswandel, auf dem Sieg Christi. Natürlich sagt Darby auch: Wenn du nicht entsprechend lebst, muss man Konsequenzen ziehen, denn die Reinheit der Gemeinde ist verbindlich. Aber das hat zunächst einmal nichts mit einem Verlust des Heils zu tun oder mit einem Verlust dessen, was Christus für einen erworben hat. Diese Perspektive hat mich von Anfang an fasziniert.“

Wer die Hintergründe der genannten Themen, aber auch die Lehre von den Heilszeitaltern (Dispensationalismus) besser verstehen möchte, sollte dieses Buch lesen. Zugegebenermaßen erfordert dies einige Mühe, auch weil Zitate häufig nur auf Englisch abgedruckt sind, theologische Fachbegriffe verwendet werden und die Sätze recht lang sind. Trotzdem werden die Inhalte auch dem mit diesen Aspekten weniger vertrauten Leser verständlich, und die Tatsache, dass wesentliche Inhalte des Buches in verschiedenen Zusammenhängen wiederholt werden, trägt meist zu mehr Verständlichkeit bei und wirkt nur ab und zu störend.

Der Autor referiert über weite Strecken Darbys Position. Dabei wird sein Respekt vor ihm sehr deutlich. Im Interview äußerte er: „Sicher hatte Darby seine Schwächen, er war kein fehlerloser Mensch … aber er hat wesentliche Punkte der Schriftauslegung ans Licht gebracht, vertieft und betont, über die weder die Brüderbewegung noch die Christenheit insgesamt leichtfertig hinweggehen sollte. Ich denke da an das erwähnte Verhältnis zwischen der Stellung in Christus und dem Lebenswandel, an Darbys Liebe zu Christus, die in seinen Schriften und Briefen immer wieder zum Ausdruck kommt, an seinen Wunsch, Gemeinde nach dem Vorbild der Bibel zu gestalten usw. – Es gibt viele Aspekte, die zu würdigen sind und die man nicht über Bord werfen darf, auch wenn man andere Punkte kritisiert. Darby bleibt bis heute ein wichtiges Korrektiv, wenn versucht wird, den Christusbezug durch etwas anderes zu ersetzen, sei es durch Pragmatismus, durch Geschäftigkeit, durch Frömmigkeit oder durch eine evangelisch akzentuierte Werkgerechtigkeit, die am Leben im Sieg Christi vorbeigeht.“

Am Schluss des Buches steht eine kritische Würdigung, der man sich nicht unbedingt in allem anschließen muss. Auf jeden Fall gebührt dem Autor dafür Dank, dass er die aufgezeigten Hintergründe ausführlich entfaltet und somit etliche ureigene, grundlegend wichtige Themen der Brüderbewegung wieder bewusst macht.

Alles in allem also eine lohnende Lektüre!

Jochen Klein

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